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Intelligente Systeme sind anpassbar wie die weiche Roboterhand, die sich auf das zu ergreifende Objekt einstellen kann.

© Felix Noak

Exzellenzcluster Science of Intelligence: „Von der Natur zum Roboter und zurück“

Die unterschiedlichen Definitionen und welche Auswirkungen der Einsatz von KI hat, diskutieren drei Forschende des Clusters Science of Intelligence.

Künstliche Intelligenz (KI) wird unseren Alltag grundlegend verändern – so sagen es wissenschaftliche Studien vor- aus. Der Exzellenzcluster Science of Intelligence (SCIoI) beschäftigt sich ganz grundlegend mit allen Facetten der Intelligenz: Welche fundamentalen Prinzipien liegen den unterschiedlichen Formen von Intelligenz zugrunde? In dem Cluster kooperieren Forschende aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen, von der Psychologie, der Medizin, der Robotik bis hin zur Philosophie, daher ist die Begriffsschärfung ein wesentliches Etappenziel.

„In der Informatik und Robotik definieren wir künstliche Intelligenz als ein Verhalten bei technischen Systemen, das wir bei biologischen Systemen als intelligent bezeichnen würden“, sagt Verena Hafner, Professorin für Adaptive Systeme an der Humboldt-Universität. „Nicht nur Menschen, sondern auch einzelne Tiere, Fischschwärme oder Roboter können intelligent sein. Intelligentes Verhalten bei künstlichen Systemen kann völlig anders aussehen als bei Menschen.“

Ihr Kollege John-Dylan Haynes, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der Humboldt-Universität und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, definiert Intelligenz so: „In der Psychologie hat die Intelligenzforschung eine lange Tradition. Der berühmte Intelligenzquotient gilt dort als Maß für geistige Leistungsfähigkeit. Aber auch die psychologischen Intelligenzforscher finden nur schwer eine gemeinsame Definition. Es gibt immer noch keine Einigkeit über die Grundmechanismen menschlicher Denkprozesse.“ Sabine Ammon hält die Spannungen zwischen den Disziplinen für unvermeidbar: „Wir können sie aber produktiv nutzen und Unstimmigkeiten als Auslöser neuer Denkansätze sehen“, sagt die Professorin für Philosophie an der Technischen Universität Berlin. „Allein in der Philosophie versuchen wir seit mehr als 2000 Jahren das Denken zu verstehen. Was heute als Intelligenz diskutiert wird, wurde zu anderen Zeiten Verstand oder Geist genannt.“

In einem Programm wird jede neue Theorie nachgebaut

Damit bei so unterschiedlichen Zugängen Zusammenarbeit überhaupt gelingen kann, haben sich die Forschenden vorab auf ein paar zentrale Kriterien für Intelligenz geeinigt: Sie ist anpassbar, liefert nicht nur Lösungen für Nischenprobleme, sondern ist in vielen Anwendungssituationen einsetzbar. „Intelligente Lösungen sind elegant und effektiv, sie arbeiten nicht mit der Brechstange. In einem Schachcomputer werden mit viel Rechenleistung alle denkbaren Handlungsoptionen durchgespielt. Die meisten Alltagsprobleme sind aber mit hohem Zeitdruck verbunden. Da bleibt keine Gelegenheit, alle Optionen durchzuspielen“, erläutert Haynes. „Intelligent ist es, die erfolgversprechendsten Lösungsoptionen auf effektive Weise herauszufiltern und nur diese auszuprobieren.“

Neben dieser gemeinsamen Arbeitsdefinition spielen künstliche Systeme eine zentrale Rolle im Cluster. „Jede neue Theorie wird in einem Roboter oder einem Computerprogramm nachgebaut. Damit können wir testen, ob das System sich wirklich intelligent verhält“, sagt Verena Hafner. „Das ist keine Einbahnstraße. Das Verhalten der künstlichen Systeme hilft uns, bessere Fragen an natürliche Systeme zu stellen. Diese Schleife – von der Natur zum Roboter und wieder zurück – ist ein zentrales Arbeitsprinzip im Cluster.“

Dabei setzen die Forschenden voraus, dass der Intelligenzbegriff nicht statisch ist. „Menschliche Intelligenz entsteht immer im Austausch von Kultur und Technik. Durch den Einsatz intelligenter Maschinen und Systeme werden sich unsere Kulturtechniken verändern – und damit auch das, was wir als intelligentes Verhalten bezeichnen“, sagt Sabine Ammon.

Die Auswirkungen des wachsenden Anteils künstlicher Intelligenz in unserem Alltag zu erforschen, gehört ebenfalls zu den Zielen von SCIoI. „Laut einer Forschungsarbeit aus dem Jahr 2013 sollten potenziell 47 Prozent aller Jobs durch Computer ersetzt werden. Diese Studie wurde damals in allen Medien zitiert“, erinnert sich Haynes. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich aber: Die Studie war zu undifferenziert, und die Einschätzung musste stark relativiert werden.

Lehrer sind absehbar nur schwer durch Maschinen zu ersetzen

Heute geht man von viel geringeren Quoten aus, einige Studien sehen sogar eine Nettozunahme der Arbeitsplätze. „Im Zuge technischer Entwicklungen sind schon immer einige Berufe obsolet geworden. Heute bedauert niemand, dass es keine Lieferanten für Eisblöcke, Gaslampenanzünder, Liftboys oder Telefonvermittler mehr gibt“, sagt Haynes. „Berufe, die manuelle Geschicklichkeit oder soziale Interaktionen und Einfühlungsvermögen erfordern, wie Friseur und Lehrer, sind absehbar nur schwer durch Roboter zu ersetzen. Entscheidend ist jedoch, dass es uns gelingt, eine harmonische Partnerschaft zwischen Mensch und Maschine zu erreichen. Gerade im Zusammenspiel zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz liegt ein großes Potenzial.“

Die aktuellen Veränderungen sehen die Forschenden als eine Aufforderung, aktiv zu werden. Niemand ist in der Lage, gesellschaftliche Veränderungen vorauszusehen. Daher können Überlegungen über zukünftige Entwicklungen nur aus der Erfahrung der Gegenwart heraus angestellt werden. Inwiefern diese Voraussagen Wirklichkeit werden, liegt auch in der Hand der Gesellschaft.

„Das Thema künstliche Intelligenz polarisiert: paradiesartige Verheißungen treffen auf Weltuntergangsängste. Hinzu kommt das Gefühl einer großen zeitlichen Beschleunigung der technologischen Veränderungen und die Sorge, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden“, sagt Ammon. „Aber ich bin optimistisch, dass unsere Gesellschaft robust genug ist, angemessene Antworten auf die neuen Herausforderungen zu finden.“ Ein Schlüssel liege sicherlich im Faktor Zeit. „Es braucht einen gesellschaftlichen Dialog und ausreichend Zeit für Lernprozesse und die Ausgestaltung der neuen Technologien im Einklang mit unseren Wertvorstellungen.“

Katharina Jung

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