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Schneller forschen. Immer mehr Geld wird im Wettbewerb eingeworben.

© picture alliance / ZB

Unis im Wettbewerb: „Kapitalismus in der Wissenschaft“

Der Wettbewerb miteinander soll die Hochschulen besser machen. Das funktioniert so aber nicht, meinen manche Experten. Kritiker sagen, das Leistungssystem habe paradoxerweise einen konservativen Effekt.

Was passieren kann, wenn Forschungsgelder nach dem „Leistungsprinzip“ verteilt werden, rechnet der Präsident Bernd Kriegesmann von der Westfälischen Hochschule gerne vor. Seit 2005 ist sein Haushaltsbudget um zwölf Millionen Euro gesunken. Allerdings nicht, weil die Fachhochschule in Gelsenkirchen schlecht gewirtschaftet hätte. „Wir haben unsere Absolventenzahlen sogar um 90 Prozent gesteigert“, sagt Kriegesmann. Sein Pech war, dass andere Hochschulen, besonders im Raum Münster und Bonn-Rhein-Sieg, noch mehr Output hatten. Dafür wurden sie vom Land Nordrhein-Westfalen belohnt. Für ihre Leistung bekamen sie Zuschüsse, die ihnen im folgenden Jahr halfen, ihre Zahlen erneut zu erhöhen.

In Gelsenkirchen dagegen wurde der Grundbetrag gekürzt. Es sollte ja ein Ansporn bleiben, sich die Mittel im Wettkampf zurückzuholen. Dass die Fachhochschule von Anfang an mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen hatte, übersah das Bildungsministerium bei seiner Anreizpolitik, meint Kriegesmann. 95 Prozent der Studierenden an der Westfälischen Hochschule haben keine akademischen Vorbilder, viele studieren, weil sie keine Arbeit finden. Die Region ist insgesamt sozial schwach, auch die Unis Bochum und Essen gehören zu den Verlierern der „leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM)“. Dabei kann man sich wie Kriegesmann fragen: „Was ist eigentlich die größere Leistung: jemanden aus einem Arzthaushalt oder aus schwierigem Umfeld zum Abschluss zu bringen?“

Was bedeutet Leistung in der Wissenschaft? Wie kann man sie messen? Und welche Auswirkungen hat es, wenn Hochschulen in einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb miteinander gezwungen werden? Zwei Tage lang haben Hochschulvertreter aus ganz Deutschland beim 5. Hochschulpolitischen Forum der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung über diese Fragen diskutiert. Unter anderem wurde ein Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes vorgestellt, das für eine demokratische und soziale Hochschule wirbt. Die Wissenschaftler kritisierten auf der Tagung die Stagnation der Grundausstattung von Hochschulen seit den 1980er Jahren und die Expansion von Drittmitteln. Beides benachteiligt in ihren Augen sozial schwächere Regionen, gefährdet die Lehre und macht Forschung von Geldgebern abhängig. Manche naturwissenschaftliche Fachbereiche finanzieren sich bereits zur Hälfte aus Drittmitteln.

Für den Soziologen Richard Münch von der Universität Bamberg hat dieser „akademische Kapitalismus“ zudem Folgen für die wissenschaftliche Qualität. Davon abgesehen, dass Forscher wertvolle Zeit mit Bürokratie und Mitteleinwerbung verbringen, orientieren sich viele bei ihren Anträgen an bewährten Thesen und Methoden. Für Münch führt das zu einer Standardisierung von Forschungsergebnissen. Das Leistungssystem hat also paradoxerweise nicht einen marktwirschaftlich-innovativen, sondern einen konservativen Effekt.

Dazu kommt es in Münchs Augen, weil sich das Marktprinzip nicht ohne Weiteres auf Universitäten und Fachhochschulen übertragen lässt. Denn im wissenschaftlichen Wettbewerb gibt es nur wenige Nachfrager, der mächtigste ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Weil die DFG keine Konkurrenz hat, müssen alle um ihre Gunst buhlen. Für Münch werden damit „Unterschiede in einem Bereich erzwungen, in dem Kollegialität wichtig ist“, nämlich die der Wissenschaftler untereinander. Außerdem wird von der DFG punktuell Spitzenforschung, aber kaum „Spitzenlehre“ gefördert.

Die Förderung der Spitzen führt selten dazu, dass alle, auch die Verlierer, am Ende besser dastehen. Stattdessen kommt es zu jener Umverteilung, die Bernd Kriegesmann so scharf kritisiert. Die Zuschüsse der LOM-Gewinner musste seine Hochschule nämlich bezahlen. Während Gelsenkirchen innerhalb von sieben Jahren Geld im Wert von 40 W2-Professuren verlor, erhielten erfolgreiche Unis 40 zusätzliche Stellen. In der Wissenschaft herrscht also das Matthäus-Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben.“

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