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Kuriosität und Tragödie: Vor 400 Jahren starb William Shakespeare.

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Shakespeare-Forschung: Viel Lärm um einen Klassiker

Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Claudia Olk liest Shakespeare mit Becketts Augen – und entdeckt Absurdes auch beim Rummel um den vor 400 Jahren gestorbenen englischen Autor.

Das Shakespeare-Gedenken in diesem Jahr treibt bunte Blüten, dabei war der wohl lebendigste Tote der Weltliteratur erst vor zwei Jahren zu seinem 450. Geburtstag weltweit groß gefeiert worden: Eine englische Theatertruppe bringt anlässlich des Shakespeare-Gedenktages 74 Tode aus 37 Stücken, inklusive einer getöteten Fliege in „Titus Andronicus“, auf die Bühne: „The Complete Death“. Eine New Yorker Theatertruppe, „The Drunk Shakespeare Society“, lässt Shakespeare-Charaktere von Betrunkenen spielen; jeden Abend hat angeblich mindestens ein Schauspieler wenigstens fünf Whiskeys intus. In New Orleans wird der Dramatiker in diesem Monat am Rande der Tagung der ehrwürdigen Shakespeare Association of America bei einem „Jazz Funeral“ noch einmal zu Grabe getragen.

Ist, was derzeit rund um den großen Briten passiert, noch Gedenken oder schon absurdes Theater? Claudia Olk, Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Anglistik am Peter- Szondi- Institut der Freien Universität, schmunzelt: „Es mutet mitunter schon kurios an.“ Claudia Olk ist Expertin sowohl für Shakespeares Werk als auch für Samuel Becketts absurdes Theater. Derzeit arbeitet die Literaturprofessorin, die seit 2014 der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft als Präsidentin vorsteht – als erste Frau der 1864 gegründeten Gesellschaft –, an einer Monografie zu Shakespeare und Beckett. Dass es eine solche noch nicht gibt, mag überraschen, hatte die Literaturwissenschaft doch bereits in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg Shakespeare als Vorreiter des absurden Theaters und als Existenzialist – avant la lettre – entdeckt.

Romeo und Julia als Vorbilder für Winnie und Willie

Claudia Olk aber geht noch einen Schritt weiter. Sie interessiert sich nicht nur für den nachgewiesenen Einfluss des britischen Autors auf den Iren Beckett, sondern auch dafür, wie Nachgeborene sich ihre Klassiker gewissermaßen erfinden: „ Shakespeare beeinflusste nicht nur seine direkten Nachfolger. Die Autorinnen und Autoren der späteren Zeit entdecken in Shakespeare etwas, das für ihre Werke fundamental relevant ist. Indem man Shakespeare mit Becketts Augen liest, entdeckt man Facetten bei Shakespeare, die man sonst wahrscheinlich nicht gesehen hätte.“ Die Figuren im Drama Romeo und Julia betrachtet Claudia Olk gewissermaßen als Vor-Beckett’sches Paar, Winnie und Willie aus Becketts „Happy Days“ (1960) wiederum als Nach-Shakespeare’sches Paar. „Die beiden Liebenden bei Beckett erreichen sich im Theater ganz praktisch nicht. Winnie ist lebendig begraben, und auch Willie ist nicht mehr mobil. Beckett hat die Shakespeare’sche Tragik prägnant reduziert. Das ist natürlich eine drastische Situation, die sich metaphorisch auf Romeo und Julia beziehen lässt: Julia wird lebendig begraben, und die Liebenden bleiben getrennt.“

Ihre Studierenden leitet Claudia Olk wie in diesem Semester in einem Seminar zu „Shakespeare und die Weimarer Klassik“ zu möglichst sorgfältiger Klassiker-Lektüre an. „Es geht nicht so sehr allein um den Plot, sondern um die Art der Schilderung. Ich gehe immer sehr textnah vor.“ Im Shakespeare-Jahr ist der Terminkalender der Professorin dicht gefüllt. So initiiert sie unter anderem mehrere Tagungen: Im Frühjahr geht es in Bochum etwa um den Garten als Metapher und Dramenschauplatz, „Shakespeare’s Green Worlds“, und im Herbst in Weimar um Shakespeares Dramen-Enden, „Shakespeare’s Endgames“. Aber war der am 23. April 1616 verstorbene Mann überhaupt der Verfasser der berühmten Dramen? Mehr als 80 mögliche Autoren sind im Spiel. Auch der Blockbuster Anonymus widmete sich 2011 dieser Frage. Im englischen Stratford-upon-Avon versucht man, mit archäologischen Grabungen Fakten zu schaffen. Jüngst wurde ein Schweineknochen in Shakespeares Küche geborgen; spektakulärer wäre der Fund von Schreibwerkzeug. Aber auch ohne eindeutige Belege geht Olk, wie viele Fachleute, bis zum Beweis des Gegenteils „getrost davon aus, dass William Shakespeare der Autor der ihm zugeschriebenen Stücke war“.

In der Vorlesungsreihe „Shakespeare 2016“ an der Freien Universität wird am 19. April Professorin Diana Henderson vom MIT in Cambridge/USA einen Shakespeare-Workshop anbieten, am 31. Mai wird Professor Andreas Höfele von der LMU München über „Hamlet Now: Berlin 1989“ und am 7. Juli Professor Richard Wilson von der Kingston University in London über „The Madness of Charles III: Shakespeare and the Modern Monarchy“ vortragen.

Johanna Di Blasi

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