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Der Henry-Ford-Bau mit Universitätsbibliothek wurde von 1952 bis 1954 nach Plänen von Franz Heinrich Sobotka und Gustav Müller errichtet. Er war nach der Mensa das zweite eigene Gebäude der Universität, die zunächst provisorisch in ehemaligen Gebäuden der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und in Villen untergebracht war.

© Bernd Wannenmacher

Geschichte der Freien Universität: Wie der Henry-Ford-Bau zu seinem Namen kam

Die Spurensuche rund um eine Großspende aus den USA vor 76 Jahren an die damals junge Freie Universität Berlin.

Zur feierlichen Einweihung des neuen Hörsaalgebäudes der Freien Universität Berlin, das am 19. Juni 1954 den Namen Henry-Ford-Bau erhielt, fanden sich in Dahlem zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland ein. Berlins Regierender Bürgermeister Walther Schreiber vollzog die Schlüsselübergabe an den Rektor der Freien Universität, Ernst Eduard Hirsch, der die erste Festansprache hielt. Auf ihn folgten der amerikanische Hochkommissar James Bryant Conant, Bundesinnenminister Gerhard Schröder, der Senator für Bildung, Jugend und Familie, Joachim Tiburtius, der Vorsitzende der kurz zuvor gegründeten Ernst-Reuter-Gesellschaft, Paul Hertz, und Klaus-Dietrich Gotthardt für den damaligen Allgemeinen Studenten-Ausschuss. 

Die Ford Foundation spendete 7,4 Millionen D-Mark

Zu den 1500 Festgästen gehörten unter anderem Vizekanzler Franz Blücher, Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, zahlreiche Diplomaten, Bundestagsabgeordnete sowie Vertreter westdeutscher und ausländischer Universitäten. Die Ford Foundation hatte zum Bau der Mensa und des Hörsaalgebäudes samt angeschlossener Bibliothek mit 7.402.660 Deutsche Mark beigetragen. Die Spende war drei Jahre zuvor, am 9. Juni 1951 anlässlich des Besuchs von Henry Ford II an der Freien Universität vereinbart worden.

1951 hatten Henry Ford II und Paul G. Hoffman von der Ford-Stiftung in Berlin über eine Großspende verhandelt.
1951 hatten Henry Ford II und Paul G. Hoffman von der Ford-Stiftung in Berlin über eine Großspende verhandelt.

© Landesbildstelle Berlin

Vorausgegangen war dieser Vereinbarung eine Empfehlung des Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten in Deutschland John Jay McCloy vom 15. Januar 1951, der seinem Freund und neuen Präsidenten der Ford Foundation Paul G. Hoffman ein von Shepard Stone verfasstes „Memorandum on the Free University of Berlin“ zusandte. Shepard Stone, Sohn jüdischer Einwanderer aus Litauen, war Sonderberater für öffentliche Angelegenheiten und Informationswesen beim amerikanischen Hochkommissar in Deutschland und damit zuständig für Medien, Kultur und Bildungswesen. Paul G. Hoffman wiederum war bis 1950 für die Umsetzung des Marshall-Plans zuständig gewesen. John Jay McCloy regte an, die Ford Foundation solle sich mit dem wichtigen Projekt Freie Universität befassen und sich selbst aus erster Hand über die neue Universität informieren. Shepard Stone veranschlagte die benötigten finanziellen Mittel auf 25 Millionen Deutsche Mark.

Das Außenministerium wünschte die Förderung

Am 26. April 1951 unterstützte der Deutschlandexperte des State Departments Henry J. Kellermann mit einem Schreiben an Paul G. Hoffman nachdrücklich das Anliegen John Jay McCloys. Das Außenministerium wünsche sehr, dass die Stiftung sich zu einer Förderung der Freien Universität entscheide. Henry J. Kellermann kam 1910 als Sohn eines Berliner Rabbiners zur Welt. Er konnte noch seine juristische Promotion an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität ablegen, bevor er 1937 in die Vereinigten Staaten emigrierte. Nach dem Krieg gehörte Henry J. Kellermann zu den Ermittlern des amerikanischen Militärgeheimdienstes, die Belastungsmaterial für den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46 zusammentrug.

Lange Zeit wurde der Platz vor der Wandelhalle des Hörsaalgebäudes als Parkplatz genutzt. Das Bild aus den fünfziger Jahren zeigt vorn einen Messerschmitt-Kabinenroller.
Lange Zeit wurde der Platz vor der Wandelhalle des Hörsaalgebäudes als Parkplatz genutzt. Das Bild aus den fünfziger Jahren zeigt vorn einen Messerschmitt-Kabinenroller.

© Associated Press

John Jay McCloys, Shepard Stones und Henry J. Kellemanns Bemühungen fielen auf fruchtbaren Boden: Henry Ford, Paul G. Hoffman und der Stellvertretende Präsident der Ford Foundation Robert Maynard Hutchins reisten persönlich nach Berlin, um sich über die Entwicklung der Freien Universität zu informieren. Am 9. Juni 1951 verhandelten sie mit dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter und dem Rektor der Freien Universität Freiherr von Kress über die Bedingungen einer möglichen Großspende. Ernst Reuter garantierte auf Nachfrage Paul G. Hoffmans eine dauerhafte Existenz der Universität und versprach, es werde im Falle einer Wiedervereinigung „nur eine Universität in Berlin geben, und das wird die Freie Universität sein“. Nur fünf Wochen später, am 16. Juli 1951, telegrafierte Paul G. Hoffman an den Rektor Freiherr von Kress, dass die Ford-Stiftung „das Gesuch der Freien Universität um Zuwendung von 1.309.500 Dollar bewilligt“ hatte.

Neumann warb unermüdlich für die Implementierung der Politischen Wissenschaft

Ein erster Vorschlag zur Namensgebung für das neue Hörsaalgebäude stammte von Franz Leopold Neumann, der in der Gründerzeit der Freien Universität unermüdlich in den Vereinigten Staaten für die Förderung der Hochschule und die Implementierung der Politischen Wissenschaft warb. Franz Neumann, geboren am 23. Mai 1900 in Kattowitz, entstammte einer jüdischen Familie. Er studierte in Frankfurt am Main und lehrte nach seiner juristischen Habilitation an der gewerkschaftlichen Akademie der Arbeit. Er trat 1927 in eine gemeinsame Sozietät mit dem späteren Professor der Freien Universität Ernst Fraenkel ein. Beide Juristen gehörten damals dem Lehrkörper der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) an. Nach seiner kurzzeitigen Verhaftung flüchtete Franz Leopold Neumann 1933 aus Deutschland. In den Vereinigten Staaten arbeitete er von 1936 an am Institut für Sozialforschung in New York, an dem unter anderem Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse und andere Angehörige des von den Nazis in Frankfurt am Main aufgelösten Instituts tätig waren. Seine 1942 veröffentlichte Studie „Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus“ gilt bis heute als Standardwerk der NS-Forschung. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Franz Neumann gemeinsam mit Henry J. Kellermann der Ermittlergruppe zur Vorbereitung des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses an. Seit 1948 lehrte er an der Columbia University in New York, verfasste für die Ford-Stiftung Gutachten über die Entwicklung der Freien Universität, an der er ein Semester lang als Gastprofessor lehrte. Neumann war maßgeblich an der Gründung des Instituts für Politische Wissenschaft beteiligt, das 1959 als Forschungseinrichtung in die Freie Universität integriert wurde.

Zu Gast in Dahlem. US-Präsident John F. Kennedy sprach im Juni 1963 an der Freien Universität. 
Zu Gast in Dahlem. US-Präsident John F. Kennedy sprach im Juni 1963 an der Freien Universität. 

© Reinhard Friedrich/Universitätsarchiv Fotosammlung

Franz Neumanns Vorschlag zur Namensgebung ist in einem Dokument überliefert: Am 31. Juli 1952 – ein Jahr nach dem Besuch der Delegation von Henry Ford II, dem Präsidenten der Ford Foundation, Paul G. Hoffman und seines Stellvertreters Robert Maynard Hutchins – schrieb der Kurator der Freien Universität Fritz von Bergmann an den Rektor Professor Freiherr von Kress, Franz Neumann habe die Frage aufgeworfen, „ob man nicht einige der Hörsäle des neuen Gebäudes nach Persönlichkeiten der Fordstiftung benennen soll, evtl. das Auditorium maximum als Henry-Ford-Saal und zwei andere Hörsäle nach Mr. Hoffman und Mr. Hutchins“.

Nicht der Antisemit Ford wurde geehrt

Am 3. März 1954 befasste sich der Akademische Senat der Freien Universität in seinem zweiten Tagesordnungspunkt mit der „Benennung von Hörsälen im Auditorium maximum nach bestimmten Persönlichkeiten“ und beschloss auf Vorschlag des damals seit acht Monaten amtierenden Rektors Ernst Eduard Hirsch, „dass das Gebäude des Auditorium maximum im ganzen den Namen ,Henry-Ford-Bau‘ tragen soll“. Die seit einigen Jahren verbreitete Behauptung, mit der Namensgebung sei der 1947 verstorbene Antisemit Henry Ford I geehrt worden, ist allein angesichts der Biografie des Rektors der Freien Universität unhaltbar: Ernst Eduard Hirsch, geboren 1902 im hessischen Friedberg, wurde als promovierter und habilitierter Jurist 1930 in Frankfurt am Main zum Richter auf Lebenszeit ernannt. Nachdem er am 30. März 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem Justizdienst entlassen worden war, emigrierte er in die Türkei. Seine Schwester Anni und weitere Familienangehörige wurden in Auschwitz ermordet. Hirsch lehrte in Istanbul und Ankara Handelsrecht und gehörte zu den Wegbereitern der Reform des türkischen Rechtssystems, das an die Stelle der Scharia kodifiziertes Recht setzte. Er nahm die türkische Staatsbürgerschaft an und beabsichtigte, in der Türkei zu bleiben. Ernst Reuter, mit dem er in der türkischen Emigration zusammengearbeitet hatte, überzeugte ihn 1952, einen Ruf an die Freie Universität anzunehmen; Reuter gewann Hirsch dafür, sich an der Ausbildung einer neuen Juristengeneration in Deutschland zu beteiligen.

Am 11. Juni 1954 unterrichtete Don K. Price, Vizepräsident der Ford Foundation, den mittlerweile als Präsident der Stiftung amtierenden H. Rowan Gaither telegrafisch über eine von der Freien Universität zur Einweihung des neuen Hörsaalgebäudes geplanten „Überraschung“. Es sei vorgesehen, einem Gebäude den Namen „Ford Hall“ zu geben. Es stelle sich die Frage, ob Henry Ford zu diesem Vorhaben befragt werden solle. Fords Freund Forrest Murden habe geraten, den Dingen ihren Lauf zu lassen und Henry Ford nicht damit zu behelligen. Einen Tag vor der Einweihung des Gebäudes telegrafierte Forrest Murden – dem mittlerweile zum Direktor für internationale Angelegenheiten der Ford-Stiftung ernannten – Shepard Stone, der bereits in Berlin eingetroffenen war, Henry Ford sei über die geplante Namensgebung informiert und gebeten worden, sich sofort telegrafisch an Shepard Stone zu wenden, falls er damit nicht einverstanden wäre.

Henry Ford I wurde nicht erwähnt

In der Rede des Rektors zur Gebäudeeinweihung wurde Henry Ford II ausdrücklich für sein Engagement gedankt. Weder in der zweistündigen Feierlichkeit noch in den zahlreichen Presseberichten über den Festakt findet sich eine Erwähnung des Namens von Henry Ford I. Angesichts der Tatsache, dass Shepard Stone für seine Verdienste im Rahmen der Veranstaltung die Ehrendoktorwürde erhielt und Paul Hertz dort für die Ernst-Reuter-Gesellschaft sprach, wäre das eine Zumutung gewesen, die vermutlich weder Shepard Stone noch Paul Hertz hingenommen hätten: Beide waren jüdischer Herkunft, und beide konnten sich sicher sein, dass Rektor Hirsch keinen Antisemiten als Namenspatron des neuen Hörsaalgebäudes vorgeschlagen hätte. Shepard Stone hatte in Heidelberg studiert und 1933 Deutschland verlassen. Paul Hertz, seit 1922 Reichstagsabgeordneter der USPD und später der SPD, war schon vor Hitlers Machtergreifung öffentlich mit antisemitischer Hetze überzogen worden. Er wurde 1934 von den Nationalsozialisten ausgebürgert und kehrte erst 1949 aus den Vereinigten Staaten nach Berlin zurück. Henry Ford II war im Unterschied zu seinem Großvater, den er nicht mochte, philosemitisch eingestellt: Er unterstützte Israel nach dessen Staatsgründung durch ein Handelsabkommen und steuerte 50.000 US-Dollar zur ersten christlichen Spendenkampagne der „United Jewish Appeal“ (UJA) für Israel bei. Der Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin trägt einen guten Namen.

Der Autor ist Mitarbeiter der Hochschuldokumentation und Projektleiter

im Forschungsverbund SED-Staat

Jochen Staadt

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