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Wuchernde Installation von Martin & David Koutecký.

© Staatliche Kunstsammlungen Dresden/David Pinzer

Wuchernde Ausstellung im Dresdner Lipsiusbau: Rauschmittel für die Augen

Tschechischer Kunsttrip: Jiří Fajt, der frühere Generaldirektor der Prager Nationalgalerie, hat bei den Dresdner Kunstsammlungen Asyl gefunden und zeigt nun seine zweite furiose Ausstellung.

Von Susanne Altmann

Spoiler Alert: Sie könnten sich fühlen, als stünden Sie unter Drogen. Doch weit gefehlt, die Ausstellung „Alle Macht der Imagination“ im Lipsiusbau der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ruft auch bei völlig nüchternen Besucher*innen psychedelische Phänomene hervor. Das von Jiří Fajt und insgesamt 51 Künstler*innen verordnete Rauschmittel heißt, wie auf der kuratorischen Packungsbeilage aufgeführt, schlicht „Vorstellungskraft“.

Der tschechische Kurator, bis 2019 Generaldirektor der Prager Nationalgalerie, verschreibt dem Ausstellungsraum auf der Brühlschen Terrasse übrigens nicht zum ersten Mal eine massive Dosis Kunst aus seinem Heimatland. Seine monografische Schau des surrealistisch operierenden Künstler*innenpaars Jan & Eva Švankmajer Anfang 2020 war bereits spektakulär – leider bekam sie in den Wirren des ersten Virusjahrs nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit.

Doch zumindest Jan Švankmajer ist mit seinem animierten Dauerbrenner „Möglichkeiten des Dialogs“ von 1982 und einigen gewohnt bizarren Objekten wieder mit dabei. Um diese Filmprojektion herum gruppiert sich im Untergeschoss eine raumfüllende Collage aus Möbeln, Kunstwerken, kleinen Sammlungen, Drucksachen und Malutensilien. Selbst eine antike Bettpfanne fehlt nicht in dieser scheinbar entgleisten Wohnsituation von Martin & David Koutecký .

Das Duo feiert hier das Lebenswerk des, wie sie behaupten, „avantgardistischen Malers Žloutek“ ab, egal ob jener inspirierte Horder von Gegenständen jemals existierte. Während eine gewisse, im besten Sinne tschechische Verschmitztheit, zum Programm gehört, schickt uns der obskure Žloutek bereits in die richtige Spur. Denn der Aufstieg in den Hauptraum zeigt, hier wird die gesamte tschechische Avantgarde des 20. Jahrhunderts gefeiert, garniert mit zeitgenössischen Positionen.

„Rückspiegel“ von Josef Bolf aus dem Jahr  2015 (Zeichnung und Collagen auf Papier).
„Rückspiegel“ von Josef Bolf aus dem Jahr 2015 (Zeichnung und Collagen auf Papier).

© Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Josef Bolf

Zunächst erscheint es, als wäre die gesamte Präsentation auf Überwältigungsmodus geschaltet: das „Blatt der Drohne“ (2016) von Jakub Nepraš füllt effektvoll die Eingangszone und weist den Weg zu zwei nicht minder gewaltigen Werken von Krištof Kintera und Magdaléna Jetelová. Kinteras blinkender Dschungel aus Leuchtmitteln freilich besitzt nicht den subtilen Humor seiner gewohnten, minimalistischen Gimmicks, erfüllt aber seinen unterhaltsamen Zweck.

Auch Jetelová, die Grand Dame der aktuellen tschechischen Szene, stellt ihre visuell-akustische Installation aus Lasern und vibrierenden Spiegelfolien hier ganz in den Dienst des Spektakels. Eine sozusagen formalistische Überraschung, dienten ihr die gleichen Elemente bisher oft dazu, kritische Kommentare zum Anthropozän oder zur globalen Situation der Menschenrechte abzugeben.

Im Kontext der „Imagination“ bilden ihre „Resonances“ gleichsam ein Dach, unter dem sich auch – dem deutschen Publikum kaum bekannte – Raritäten wie Zdeněk Pešáneks (1908-1965) anthropomorphe Lichtskulpturen aus den 1930er Jahren befinden. Pešánek erweiterte den Kunstbegriff seiner Tage in das Reich der Technik, blieb jedoch stets dem Geist des Surrealismus treu.

Aus diesem avantgardistischen Umfeld, mit Überlappungen zum Kubismus, präsentiert die Ausstellung wahre Ikonen von Toyen (eigtl. Marie Čermínová, 1902-1980) und Jindřich Štyrský (1899-1942), ja sogar von Otto Gutfreund (1889-1927), Bohumil Kubišta (1884-1918) oder František Kupka (1871-1957). Dabei flankiert Jiří Fajt gekonnt, sowohl stilistisch wie auch inhaltlich, diese Klassiker mit Gegenwartskunst und zeigt, wie sich in Malerei, Bildhauerei und Fotokunst Traditionslinien des Surrealismus und Kubismus selbstbewusst fortschreiben.

Das zeigt sich speziell in den blockhaften Bronzen eines Jaroslav Rona, den Fotoinszenierungen von Ivan Pinkava oder den schwarzhumorigen Farborgien von Josef „Pepa“ Bolf. Deren gekonntes Chaos garantiert auch im Oberstock noch einmal eine Auffrischungsdosis des tschechischen Psychdelikums „Imagination“.    

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