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Mit Hilfe der Wirtschaft. Die Tigerin Sarai aus dem Tierpark Berlin wird im neuen Hochleistungs-Computertomografen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) Berlin untersucht.

© Ralf Günther/IZW

Wissenschaft und Wirtschaft: Die Forschung bleibt frei

Konzerne diktieren Wissenschaftlern zunehmend, wo es langgeht? Davon kann keine Rede sein. Eine Replik von Matthias Kleiner, dem Präsidenten der Leibniz-Gemeinschaft.

Welche Freiheit braucht die Forschung? Wie viel Zuwendung verträgt ihre Autonomie – materiell oder in Form von Beratung und Beteiligung? Als Ingenieurwissenschaftler und Präsident einer Forschungs- und vormalig einer Forschungsförderorganisation kennt man beide Fragen und die Debatten, die sie provozieren mögen. Im Tagesspiegel hat der Aalener Finanzprofessor Christian Kreiß den Vorwurf formuliert, dass Wissenschaft ihre im Grundgesetz verankerte Unabhängigkeit durch direkte Drittmittelfinanzierung oder mittelbar durch industriefreundlich besetzte Gremien aufgebe. Dieser Vorwurf ist in seiner Pauschalität haltlos, faktenarm und polemisch.

Ab 1920 belebte die Wirtschaft die Wissenschaft wieder

Ein historischer Blick zurück zeigt, dass gerade die Wirtschaft die freie, unabhängige Grundlagenforschung in Deutschland ab 1920 mit wiederbelebt hat. Sie stand damals weitgehend still und war international nicht mehr wettbewerbsfähig. Wissenschaftler gründeten daher die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“, um die Anliegen der Wissenschaft in gemeinsamer Stärke zu vertreten und Mittel bei Parlamenten und in der Wirtschaft einzuwerben. Im selben Jahr formierten sich Industrie- und Wirtschaftsvertreter zum „Stifterverband der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“, um die Forschungsförderung der Weimarer Zeit zu unterstützen.

Die Uni Frankfurt hat einen Stiftercodex

Diese besondere Partnerschaft setzt sich bis heute zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft fort. Letzterer finanziert nach wie vor Wissenschaft und achtet dabei Unabhängigkeit und Freiheit von Forschung und Lehre, etwa mit einem „Code of Conduct für Stiftungsprofessuren“. Dieses Instrument steht übrigens auch den Universitäten zur Verfügung: So hat die Goethe-Universität in Frankfurt am Main einen Stifterkodex etabliert, der Forschung und Berufungen vor Einflussnahmen von Sponsoren schützt.

Die Drittmittel haben sich verdoppelt - die öffentlichen

Es ist richtig, dass sich die Drittmittel für Hochschulen bundesweit in zehn Jahren insgesamt etwa verdoppelt haben. Doch während die öffentliche Forschungsförderung deutlich gestiegen ist, gilt dies nicht für den prozentualen Anteil der privaten Mittel, der nur etwa ein Fünftel der Drittmittel der Hochschulen ausmacht. Das Fördervolumen der DFG ist so von 2000 bis 2010 von kaum einer Milliarde auf über zwei Milliarden Euro gewachsen. Diese öffentlichen Drittmittel stehen der Grundlagenforschung, insbesondere den Hochschulen zur Verfügung. Die Qualitätssicherung der Förderanträge erfolgt innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sodass die im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit gewährleistet ist und Unregelmäßigkeiten wie Fehlverhalten grundsätzlich auffallen.

Es sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Förderanträge stellen und wissenschaftsgeleitet begutachten. Ihre Bewertung gründet die wettbewerbliche Vergabe von Fördermitteln in den Entscheidungsgremien der DFG, in denen die Wissenschaft gegenüber politischen Vertretern von Bund und Ländern die Mehrheit hat. Der Senat der DFG ist rein wissenschaftlich besetzt. Darin stellen die Blickwinkel zweier Wissenschaftler aus der industriellen Forschung eine zusätzliche Bereicherung dar. Es wäre borniert, den Entscheidungen über Förderanträge aus der Grundlagenforschung die wertvollen Perspektiven aus der Anwendung vorzuenthalten.

Wissenschaft geschieht für die Gesellschaft

Darüber hinaus: Mit der Berufung von Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens in Kuratorien und Beiräten von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in Deutschland gewinnt man eine umfassend gelagerte Expertise und überwindet Lagerdenken – in Kenntnis und Respekt der jeweiligen Interessen. So sitzen im Senat der Leibniz-Gemeinschaft neben der Mehrheit von Wissenschaftlern unterschiedlicher Herkunft auch Repräsentanten des öffentlichen Lebens – aus Wirtschaft, Parlamenten, Ministerien und Zivilgesellschaft.

Wissenschaft geschieht in der Gesellschaft und für die Gesellschaft. Schließlich sind Forschung und ihre Ergebnisse überall in unserer Welt. Die Forschung sucht Antworten auf die Frage „Wie wollen, wie werden wir leben?“. Diese Zukunftssorge und Zukunftsfürsorge betrifft alle unsere Lebensbereiche: Wo wir wohnen, arbeiten, leben, reisen, uns erholen oder geheilt und versorgt werden. Dass Forschungsergebnisse in Produkte, Prozesse, Dienstleistungen und soziale Formen münden, ist natürlich, selbstverständlich und ausdrücklich gewollt.

Forschung sorgt für Mündigkeit

Forschung und Gesellschaft befinden sich in einem dauernden Austausch. Wir alle erproben und nutzen Forschungsergebnisse und stellen mit unseren Bedürfnissen neue Fragen an die Wissenschaft. Forschung sorgt aber durch Beratung und Information auch für die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Daraus kann und muss eine umfassende Innovationskultur erwachsen, die durch Rückkopplungen der Forschung mit einem breiten Netzwerk von Entwicklern, Produzenten, gesellschaftlichen Entscheidungsträgern und Nutzern keine Einzelinteressen in den Vordergrund stellt. Nur das neue Wissen selbst hat hier Priorität.

Bei uns in der Leibniz-Gemeinschaft ist erkenntnisorientierte Forschung auf höchstem Niveau eng verbunden mit Anwendungsperspektiven und Transfer. Deshalb gibt es eine vielfältige Zusammenarbeit mit Unternehmen aus Wirtschaft und Industrie: im vergangenen Jahr annähernd 2100 Kooperationen mit nationalen und internationalen Unternehmen. Nur selten handelt es sich dabei um direkte Auftragsforschung. Die Regel sind Kooperationen, die Forschungsfreiheit und die intellektuellen und wirtschaftlichen Interessen der Wissenschaft wahren und für beide Seiten einen Gewinn darstellen.

Ein Computertomograf für die Tiermedizin

Am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin steht seit Kurzem ein neuer, weltweit einzigartig leistungsfähiger Computertomograf für tiermedizinische Forschung. Möglich wurde das durch ein neues Leasingmodell mit der Herstellerfirma. Deren Techniker sind regelmäßig am Institut präsent, denn neben der technischen Unterstützung des Instituts stoßen sie in der Forschung des IZW auf neue Herausforderungen. Bei der Untersuchung von Reptilien etwa treten durch die Schuppenstruktur der Haut Interferenzen auf, die es in der Humanmedizin nicht gibt. Auf diese Weise führt die Forschung unmittelbar zu Ansätzen für die Weiterentwicklung der Tomografie, dann aber auch für die Humanmedizin.

Natürlich wird versucht Einfluss zu nehmen

Natürlich wird gelegentlich versucht, Einfluss auf die Forschung und den Umgang mit ihren Ergebnissen zu nehmen. Es liegt an der Wissenschaft zu prüfen, ob eine Kooperation nützlich ist und ihren ethischen Ansprüchen genügt. Von Einflussnahme kann nicht die Rede sein, wenn die Wissenschaft vorab prüft und entscheidet: Hat ein Kooperationsprojekt Forschungscharakter, in dem gemeinsam wissenschaftliches Neuland betreten wird? Bleiben die intellektuellen Rechte an den Ergebnissen im Besitz der Wissenschaft und gibt es faire Regelungen zur kommerziellen Verwertung dieser Rechte?

Bei allen notwendigen und richtigen Debatten über Einzelfälle, die diesen Kriterien nicht genügen, sollte eines klar sein: Es handelt sich dabei um Ausnahmen. Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten im Allgemeinen partnerschaftlich, ethisch korrekt, zum beiderseitigen Nutzen und im Dienst der Gesellschaft zusammen. Für faktenarme Polemik und Verteufelung ist hier also kein Raum.

- Der Autor ist Präsident der Leibniz-Gemeinschaft und war Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Matthias Kleiner

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