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Wissen: Wenn Pflanzen Glatzen haben

Spärlicher Haarwuchs im Bergwald: Ein FU-Botaniker untersucht Blumennesseln in den Anden

Nicht nur Männer leiden unter Glatzen. Offenbar kommen unter bestimmten ökologischen Bedingungen auch Pflanzen die Haare abhanden, wie der FU-Botaniker Maximilian Weigend herausfand. Weigend untersuchte in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt die Evolution und Ökologie der Blumennesselgewächse, deren rund 300 verschiedene Arten in den Andenregionen Südamerikas leben.

Klebrige Insektenfallen

Stiel, Blätter, Kelchblätter und Griffel der Pflanze sind behaart, selbst an der Innenseite des Fruchtknotens sind Haare zu finden. Weigend konnte vier Haartypen an den Blumennesseln feststellen. Die auffallendsten sind die Brennhaare, die bei jeder Berührung wie Injektionsnadeln in die Haut eindringen und zu schmerzhaftem Ausschlag führen. Daneben gibt es Drüsenhaare, durch die sich manche Blumennesselarten vor Insektenbefall schützen. An deren Ende tritt ein öliges Sekret aus, das an dem Insekt kleben bleibt.

Am interessantesten sind jedoch die rauen Haare und die Hakenhaare, die es nur bei den Blumennesseln und einer ihr verwandten Pflanzenfamilie gibt. Die Hakenhaare haben lange, hakenförmige Auswüchse auf der Oberfläche. Bei den rauhen Haaren sind sie nur sehr kurz. Sie wachsen an den Blättern und sind zum Schutz der Pflanze mit Mineralien angereichert.

„Die Haare fühlen sich wie Asbestwolle an“, sagt Weigend. „Für die Tiere, die ein Blatt fressen, ist es, als hätten sie Glasstaub im Maul.“ Die Haare schützen die Pflanze vor extremer Sonneneinstrahlung im Hochgebirge. In äußerst trockenen Gegenden wie der Atacama-Wüste nutzen manche Blumennesseln ihre rauen Haare, um den Nebel aus der Luft zu kämmen und sich mit Wasser zu versorgen. Die Behaarung der Blumennesseln korreliert mit dem Lebensraum. Blumennesseln in trockenen Wüstenregionen haben ein dichtes Haarkleid.

Reizvolle Frucht

Je feuchter die Lebensräume sind, desto kürzer und spärlicher der Haarwuchs der Pflanzen. „Arten aus sehr feuchten Bergwäldern neigen zu Glatzen“, sagt Maximilian Weigend.

Dass selbst bei den fast kahlen Pflanzen die Fruchtknoten sehr dicht mit verschiedenen Haartypen bedeckt sind, erklärt der Botaniker mit der Schutzwirkung der Haare. Der Fruchtknoten sei der wichtigste Teil der Pflanze, da in ihm die Samen gebildet werden. Die Frucht sei deshalb für Tiere besonders reizvoll und müsse vor Fressfeinden geschützt werden.

Unter dem Rasterelektronenmikroskop erkennt man, dass sich am Ende der Brenn- und Hakenhaare eine ankerförmige Spitze befindet. Diese „Enterhaken“ sorgen dafür, dass die Fruchtkapsel am Fell vorbei kommender Tiere haften bleibt und die Samen auf diese Weise als „blinde Passagiere“ verbreitet werden.

Weigends Forschung im Internet:

www.biologie.fu-berlin.de/sysbot/weigend/start.html

Ilka Seer

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