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Sichtbar wirksam: Auf einen grün eingefärbten Bakterienrasen sind vier Tropfen verschiedener Antibiotika aufgebracht worden. Der unterschiedlich breite weiße Ring zeigt, wie wirksam das Antibiotikum ist: An den weißen Stellen sind die Bakterien abgetötet.

© istockphoto

Antibiotikaresistenzen: Vom Immunsystem des Mehlkäfers lernen

Der Evolutionsbiologe Jens Rolff arbeitet an einem Gerät, das bei der Vorhersage der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen bei Bakterien hilft.

Lange galten durch Bakterien verursachte Krankheiten wie Tripper oder Tuberkulose als besiegt, nun kehren sie zurück. Denn immer mehr Erreger entwickeln Resistenzen gegen Antibiotika. Jens Rolff, Professor für Evolutionsbiologie am Institut für Biologie der Freien Universität Berlin, beobachtet den Feind bei der Arbeit und vergleicht verschiedene Gegenstrategien im Experiment.

„Es dauert im Schnitt nur zwei Jahre, bis erste Resistenzen gegen ein neues Antibiotikum auftreten“, sagt Jens Rolff. Deshalb lohne es sich für Pharmafirmen kaum, neue Medikamente zu entwickeln. Mit „Antibiotic Stewardship“, also einem Management für den Antibiotika-Einsatz, versuchen Kliniken, das Problem in den Griff zu bekommen: Sie entwickeln Pläne für die Auswahl, Dosierung, Anwendung und Kombination von Antibiotika, um das beste Ergebnis mit minimalen Nebenwirkungen und möglichst geringen Kosten zu erzielen. Dabei greifen sie vor allem auf Erfahrungen zurück, denn es gibt bisher kein wissenschaftliches Verfahren, mit dem die Bildung von Resistenzen vorhergesagt werden könnte.

„Wie sich Resistenzen entwickeln, ist im Grunde noch nicht gut untersucht“, sagt Jens Rolff. „Evolvieren“ ist der Fachbegriff, denn vor allem durch den Prozess der Evolution – also durch genetische Veränderungen und Selektion über Generationen hinweg – breiten sich resistente Erreger aus. Bakterienstämme, die aufgrund ihrer Gene unempfindlich für einzelne Medikamente sind, gibt es zwar schon lange, außerdem kommen durch zufällige genetische Veränderungen immer neue hinzu. Durch den breiten Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier werden ihre empfindlichen Artgenossen jedoch häufig ohne hinreichenden Grund abgetötet, sodass sich die Bakterien mit Resistenzgenen konkurrenzlos vermehren können.

In wenigen Wochen simulieren, was sonst Jahre dauert

Diesen Mechanismus der Selektion hätten Mediziner häufig nicht im Blick, sagt Jens Rolff. Das soll sich ändern: Gemeinsam mit Ulrich Kertzscher und Klaus Affeld vom Labor für Biofluidmechanik an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, arbeitet der Wissenschaftler an einem kompakten Laborgerät namens „EvolChip“, mit dem sich die Wirkung verschiedener Antibiotika auf die Evolution von Bakterien experimentell nachvollziehen lässt. Der Europäische Forschungsrat (ERC) bewilligte für das Projekt den renommierten „Proof of Concept Grant“, der mit 150 000 Euro dotiert ist.

„Innerhalb weniger Wochen simulieren wir, was in natürlicher Umgebung mehrere Jahre dauert“, erklärt Jens Rolff. „Wir wollen beobachten, vergleichen und schließlich vorhersagen, wie Resistenzen unter verschiedenen Bedingungen entstehen.“ Mit „EvolChip“ hätten die Labormediziner in der Klinik erstmals die Chance, der Evolution einen Schritt voraus zu sein: Anstatt wie bisher nur zu testen, gegen welche Medikamente die Bakterien eines Patienten schon resistent sind, könnten sie herausfinden, welche Wirkstoffe, Kombinationen und Dosis die genetische Anpassung verlangsamen.

Jens Rolff
Jens Rolff

© Foto. Bernd Wannenmacher

Mit einer Mikropumpe werden Antibiotika sehr fein dosiert und zielgenau in eine Bakterienkultur hineingegeben, die in einer Nährlösung mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 60 Minuten pro Generation heranwächst. Die Mikroorganismen sind leuchtend eingefärbt – so ist deutlich zu erkennen, wo sie nicht durch die Medikamente abgetötet werden, sondern sich vermehren. „Wir können resistente Bakterien mit einer Spritze entnehmen, ihr Genom sequenzieren und feststellen, welche genetischen Veränderungen sie aufweisen.“ Zwar herrschen im Nährmedium nicht dieselben Bedingungen wie im Körper eines Patienten. Interessant sei aber vor allem der Effekt verschiedener Abfolgen, Konzentrationen und Kombinationen von Antibiotika im Vergleich. „Eine vergleichende Vorhersage, die auf einem erprobten wissenschaftlichen Modell basiert, ist sehr viel besser als gar keine Vorhersage.“ Das Modell könne dem Klinikpersonal bei Entscheidungen zu Einsatz und Dosierung von Antibiotika helfen, aber auch die Forschung voranbringen.

Von der Immunabwehr bei Insekten lernen

Eigentlich interessiert sich Jens Rolff für das komplexe Immunsystem von Insekten. Käfer, Fliege und Schmetterling produzieren gleichzeitig Dutzende verschiedener sogenannter antimikrobieller Peptide (AMP), um sich vor Bakterien zu schützen. Beim Menschen sind AMP etwa auf der Haut und den Schleimhäuten vorhanden. Die Aminosäureketten wurden in der Human- und Tiermedizin schon als neue Wunderwaffe gegen Mikroorganismen diskutiert, doch diese Hoffnung hat sich bisher nicht erfüllt. Jens Rolff verspricht sich mehr davon, das Gesamtkonzept der Immunabwehr bei Insekten zu analysieren und daraus zu lernen: „Der Mehlkäfer produziert bei Bedarf einen ganzen Cocktail von Abwehrstoffen. Das ist für seinen Stoffwechsel zwar sehr aufwendig, aber effektiv. In der Humanmedizin wäre das vergleichbar mit einer Kombinationstherapie, wie man sie gegen Viren wie HIV bereits einsetzt.“

Das komplexe Immunsystem des Mehlkäfers führte Jens Rolff auf die richtige Spur.
Das komplexe Immunsystem des Mehlkäfers führte Jens Rolff auf die richtige Spur.

© R. Naylor

In seinem Forschungsprojekt „Evoresin“, das auch vom Europäischen Forschungsrat (ERC) gefördert wurde, hat Jens Rolff die Wirkung von AMP- Cocktails auf Bakterien mit der Wirkung von Antibiotika verglichen. Um den Wettlauf der Evolution unter möglichst realistischen Bedingungen nachzustellen und zu beobachten, entstand in Zusammenarbeit mit Ingenieuren der Charité der Vorgänger des EvolChip-Geräts.

Wie EvolChip für den Klinikalltag optimiert werden kann, darüber berät sichJens Rolff mit Human- und Veterinärmedizinern aus der Praxis. Dank der Förderung kann sich ein Postdoktorand in Vollzeit um die Weiterentwicklung und Testläufe kümmern. Geschäftsmodell und Vertriebskonzept erarbeiten die Wissenschaftler zusammen mit dem Team von Profund Innovation, der Service-Einrichtung für Wissens- und Technologietransfer in der Abteilung Forschung der Freien Universität. Ziel ist ein markttaugliches Gerät, das zunächst in einem Universitätsklinikum getestet werden soll. Unternehmer werden möchte der Forscher Jens Rolff aber nicht, das überlässt er lieber Mitarbeitern, die sich mehr dafür begeistern können. „Doch es würde mich sehr freuen, wenn unsere Idee tatsächlich in der Praxis ankommt.“

Marion Kuka

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