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Forschen in der Philologischen Bibliothek der FU.

© mauritius images / Bernhard Classen / Alamy

Was Hanna wirklich hilft: Für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft

Schluss mit Hire und Fire in der Wissenschaft: Das sollte sich ändern, damit Karriereperspektiven wirklich verbessert werden. Ein Gastbeitrag.

Jule Specht ist Professorin für Persönlichkeitspsychologie, Tobias Rosefeldt ist Professor für klassische deutsche Philosophie. Beide lehren und forschen an der Berliner Humboldt-Universität.

#IchBinHanna ist längst kein reines Twitter-Phänomen mehr. Die Initiative für bessere Beschäftigungsbedingungen und Karriereperspektiven in der Wissenschaft ist in der breiteren Öffentlichkeit angekommen, war Thema im Bundestag und hat die Solidarität mehrerer wissenschaftlicher Fachgesellschaften erfahren.

Dabei ist deutlich geworden, dass ein breiter Konsens darüber besteht, dass #IchBinHanna ein veränderungsbedürftiges Problem adressiert. Nur fühlt sich bisher kaum jemand zuständig, das Problem tatsächlich zu beheben. Dabei gibt es auf allen Ebenen genug zu tun. Wir haben Vorschläge für die drei wichtigsten Player.

Das sollte der Bund tun

Kern der Kritik von #IchBinHanna betrifft ein Bundesgesetz, nämlich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Es hebelt die allgemeinen Befristungsregeln in Deutschland aus und erlaubt die Befristung von Wissenschaftler:innen über einen Zeitraum von in der Regel zwölf Jahren.

Somit ist der überwiegende Teil der Wissenschaftler:innen auch nach der Promotion noch über viele Jahre befristet beschäftigt. Und nach diesen zwölf Jahren folgt statt einer Entfristung meist das Ende der wissenschaftlichen Karriere und ein Neustart außerhalb der Universitäten. Unter diesem Hire-and-Fire-System leiden nicht nur Wissenschaftler:innen, sondern auch die Wissenschaft selbst.

Der Bund steht also in der Verantwortung, dieses Gesetz zu verbessern. Forschungsministerin Anja Karliczek schiebt das jedoch auf die lange Bank und verweist auf andere: die Länder, Hochschulen und „Doktorväter“ (sic!). Applaus kommt dafür nur von Union und AfD, alle anderen Fraktionen scheinen sich einig darin, dass es grundlegender Änderungen bedarf.

Bundesministerin Anja Karliczek (CDU) schiebt Probleme auf die lange Bank, kritisieren unsere Autor:innen.
Bundesministerin Anja Karliczek (CDU) schiebt Probleme auf die lange Bank, kritisieren unsere Autor:innen.

© imago images/Jürgen Heinrich

Eine Novellierung des Gesetzes sollte weiterhin Befristungen während der Promotionszeit und in befristeten Drittmittelprojekten erlauben. Im Anschluss an die Promotion müssen aber Stellen mit Perspektive zum Standard werden, also Tenure-Track-Professuren oder unbefristete Stellen im Mittelbau. Der deutsche Sonderweg, promovierte Wissenschaftler:innen viele weitere Jahre auf Qualifikationsstellen zu befristen und das damit zu begründen, dass man sie weiter ausbilde, muss beendet werden.

Der Bund hat darüber hinaus über die Verteilung von Forschungsgeldern ein starkes Lenkungsinstrument in den Händen. In der Vergangenheit hat er durch die rastlose Logik der Fünf-Jahres-Pläne im Rahmen der Exzelleninitiative dazu beigetragen, dass unzählige befristete Beschäftigungsverhältnisse entstanden sind.

Daraus erwächst eine besondere Verantwortung für die Zukunft. Klare Zusagen zur Schaffung einer nachhaltigeren Personalstruktur sollten in der künftigen Exzellenstrategie genauso zu den Bedingungen für finanzielle Förderung zählen, wie das jetzt schon für Gleichstellungskonzepte gilt.

 Das sollten die Länder tun

Der Bereich Wissenschaft liegt maßgeblich in der Verantwortung der Länder. Über Hochschulgesetze und -verträge sollten Impulse gesetzt werden, um die Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern.

So sieht die geplante Novelle des Berliner Hochschulgesetzes einen Departmentstruktur-Paragraphen vor. Dieser soll „neue Organisationsformen“ an den Universitäten ermöglichen, zum Beispiel mit einem größeren Anteil selbstständig und unbefristet forschender und lehrender Wissenschaftler:innen, die sich Ressourcen kollegial teilen. Die Departmentstruktur grenzt sich dabei ab von der Lehrstuhlstruktur, mit einzelnen Professor:innen an der Spitze, denen viele abhängig und befristet beschäftigte Wissenschaftler:innen zugeordnet sind.

Die Autor:innen: Tobias Rosefeldt und Jule Specht.
Die Autor:innen: Tobias Rosefeldt und Jule Specht.

© Imago/Jens Gyarmaty

Über die rechtlichen Rahmenbedingungen hinaus sollten die Länder auch finanzielle Anreize dafür setzen, den Strukturwandel an den Universitäten tatsächlich umzusetzen.

Möglich ist das unter anderem über den Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“. Darin haben sich die Länder dazu verpflichtet, die vom Bund zugewiesenen Mittel zur Schaffung von mehr Stellen mit Entfristungsperspektive sowie für die Entwicklung zeitgemäßer Personalstrukturen einzusetzen. Dieser Verpflichtung gilt es nun nachzukommen.

 Das sollten die Universitäten tun

Wer sich - wie wir - innerhalb einer Universität für eine nachhaltige Personalstruktur engagiert, wird meist zwei Erfahrungen machen: Zum einen wird dem Grundanliegen durchaus viel Sympathie entgegengebracht und zwar über die Statusgruppen hinweg. Zum anderen droht jeder konkrete Schritt zu einer Veränderung von unzähligen Bedenken und Sorgen ausgebremst zu werden.

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Das ist nicht verwunderlich. Ein Wandel der Stellenstruktur an einer Universität bringt einen Wandel der gesamten Kultur der Verteilung von Mitteln und der Besetzung von Stellen mit sich. Stellen mit einer langfristigen Perspektive sollten nicht von einzelnen Lehrstuhlinhaber:innen im Alleingang besetzt werden, denn ihre Einrichtung hat langfristige institutionelle Folgen.

In einer Departmentstruktur können folglich Konflikte zu Tage treten, die sich im gegenwärtigen Lehrstuhlsystem durch die individuelle und befristete Mittelzuweisung gut kaschieren lassen. Ein Strukturwandel erfordert deswegen von allen Beteiligten Mut, Vertrauen und Ausdauer. Diese Dinge lassen sich nicht von oben anordnen. Aber sie lassen sich fördern und dort, wo sie vorhanden sind, unterstützen. Und dazu können Universitätsleitungen und -gremien jeweils ihren Beitrag leisten.

Nötig sind Bottom-Up-Initiativen

Die Universitätsleitungen sollten Bottom-Up-Initiativen für eine nachhaltige Personalstruktur an ihren Universitäten beratend unterstützen und im besten Fall auch Anreize dazu setzen, zum Beispiel in Form von zusätzlichem Personal im Wissenschaftsmanagement.

Gerade die Berliner Universitäten haben im Hinblick auf ihre Berufungsstrategie ein genuin eigenes Interesse an solchen Initiativen. Denn Berlin ist als Standort für die besten Wissenschaftler:innen aus aller Welt attraktiv und könnte diese auch ohne gigantische Ausstattung dauerhaft halten – vorausgesetzt, es gibt in der entscheidenden Karrierephase hinreichend attraktive Stellen, damit sie sich für Berlin entscheiden.

Die unbefristet beschäftigten Wissenschaftler:innen sollten sich daran erinnern, dass auch sie früher einmal Hannas waren. Sie können zusammen mit allen Statusgruppen eine Diskussion darüber führen, wie Institute so umgestaltet werden könnten, dass mehr unbefristete und unabhängige Kolleg:innen dort tätig sein können.

Solche Diskussionen haben an den Berliner Universitäten an verschiedenen Stellen bereits begonnen. Im besten Fall führen sie zu der Einsicht, dass gleichgestellte Kolleg:innen einen Mehrwert darstellen, der den Verzicht auf abhängig beschäftigtes Personal aufwiegt.

Von den jetzigen Hannas schließlich wünschen wir uns, dass sie ihren Protest auf Twitter in die universitären Gremien tragen. Denn dort wird letztlich entschieden, wie wir in Zukunft an der Universität miteinander forschen und lehren wollen.

Jule Specht, Tobias Rosefeldt

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