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Das Rathaus von Oederan im Landkreis Mittelsachsen.

© imago images/Sylvio Dittrich

Hier wurde der Tag der Erneuerbaren Energien geboren: Kleine Stadt, große Idee

Das sächsische  Oederan erfand 1996 den Tag der Erneuerbaren Energien. Jetzt blick die Kleinstadt zurück auf ein Vierteljahrhundert Kampf für ein besseres Klima.

Wenn Eberhard Ohm über die Anfänge berichtet, klingt das so, als hätte er nur seinen Job gemacht. Hat er auch, der Leiter des Ordnungsamtes Oederan, der als Ingenieur im Jahr 1996 auch Energiebeauftragter der Verwaltung des 8000-Seelenortes war. Allerdings mit einem Enthusiasmus, der das Potenzial zu größerem hatte. Wenn sein ehemaliger Chef, Altbürgermeister Gernod Krasselt erzählt, klingt es auch gleich ganz anders. „Eberhard Ohm war es, dessen Begeisterung mich damals überzeugt hat, etwas öffentlich wirksames zum zehnten Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl zu machen“, sagt Krasselt.

Was man tun muss, wenn man die Zukunft mitgestalten will

Gemeinsam mit dem bereits verstorbenen Leiter der Stadtbau- und Wohnungsverwaltungsgesellschaft Thomas Bernhard hätten sie konkrete Ideen diskutiert und seien sich in einem Punkt gleich einig gewesen: die herkömmliche Energieerzeugung müsse schnellstmöglich durch Erneuerbare Energien abgelöst werden. Eine Entwicklung, die man fördern und dabei zeigen wollte, was es schon Vorbildliches gibt. „Und da Stadtverwaltung und Stadtrat sich hinter die Idee gestellt haben, haben wir das getan, was man manchmal tun muss, wenn man die Zukunft mitgestalten will“, sagt Krasselt. Man habe in etwas investiert, von dem man nicht wissen konnte, was dabei herauskommt. So wurde der Tag der Erneuerbaren Energie aus der Taufe gehoben.

Aber in den 90ern war die Zeit offenbar reif für eine Wende in der Energiewirtschaft. Als Eberhard Ohm die Idee Kollegen anderer sächsischer Kommunen vorstellte, weckte er auch dort Begeisterung. „Die Zahl derer, die mit ihren Anlagen mitmachen wollten, explodierte regelrecht“, erinnert der pensionierte Bürgermeister. Der Aktionstag bekam das Motto „Es geht auch anders“, im Mittelpunkt sollte die Gemeinde Oederan mit ihrer rund 700 qm großen Thermovoltaik-Anlage stehen, die seinerzeit zu den größten Anlagen bundesweit gehörte. Schließlich luden mehr als 30 kommunale und private Betreiber ein, ihre Photovoltaik-, Wasserkraft- und Windkraftanlagen zu besichtigen. Dazu kamen thermische Solaranlagen und einige Maschinen, die mit nachwachsenden Rohstoffen arbeiten. Oederan selber zeigte außer der großen Thermovoltaikanlage noch verschiedene andere moderne Geräte, unter anderem den Heizkessel des Stadtbades mit Gebläsebrennern und Abgaswärmetauschern.

2001 übersprang der Aktionstag die Landesgrenze Sachsens

Am Ende waren Besucheransturm und mediales Echo so groß, dass die Initiative schnell Schule machte. 2001 übersprang der Tag der Erneuerbaren Energien die sächsische Landesgrenze, 2003 nahmen deutschlandweit bereits über 1000 Betreiber teil. Initiator Eberhard Ohm blieb hauptverantwortlich für die Organisation des Aktionstages. Wie zu Beginn wird Jahr für Jahr für eine Energiewirtschaft geworben, die auf Sonne, Wind und Wasserkraft setzt. Mit der Zeit kamen weitere Technologien hinzu, Speichertechnik und Elektromobilität zum Beispiel. „Zu den ausgefallensten Konstruktionen, die im Rahmen des Aktionstages gezeigt wurden, gehörte ein unterirdischer Wasserkraft getriebener Stromgenerator in einer alten Erzgebirg-Mine“, erinnert sich Ohm. Und auch von der Eisspeicheranlage hatte bis dahin kaum jemand gehört.

Eberhard Ohm war 1996 Energiebeauftragter seiner Gemeinde.
Eberhard Ohm war 1996 Energiebeauftragter seiner Gemeinde.

© privat

2000 ließ Eberhard Ohm die virtuelle Plattform Energietag.de erstellen. Hier können Interessenten seither ihre Besichtigungsangebote in eine Datenbank eintragen. „Vorher mussten wir rund um den Termin Wäschekörbe weise Post bearbeiten“, schmunzelt er. Um die umfangreiche Kommunikation mit Teilnehmern und Medien zu bewältigen, habe man temporär zwei, manchmal drei Mitarbeiter einstellen müssen.

Zu den Mitstreitern der ersten Stunde gehört unter anderem die 1995 gegründete Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien VEE Sachsen. „In den 90er-Jahren war das Interesse an erneuerbaren Energien enorm groß“, erzählt Mitbegründer und Präsident Wolfgang Daniels. Viele Kommunen, Firmen und Hausbesitzer brannten darauf, entsprechende Anlagen und deren Möglichkeiten kennen zu lernen, erlebte der promovierte Physiker. Das habe der VEE nach Kräften unterstützt, unter anderem mit zahlreichen Besichtigungsterminen.

Zeitzeugen schildern ihre Erinnerungen an Tschernobyl

In diesem Jahr findet der Tag der Erneuerbaren Energien aufgrund der Pandemie fast ausschließlich virtuell statt. Zu besichtigen sein wird wohl nur eine kleine Ausstellung Elektromobilität in Oederan sowie das Wasserkraftwerk Wolter im sächsischen Plauen. Darüber hinaus bietet Saena, die Landesenergieagentur für Sachsen, verschiedene Online-Seminare an, die meisten rund um das Thema Erneuerbare Energien an Wohngebäuden. Der VEE präsentiert zudem einen Kurzfilm, in dem drei Zeitzeugen ihre Erinnerungen an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl schildern. Anschließend ist eine Online-Diskussion geplant. Einer der drei Zeitzeugen ist Wolfgang Daniels persönlich. „Zum Zeitpunkt des Reaktorunglücks war ich Mitglied der Anti-Atomkraftinitiative und politisch engagiert“, erklärt der Physiker. Bei der Bundestagswahl 1987 sei er für die Grünen in den Deutschen Bundestag ein gezogen. Als ordentliches Mitglied des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie des Ausschusses für Forschung und Technologie wurde er damals einer der Initiatoren des Stromeinspeisungsgesetzes für Erneuerbare Energien.

Die zunächst fast euphorische Begeisterung für die neuen Energietechnologien ist in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends sachlicher geworden. „Bei vielen Menschen wurde Neugierde durch Wissen ersetzt“, beobachtete Initiator Ohm. Wenn dazu auch der Tag der Erneuerbaren Energien beigetragen habe, sei das ein toller Erfolg. Die Nachfrage sei heute geringer, aber auf gutem Niveau stabil. An Photovoltaikanlagen und an neuen Technologien wie Elektromobilität und Speichertechnik sei das Interesse nach wie vor groß, erlebt der Ingenieur. „Und so lange es Interesse gibt, werden wir den Tag der Erneuerbaren Energien ausrichten“, verspricht Ohm.

Andreas Monning

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