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Studentenwohnheim der Tietgen-Hochschule in Kopenhagen, entworfen vom Büro Lundgaard & Tranberg.

© Jens Markus Lindhe

Architektur-Modellstadt Kopenhagen: Schon die Wikinger dachten sozial

Das Dänische Architekturzentrum in Kopenhagen feiert die Gestaltungskultur des Landes als eine nationale Tugend. Von den Rundburgen bis zu Jørn Utzons Oper in Sidney.

Seit fast einem Jahrhundert sind Architektur und Design aus Dänemark weltweite Markenbegriffe, wurden dänische Sozialwohnungen und öffentliche Bauten zum Vorbild. In den USA ist Dänemark geradezu ein Synonym für eine moderne, egalitäre Gesellschaft. Derzeit wird Kopenhagen international überaus erfolgreich vermarktet als Hauptstadt einer neuen, grünen, nachhaltigen Verkehrs- und Baupolitik.

Für Kent Martinussen, den Direktor des Dänischen Architekturzentrums in Kopenhagen DAC, gibt es gute Gründe für diesen Erfolg: „Wir debattieren immer alles zu Ende, streiten uns gerne und versuchen die beste Lösung zu finden, nicht nur eine gute.“ Er verweist auf das gute Handwerk, das in Dänemark dank der relativ späten Industrialisierung dominant geblieben sei, auf die Tradition der Künstlerausbildung von Architekten.

So inszeniert auch die neueste Ausstellung des DAC Dänemark als Modell. „So dänisch“ wurde sie überschrieben. Darin geht es um die Geschichte von Architektur und Gestaltungen des Landes. Sie ist der Auftakt zum bis 2026 angelegten Programm der Welt-Architekturhauptstadt.

Die Unesco verlieh Kopenhagen diesen Titel nach einem weltweiten Ausscheidungsverfahren, um den Spagat zu wagen, wie das Thema Bauen angesichts des rasant steigenden Klimawandels mit kleinteiliger Regionalität zu verbinden ist. Think global, work local.

Die Geschichte beginnt gemäß der nationalen Geschichtsschreibung mit den Wikingern und ihren Rundburgen. Dicht gepackt folgen Fotos, Grafiken, Pläne, klug ausgewählte Modelle etwa der Kingö-Hofhäuser von Jørn Utzon oder der Pariser Grand Arch von Johan Spreckelsen und einige kleine Filme – sonstiger technischer Schnickschnack fehlt. Sehr angenehm.

Arne Jacobsens Tankstelle von 1938 in Skovshoved am Øresund kann noch heute angefahren werden und bietet neben Benzin Aussicht auf’s Meer.
Arne Jacobsens Tankstelle von 1938 in Skovshoved am Øresund kann noch heute angefahren werden und bietet neben Benzin Aussicht auf’s Meer.

© Martin Heiberg

Es geht über das Mittelalter geschwind durch Renaissance und das kraftvolle Barock ins bürgerliche 19. Jahrhundert mit den ersten Ziegel-Wohnbauten von Genossenschaften und Kommunen, um schließlich triumphal ins 20. Jahrhundert zu gelangen, zu den Klassikern: dem großartigen kommunalen Siedlungsbau Kopenhagens, dem eleganten Funktionalismus der Badestadt Bellavista von Arne Jacobsen, seinem SAS-Hotel, dessen Innendesign hier eine ganze Wand einnehmen darf.

Hinzu kommen die aus Kugelabschnitten entwickelte Konstruktion für Jørn Utzons Oper in Sidney, Jan Gehls Visionen für eine auf die menschliche Nähe konzentrierte Stadtplanung, die sich befreit Platzraub der automobilen Gesellschaft. Und dann gibt es Modelle zu sehen, die für eine auf Gleichberechtigung, Mitsprache, Holz und Raumteilung beruhende neueste Architektur stehen.

In Kopenhagen ist man überzeugt: Vom dänischen Wesen könnte die Welt genesen. Dann wäre das Leben nicht nur besser, effizienter, klarer und gleichberechtigter, sondern auch schöner. DAC-Chef Kent Martinussen benutzt sogar den Begriff des Schönen – hat das je ein deutscher Architekturgeschichtsmanager getan?

Aber wie soll man sich auf einen Begriff des Schönen einigen? Indem die Linie straff genug gezogen und alle Widersprüchlichkeit beiseite geschoben werden, Konservative und Funktionalisten, sogar die Kommune von Christiana vereinnahmt sind zu einem harmonischen Gesamtbild.

Um dies Bild zu konstruieren, wird die internationale Einbindung der Architekturgeschichte Dänemarks fast völlig ignoriert, ihre vor allem sozialpolitische Interpretation in den USA, West- und Osteuropa. Sogar der wohl größte Erfolg des dänischen Planungsexports wird regelrecht übersehen: die Rettung der Altstädte und Vorstädte des 19. Jahrhunderts vor dem Abrisswahn der Moderne. Als in Berlin der Wedding eifrig gesprengt wurde, begann in Dänemark schon die vorsichtige Sanierung der Mietskasernen.

Kaum vorstellbar, dass eine derart strikt nationale Erfolgsgeschichte in Deutschland erzählt würde. Aber es sei nicht vergessen: Diese Ausstellung soll der breiten Gesellschaft dienen, nicht den Fachleuten. Sie soll die Debatte anregen, nicht sie spiegeln. Die Auseinandersetzung selbst findet durchaus wortgewaltig immer an den Dienstagmorgen-Veranstaltungen im DAC statt, wo sich Fachleute und Politiker dem Publikum stellen.

Zu debattieren gibt es viel: über die radikale Gentrifizierung der Kopenhagener Innenstadt, die umstrittenen neuen Siedlungen, den Bau einer Insel, die den für die Ostsee überlebenswichtigen Wasserstrom im Oresund stören könnte, den dominanten Autoverkehr in der Fahrradfahrerstadt Kopenhagen – aus dänischer Sicht ist da übrigens Odense viel weiter mit dem Stadtumbau.

Und wie steht es mit der Kritik an Projekten wie den grauenhaften neuen Riesenhäusern, die derzeit genau gegenüber dem idyllischen alten Hafenkanal von Kopenhagen fertig gestellt werden? Sie sind ein Verbrechen an der Stadt, so wie überhaupt der aktuelle Bauboom in Kopenhagen nur bedingt zu tun hat mit dem großen sozialpolitischen Versprechen der im DAC gefeierten Nachkriegsmoderne. Mal sehen, ob das zum Thema wird auf dem Weltarchitektur-Kongress im Juli.

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