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Landschaft der heutigen Caldera von Santorin unweit des Unterseevulkans Kolumbo.

© Jonas Preine/GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Vulkan-Ausbruch vor 370 Jahren: Forschende entschlüsseln Ursachen für Tsunami im Mittelmeer

Ein Tsunami wütete vor rund 370 Jahren in der griechischen Ägäis. Zuvor war der Unterwasservulkan Kolumbo ausgebrochen. Eine Studie zeigt nun, warum das Ereignis so heftig war.

Von Valeria Nickel, dpa

Das Zusammenspiel von gleich zwei Phänomenen führte zu dem verheerenden Tsunami nach dem Ausbruch des Kolumbos vor 373 Jahren. Wie eine im Fachblatt „Nature Communications“ veröffentlichte Studie des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung berichtet, sei für die Riesenwellen nicht nur die Vulkan-Explosion, sondern auch ein Hangrutsch verantwortlich gewesen.

Die Augenzeugenberichte klingen dramatisch: Nachdem das Wasser schon einige Wochen seine Farbe verändert und gekocht habe, habe sich im Spätsommer 1650 ein Unterwasservulkan nordöstlich der griechischen Mittelmeerinsel Santorini aus dem Meer erhoben. Flammen und Blitze sowie Rauchfahnen und glühende Felsbrocken sollen zu sehen gewesen sein, als der Kolumbo explodierte. Das Wasser habe sich plötzlich zurückgezogen, bevor es mit aller Wucht zurückkam und die Küste überflutete. Die Menschen hätten noch in 100 Kilometer Entfernung einen lauten Knall gehört, viele sollen aufgrund einer Giftgaswolke gestorben sein.

Warum die Explosion so heftig war

„Diese Einzelheiten vom historischen Ausbruch des Kolumbos kennen wir, weil es zeitgenössische Berichte gibt, die im 19. Jahrhundert von einem französischen Vulkanologen zusammengetragen und veröffentlicht worden sind“, sagt Jens Karstens, mariner Geophysiker vom Geomar-Institut, in einer Mitteilung und erläutert: „Wir wollten verstehen, wie der Tsunami damals zustande gekommen ist und warum der Vulkan so heftig explodiert ist.“

Die vorletzte Expedition der inzwischen außer Dienst gestellten „FS Poseidon“ führte in die griechische Ägäis, wo GEOMAR-Forschende den 1650 ausgebrochenen Unterwasservulkan Kolumbo untersuchten.

© Paraskevi Nomikou/GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und Griechenland fuhren 2019 mit dem Forschungsschiff „Poseidon“ in die griechische Ägäis, wo sie mithilfe von 3D-Seismik ein Abbild des heute 18 Meter unter der Wasseroberfläche liegenden Kraters erstellten. Mit der 3D-Seismik lässt sich der Untergrund anhand von Schallwellen untersuchen. Bei dieser Messmethode macht man es sich laut Geomar zunutze, dass Schallwellen an Schichtgrenzen teilweise reflektiert werden. So können Querschnittsprofile von geologischen Strukturen unterhalb des Meeresbodens erstellt werden.

Dreidimensional ist die Seismik, wenn – im Gegensatz zur 2D-Reflexionsseismik – mehrere Messkabel parallel hinter dem Forschungsschiff geschleppt werden. Das Ergebnis ist ein genaues räumliches Abbild des Untergrunds.

Jenes Abbild zeigte zum einen, dass der Krater einen Durchmesser von 2,5 Kilometern und eine Tiefe von 500 Metern hat, was tatsächlich auf eine gewaltige Explosion schließen lässt. Zum anderen fiel dem Team auf, dass der Hang des Vulkankegels an einer Seite verformt ist, auf der anderen aber glatt. Daraus schlossen die Forschenden, dass der Hang damals abgerutscht sein muss.

Das hatte einen Effekt, als wenn man eine Sektflasche entkorkt.

Jens Karstens, Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung

„Der Kolumbo besteht zu großen Teilen aus Bimsstein mit sehr steilen Hängen. Der ist nicht sehr stabil“, führt Karstens aus. Während der Eruption, die schon einige Wochen im Gange gewesen sei, sei laufend Lava ausgestoßen worden. „Darunter, in der Magmakammer, in der viel Gas enthalten war, herrschte ein enormer Druck. Als dann eine Flanke des Vulkans abgerutscht ist, hatte das einen Effekt, als wenn man eine Sektflasche entkorkt“, so Karstens: „Das Gas aus dem Magmasystem konnte sich durch die plötzliche Entlastung ausdehnen, und es kam es zu der gewaltigen Explosion.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen im nächsten Schritt Computersimulationen, um zu rekonstruieren, wie hoch die Wellen gewesen wären, wenn allein die Vulkanexplosion sie ausgelöst hätte. „Danach wären an einer Stelle sechs Meter hohe Wellen zu erwarten, wir wissen aber aus den Berichten der Zeitzeugen, dass sie hier 20 Meter hoch waren“, erklärt Studienleiter Karstens.

Zudem habe sich den historischen Berichten zufolge das Meer an einer anderen Stelle zunächst zurückgezogen, in der Computersimulation komme aber zuerst ein Wellenberg an der Küste an. Entsprechend könne die Explosion allein das Tsunami-Ereignis nicht erklären – dies gelang erst durch die Einbeziehung der Hangrutschung in das Modell. „Die Kombination von hochauflösenden geophysikalischen Datensätzen und historischen Augenzeugenberichten bietet die einzigartige Möglichkeit, die Abfolge der vulkanischen Prozesse zu rekonstruieren, die die Explosion von 1650 und den Tsunami auslösten“, schreiben die Forschenden dazu in ihrer Studie.

Laut Geomar liefert die Untersuchung auch Erkenntnisse für neue Monitoring-Programme aktiver Unterwasservulkane. „Wir hoffen, auf der Basis unserer Ergebnisse neue Ansätze für vulkanische Tsunamis entwickeln zu können“, sagt Jens Karstens: „Vielleicht wird es irgendwann ein Frühwarnsystem geben, das mit Daten in Echtzeit arbeitet. Das wäre mein Traum.“

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