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Vereinigtes Braten. Grillsportler Marc Riemer beim Grillen im winterlichen Garten.

© Mike Wolff

Wochenende: Kalte Füße und glühende Kohlen

Nach Eislaufen und Rodeln entdecken die Deutschen ein neues Wintervergnügen: das Grillen. Ein feuriger Report.

Von Anna Sauerbrey

Der Schnee ist knietief, das Quecksilber hat sich in den Minusbereich verabschiedet. Während die meisten Münchner an diesem Silvesterabend hinter ihren Gästen das Zuglufttier wieder vor die Ritze unter der Tür schieben und sich freuen, dass der Ofen außer der Gans auch die Küche wärmt, steht eine Familie im Vorgarten – und grillt. Ein paar Meter weiter, ein anderer Vorgarten, diesmal eine Gruppe dick eingepackter junger Männer, ebenfalls um eine Rauchsäule gruppiert. Bayern, Heimat der Wurst und Geburtsland des deutschen Grillsportvereins, ist Vorreiter eines Trends, der sich von Süden langsam in Deutschland ausbreitet: Grillen im Winter.

Männer mit Namen wie „Wurschtbrater“, „Fleischwurst“ und „Bullrich“ verabreden sich in Internetforen, um sich bei Minusgraden um eine Feuerstelle zu sammeln, zur „Vergrillung“, wie es in der Szene heißt. In Dortmund fand im Dezember vor dem Hauptbahnhof eine Meisterschaft statt. Hotels und Caterer veranstalten Grillabende und werben mit der kuscheligen Atmosphäre an der Glut. Zum Steak reichen sie Wolldecken. In Berlin wurden Schneegriller auf dem Tempelhofer Feld und im Mauerpark gesichtet.

„Die Hauptsaison ist zwar immer noch der Sommer“, sagt Sven Dörge, zweifacher deutscher Profigrillmeister, der in der Hauptstadt ein Grillcatering betreibt und die Szene beobachtet. „Aber das Wintergrillen nimmt definitiv zu.“ Warum das so ist? „Ich glaube, das hat was mit der Wirtschaftskrise zu tun hat. Die Leute suchen nach Sicherheit. Essen, draußen sein, in der Gruppe, das sind menschliche Urinstinkte, und beim Grillen kommt alles zusammen.“ Auch im Winter, so die These von Dörge, wollten viele nicht auf die Neandertaler-Geborgenheit verzichten.

Aufgerüstet. Marc Riemer hat für jedes Gericht den passenden Grill. Die Kohle glüht im Anzündkamin vor und heizt dann den „Smoker“ (großer Grill mit offener Klappe).

© Mike Wolff

Der Smoker raucht schon

Die Suche nach einer lodernden Feuerstelle und schützender Gemeinschaft führt an einem späten Sonntagnachmittag im Januar in einen Reinickendorfer Reihenhausgarten. Außentemperatur: ein Grad. Gefühl: nur noch im großen Zeh. Immerhin ist es trocken.

Gleich mehrere Feuerstellen qualmen und sprühen Funken auf dem Rasen von Marc Riemer. Da ist der AZK, der Anzündkamin, ein kniehoher, zylindrischer Ofen mit Henkeln aus Holz, in dem die Kohle mit Papier entfacht wird und vorglüht. Daneben steigt Rauch auf aus dem Schornstein eines Geräts, das vage an eine Dampflokomotive erinnert und auch beinahe so groß ist. Das ist der „Smoker“, 200 Kilo Eigengewicht, ab 1000 Euro im Handel zu haben. Die Brennkammer hat Riemer früher am Nachmittag mit Kohle und geschredderten Whiskyfässern gefüttert, der Rauch zieht nun durch die längliche Grillkammer und hinaus aus dem Schornstein, gart das Fleisch und gibt ihm eine leichte Räuchernote. Daneben steht der „Weber“, ein Kugelgrill, auch darin glüht es schon. Gegen das Frieren lodern einige Holzscheite in einem Feuerkorb.

Marc Riemer scheint die Kälte nicht zu spüren. Der große, kräftige Mann trägt eine Küchenschürze und eine leichte Camouflage-Jacke. Auf dem T-Shirt darunter lächelt ein rosa Schweinchen über offenen Flammen am Spieß – das Logo des deutschen Grillsportvereins.

Marc Riemer, von Beruf Systemadministrator, lächelt nicht, zumindest im Moment nicht. Er konzentriert sich darauf, die Temperaturanzeigen im Auge zu behalten. Die Gäste, Riemers Freundin, seine Mutter und ein Kumpel mit seiner Familie, wärmen sich die Hände am Glühwein. Gern würde man mal kurz den Deckel vom Grill aufmachen, das Fleisch anschauen und einen Schwall warme Luft herauslassen. Riemers Freundin aber warnt: „Bloß nicht. Das gibt Ärger.“

Die Kohlen glühen im Anzündkamin vor.

© Mike Wolff

Im Winter am besten mit Deckel grillen

Im Winter sollte man auf jeden Fall mit Deckel grillen, meint auch Sven Dörge, und ihn am besten drauf lassen. „Man braucht die Oberhitze.“ Im Sommer funktioniert es zwar ebenfalls besser mit Deckel, bei Minusgraden aber wird das Fleisch oben richtig kalt, während von unten noch 400 Grad bullern. „Das kann eigentlich nichts werden“, meint der Grillprofi. Wer kein Risiko eingehen will, solle einfach Bratwürste machen. „Die gelingen auch auf dem offenen Grill im Winter.“

Marc Riemer hat allerdings für Würste und fertig marinierte Steaks nur ein müdes Lächeln übrig. Unter den anspruchsvollen Grillern geht der Trend zum „Outdoor-Cooking“. „Früher haben wir Neonfleisch gemacht“, sagt Marc Riemer und verzieht bei der Erinnerung das Gesicht. So nennt er die Fleischlappen aus Massenproduktion, die in den Kühlregalen der Discounter vor sich hin leuchten. Riemer macht auf dem Grill Gans und Braten, Eintöpfe und Dessert. Sein Fleisch kauft er beim Metzger vor Ort, manches bestellt er auch im Netz direkt beim Bauern. Einmal nahmen die Nachbarn einen großen Karton für ihn entgegen. Darin: ein halbes Lamm.

Das hätte Riemer auch in Prenzlauer Berg bekommen können. Im „Filetstück“, dem Edelfleischer und Grillrestaurant an der Schönhauser Allee, wird das kopflose Tier in einer zum Restaurant hin verglasten Kühlkammer am Fleischerhaken inszeniert. Sascha Ludwig wischt sich die Hände an der Schürze ab. Der Küchenchef hat mit 27 Jahren schon mehrere Sterne-Küchen hinter sich, nun ist er im Filetstück dafür verantwortlich, dass das herrlich marmorierte Fleisch der Pommer’schen Schwarzbunten auf dem Grill zart und saftig bleibt und trotzdem mit dunklem Gittermuster auf die Teller kommt. Für den winterlichen Grill empfiehlt er in Glühwein mariniertes Wild (siehe Rezept unten), privat mag er es allerdings lieber einfach: „Gebackenes Eis vom Grill? Ich bleibe bei meiner Wurst.“

Jedes Jahr am Ersten Advent grillt er zusammen mit Freunden in einem Garten in Rudow, eine eiskalte Grillparty mit 70 Gästen. Beim letzten Mal lag richtig viel Schnee, die Gastgeber hatten Feuerkörbe aufgestellt, die Füße wurden trotzdem kalt. Zur Wurst gab es Nudelsalat und vor allem: Glühwein. Irgendwann nachts versuchten sie, auf einer Schaufel eine Bodenwelle im Garten herunterzurodeln. „Deutschland hat keine so lockere, gesellige Esskultur wie andere Länder“, meint Ludwig. „Außer, es wird gegrillt. Danach hat man im Winter Sehnsucht.“

Für die Barbecuesauce kocht Marc Riemer Cola ein

Im Garten in Reinickendorf ist es inzwischen jahreszeitgemäß stockdunkel und Riemers Freund Stefan Wolf muss mit einer Taschenlampe assistieren. Der Deckel vom „Weber“ steht offen, kurz nur, versteht sich, aber eine Wolke würzigen Fleischgeruchs schafft es in die kalte Januarluft. Riemer streicht mit einem Pinsel eine rot-braune Sauce auf zischende Fleischbällchen. Für die Barbecuesauce hat er Cola reduzieren lassen und den Sirup dann mit Ketchup, Tomatenmark, Kreuzkümmel, Paprika, Chili und anderen Gewürzen abgeschmeckt.

Zum Essen und Aufwärmen hat sich die Grillgesellschaft in die Wohnung zurückgezogen. Die Fleischbällchen schmecken süß, scharf und rauchig-herzhaft gleichzeitig. Dann gibt es für jeden ein Stück saftiges Schweinefilet, das Riemer mit Käse und Speck gefüllt und mit seiner eigenen Gewürzmischung, dem „Rub“, eingerieben hat. Riemers Rezept besteht aus 15 verschiedenen Zutaten, unter anderem Kumin, getrocknete Zwiebel, Chili, Zucker und Paprika. Die Gäste essen und schwärmen. Draußen im Garten hat Riemer sich währenddessen schwarze Schutzhandschuhe übergestreift und den Deckel vom Smoker hochgeklappt. Behutsam trägt er den Hauptgang, einen Putenrollbraten, in die Küche.

Danach zieht es die meisten wieder an die frische Luft. Auf einem offenen Grill hat Riemer den „Dutch Oven“ in die Glut gestellt und mit heißen Kohlen bedeckt, einen gusseisernern Topf, gefüllt mit Bratäpfeln. Stefan Wolf hat die Hände tief in den Taschen vergraben und die Mütze in die Stirn gezogen, Marc Riemer zieht an einer Zigarette, andächtig schauen sie in die Glut. Satte Stille senkt sich über den Garten. Die Holzscheite im Feuerkorb knacken leise. Im Topf brutzelt und zischt es. Riemer hebt mit einem Eisenhaken kurz den Deckel an. Der Duft von karamellisiertem Zucker, Zimt und Rosinen zieht heraus. Auf Riemers breiten Schultern sammeln sich Eiskörner. Es schneit, aber niemand scheint es zu bemerken.

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