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Der Mensch, ein Programm. Computerpionier Ray Kurzweil glaubt, dass wir unser Bewusstsein eines Tages in Software übertragen.

© Mauritius

Zukunftsvision: Noch 34 Jahre bis zur Unsterblichkeit

Computer werden bis zum Jahr 2045 unser Gehirn in Software verwandeln, prophezeit Futurist Ray Kurzweil.

„Watson“ war nur der Anfang. Der IBM-Computer lehrte vor kurzem menschliche Kandidaten in der amerikanischen Quizshow „Jeopardy“ das Fürchten. Maschinen wie „Watson“ werden immer schneller. Und eines Tages werden sie so rasant rechnen, dass sie an die Intelligenz des Menschen heranreichen, um sie schließlich zu übertreffen. 2045 wird es so weit sein. Es ist das Jahr, in dem Mensch und Computer verschmelzen, in dem das Gehirn in einen Rechner umzieht und das Bewusstsein in Software verwandelt wird, in ein gigantisches Rechnerprogramm. Es ist das Jahr, von dem an wir unsterblich sein werden und einer kosmischen Zukunft entgegengehen. Es ist das Jahr der „Singularität“.

Zugegeben, diese Zukunftsvision passt eher in einen Science-Fiction-Film. Aber sie hat in Ray Kurzweil, 63, einen prominenten und erfolgreichen Fürsprecher. Kurzweil ist – eigentlich – kein Spinner. Er hat sich als Erfinder und Unternehmer einen Namen gemacht und als Software-Pionier bei der Sprach- und Mustererkennung durch Computer Bahnbrechendes geleistet. Wirklich berühmt geworden ist „der radikalste Futurist auf Erden“, so das Magazin „Rolling Stone“, aber mit der Idee der „Singularität“. Der Begriff ist aus der Astrophysik entlehnt und bezeichnet hier das Zentrum eines Schwarzen Lochs, in dem die normalen Gesetze der Physik keine Gültigkeit mehr haben.

Bei Kurzweils Singularität verändert sich nicht die Physik. Sondern die grundsätzliche Vorstellung von dem, was ein Mensch ist und was ihn ausmacht. Kurzweil hat damit kein Problem. Jeden Tag schluckt er Unmengen an Vitaminen und Pflanzenextrakten, um seinen Körper jung zu erhalten und das Jahr 2045 noch zu erleben. Er ist zusammen mit Firmen wie Google und Nokia Mitbegründer einer Universität für Singularität. Viele „Singularianer“ stammen aus der IT-Szene, sind Programmierer oder Software-Unternehmer. Singularität, sagen Kritiker, ist eine Techno-Religion. Eine Heilslehre für Nerds.

„Ein Mensch ist ein Software-Programm“, lautet Kurzweils Credo. Eine Datei. Und die mag so groß sein wie sie will, eines Tages passt sie in einen Rechner. Aus natürlicher wird künstliche Intelligenz. Kurzweil ist stolz auf seine Fähigkeit, gute Prognosen zu stellen – ein Talent, das ihm Microsoft-Gründer Bill Gates ausdrücklich bestätigt hat. Wesentliches Fundament seiner Vorhersagen ist das exponenzielle Wachstum der Rechnerkapazität. Das heißt, dass die „Intelligenz“ des Computers nicht Schritt für Schritt „linear“ wächst, sondern sich in einem bestimmten Zeitabschnitt verdoppelt. Bisher hat sich diese Annahme als zutreffend erwiesen. 2015 werde die globale Computerpower die eines Maus-Gehirns übertreffen, 2023 die eines menschlichen Denkorgans, 2045 die aller menschlichen Gehirne, sagt Kurzweil.

Aber mit Rechenkraft allein ist es nicht getan. Bevor man den Inhalt des Gehirns in Bits umwandelt, muss man verstehen, wie es aufgebaut ist und wie es arbeitet, man muss es also von Grund auf neu konstruieren, Baustein für Baustein. Kurzweil glaubt, dass es nicht so komplex ist. „wie von manchen Theoretikern behauptet“. Er weigere sich, „vor dem Mysterium des menschlichen Gehirns auf die Knie zu fallen“, kommentiert das Magazin „Time“. Als Beispiel nennt Kurzweil das menschliche Genom, dessen Information wiederum dem Informationsgehalt des Gehirns Grenzen setze. Die drei Milliarden biochemischen Buchstaben des Erbguts destilliert er zu rund 50 Millionen Bytes – möglich ist das, weil das Genom massig „überflüssige“ Daten enthält.

Auch im Gehirn selbst gebe es jede Menge Wiederholungen, also stets wiederkehrende Bauformen. Etwa einen bestimmten Typ von Nervenzelle, der zehn Milliarden Mal vorkomme. Oder Billionen von Nervenkontakten, die alle nach dem gleichen Muster gestrickt seien. Wenn man die Prinzipien verstehe, nach denen das Gehirn arbeite, werde es möglich sein, es im Rechner nachzubauen. Kleiner Vorteil: Schon die gegenwärtige Elektronik sei millionenfach schneller als biochemische Informationsübertragung. Jetzt komme es darauf an, molekulare Prozesse im Gehirn ebenso wie die Arbeitsweise einzelner Nervenzellen und größerer Zellverbände zu studieren.

Kurzweil wird für seine Ideen heftig attackiert, einer der schärfsten Kritiker ist der Entwicklungsbiologe Paul Zachary („PZ“) Myers von der Universität von Minnesota Morris. Myers geißelt Kurzweil regelmäßig in seinem einflussreichen Internet-Blog „Pharyngula“. Im Kern ist es der Konflikt zweier Kulturen. Auf der einen Seite ist da der Ingenieur Kurzweil, der kalkuliert und konstruiert und der die Welt für ein mathematisch exakt beschreibbares Gewebe hält. Und auf der anderen Seite der Biologe, der mit der rohen, chaotischen Wirklichkeit des Lebens konfrontiert ist, mit diffusen chemischen Reaktionen und Nervensystemen, die Informationen weiterleiten, indem sie Ionen in Salzwasser mischen.

Und dann ist da die Komplexität des Lebens, etwa in den Netzwerken, in denen die Eiweißmoleküle der Zelle eingewoben sind. Es mag sein, dass ein bestimmter Typ Nervenzelle milliardenfach vorkommt. „Aber jede dieser Zellen ist so einzigartig wie eine Schneeflocke“, sagt Myers. Jede ist Ergebnis einer einzigartigen Entwicklung, nicht eines allgemeingültigen Programms, das nur einen entsprechenden Rechner benötigt, um zu funktionieren. Die Zweiteilung von Hardware und Software funktioniert in der Natur nicht. Beide sind eins, im Gehirn untrennbar verbunden. Das Geheimnis des Individuums ist seine unverwechselbare Entwicklung. Der Austausch des genetischen Programms mit der Umwelt lässt das Gehirn sich selbst entwickeln.

Kurzweil hat die Biologie nicht verstanden, sagt Myers. Was das Verständnis des Gehirns angehe, habe man gerade erst an der Oberfläche gekratzt. Vor der Unsterblichkeit müssen noch ein paar Hausaufgaben gemacht werden.

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