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 NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin.

© imago/Metodi Popow

Update

„Dies ist eine weitere Eskalation in Putins Krieg“: Der Westen verurteilt Russlands geplante Scheinreferenden in besetzten Gebieten

In Luhansk und Donezk sowie in den Regionen Cherson und Saporischschja soll über einen Russland-Beitritt abgestimmt werden – die Reaktionen im Überblick.

Die von Moskau anerkannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine sowie das Gebiet Cherson im Süden wollen noch in dieser Woche in umstrittenen Verfahren über einen Beitritt zur Russischen Föderation abstimmen lassen. Das teilten die Regionen am Dienstag mit. Kurz darauf kündigten auch die Besatzer in Teilen der Region Saporischschja ein inszeniertes Referendum an.

Die Scheinreferenden, die weder von der Ukraine noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden, sollen demnach vom 23. bis 27. September abgehalten werden. Die zeitgleichen Scheinreferenden gelten als Reaktion auf die aktuelle ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes.

Auf ähnliche Weise annektierte Russland 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim. International wurde die Abstimmung nicht anerkannt. Auch diesmal ist eine Anerkennung nicht in Sicht. Der Westen reagierte damals mit Sanktionen. Allerdings hatte Russland stets betont, sich durch die Strafmaßnahmen der EU und der USA nicht von seinen Zielen in der Ukraine abbringen zu lassen.

Zuvor hatte der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew Beitrittsreferenden in den von Moskau besetzten Gebieten in der Ukraine gefordert, um diese unwiderruflich an Russland anzugliedern.

Dmitri Medwedew im Jahr 2008.
Dmitri Medwedew im Jahr 2008.

© dpa / Dmitry Astakhov/epa/dpa

„Nach ihrer Durchführung und der Aufnahme der neuen Territorien in den Bestand Russlands nimmt die geopolitische Transformation in der Welt unumkehrbaren Charakter an“, schrieb er am Dienstag in seinem Blog im Nachrichtenkanal Telegram.

Nach Referenden mehr Drohmöglichkeiten für Putin

Russland könne nach dem Beitritt der Gebiete „alle Mittel des Selbstschutzes“ anwenden. Russische Kommentatoren wiesen darauf hin, dass das Atomwaffen einschließe. Das strategische Nukleararsenal hatte Kremlchef Wladimir Putin zur Abschreckung für die Nato, sich in der Ukraine einzumischen, bereits in erhöhte Bereitschaft versetzen lassen.

Die russische Politologin Tatjana Stanowaja meinte, dass Putin sich nach dem Scheitern seiner ursprünglichen Pläne, die Gebiete in der Ukraine rasch einzunehmen, zu den Beitrittsreferenden entschieden habe. Nach Aufnahme der Regionen habe er die Möglichkeit, die Territorien unter Androhung des Einsatzes von Atomwaffen zu verteidigen. Damit habe er seinen Einsatz in dem Krieg nun deutlich erhöht.

Ein Straße in Luhansk
Ein Straße in Luhansk

© REUTERS / REUTERS/Alexander Ermochenko

Die Separatisten in Donezk und Luhansk hatten angesichts des jüngsten ukrainischen Vormarsches gefordert, solche „Abstimmungen“ schnell anzusetzen. Russland hat seinen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar unter anderem mit der „Befreiung“ der Gebiete Donezk und Luhansk begründet. Zunächst konnte das russische Militär große Teile der Ost- und Südukraine erobern.

Im besetzten Teil der südukrainischen Region Saporischschja will die russische Militärverwaltung wie in Luhansk, Donezk und Cherson ebenfalls über den Beitritt zu Russland abstimmen lassen. Das „Referendum“ werde aber nur in den von Moskau kontrollierten Teilen von Saporischschja stattfinden, so der Chef der Militärverwaltung, Wladimir Rogow, am Dienstag. Es sei alles bereit, „in den nächsten Tagen“ könne abgestimmt werden, sagte Rogow.

Ukrainische Seite reagiert

Zuletzt allerdings musste der Kreml eine empfindliche Niederlage hinnehmen, die russischen Truppen zogen sich nach ukrainischen Angriffen fast völlig aus dem Gebiet Charkiw zurück. Die Staatspropaganda warnte danach vor einer möglichen verheerenden Niederlage in dem Krieg. Dagegen betont die russische Militärführung immer wieder, dass alles nach Plan laufe und alle Ziele erreicht würden.

Der Kreml könnte nun darauf setzen, mit den Referenden innenpolitisch die Bevölkerung mobilisieren zu können - eventuell sogar durch Ausrufung des Verteidigungsfalls. Derzeit leidet das russische Militär in der Ukraine an Personalmangel. Die eingesetzten Soldaten auf Vertragsbasis haben nicht genügend Ressourcen für den Krieg, der in Moskau immer noch „militärische Spezialoperation“ genannt wird.

Die Ukraine reagierte gelassen auf die von Russland und den russischen Besatzungsbehörden angekündigten „Referenden“ in den besetzten Gebieten im Osten und Süden des Landes. „Weder die Pseudoreferenden noch die hybride Mobilmachung werden etwas ändern“, schrieb Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstag beim Kurznachrichtendienst Twitter. Die Ukraine werde weiter ihr Gebiet befreien, egal, was in Russland gesagt werde.

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„Die Ukraine wird die russische Frage klären. Die Bedrohung kann nur mit Gewalt abgewendet werden“, erklärte der Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Andrij Jermak, im Messengerdienst Telegram. Die Ankündigung der Referenden sei eine „Erpressung“. Andrij Jermak, sprach außerdem von „naiver Erpressung“ und „Angstmacherei“. „So sieht die Furcht vor einer Zerschlagung (der russischen Truppen) aus. Der Feind hat Angst und manipuliert auf primitive Art“, schrieb der 50-Jährige im Nachrichtenkanal Telegram.

Das ukrainische Verteidigungsministerium verglich die Vorgänge mit dem Anschluss von Österreich an Nazi-Deutschland 1938. „Sie erwarten die Ergebnisse von 1938. Anstatt dessen werden sie Hitlers Ergebnis von 1945 bekommen“, schrieben die Militärs bei Twitter. Der von Diktator Adolf Hitler begonnene Zweite Weltkrieg endete damals mit der Kapitulation Deutschlands.

Der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, sprach von einem „Beruhigungsmittel“ einer „Show“ für die Kriegszuschauer in Russland. „Seid Ihr sicher, dass Ihr die Zeit, die für die Organisation der Flucht notwendig sein wird, für eine neue Show verschwenden wollt? Versucht es. Das wird interessant“, schrieb er. Die ukrainische Armee werde damit fortsetzen, „die Besatzer auf unserem Land zu vernichten“.  

Scholz bezeichnet Abstimmung als „inakzeptabel“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die von den prorussischen Behörden in vier ukrainischen Regionen angekündigten Referenden über eine Annexion durch Russland als inakzeptabel zurückgewiesen. Es sei „ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können“, sagte Scholz am Dienstag vor Journalisten in New York. Sie seien „nicht gedeckt“ „vom Völkerrecht und von den Verständigungen die die Weltgemeinschaft gefunden hat“.

Nach Scholz hat auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die geplanten „Scheinreferenden“ in der Ukraine scharf verurteilt. „Scheinreferenden haben keine Legitimität und verändern nicht das Wesen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine“, schrieb Stoltenberg am Dienstag im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Dies ist eine weitere Eskalation in Putins Krieg“, betonte der Norweger unter Verweis auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

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„Die internationale Gemeinschaft muss diese eklatante Verletzung des internationalen Rechts verurteilen und die Unterstützung für die Ukraine noch erhöhen“, verlangte Stoltenberg. Die pro-russischen Behörden in den vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja hatten zuvor Referenden über einen Anschluss an Russland angekündigt. Sie sollen an diesem Freitag

Auch die USA haben die angekündigten Scheinreferenden in der Ukraine verurteilt. „Wir werden dieses Gebiet niemals als etwas anderes als einen Teil der Ukraine anerkennen. Wir weisen das Vorgehen Russlands eindeutig zurück“, sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Washington am Dienstag.

Baerbock: Russland „verhöhnt“ Ukraine und UN

Außenministerin Annalena Baerbock versteht die angekündigten Scheinreferenden als „Verhöhnung“ der Ukraine und der Vereinten Nationen. Die erneute Provokation dürfe nicht zur Folge haben, aus Angst vor einer weiteren Eskalation des Konflikts von der Unterstützung der Ukraine abzurücken, mahnte die Grünen-Politikerin am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“.

Die Weltgemeinschaft werde deutlich machen, „dass man eine sogenannte Abstimmung mit vorgehaltener Waffe am Kopf niemals akzeptieren kann“, sagte die Außenministerin. Dass diese ausgerechnet zum Auftakt der UN-Generalversammlung in New York angekündigt wurden, zeige, „wie sehr der russische Präsident die Vereinten Nationen, das internationale Recht, eigentlich alle anderen Staaten dieser Welt mit Füßen tritt“.

Baerbock machte auch deutlich, dass sie in den geplanten Abstimmungen angesichts der Rückeroberungen großer Gebiete durch die Ukraine eine Verzweiflungstat des russischen Präsidenten Wladimir Putin sieht: „Da er militärisch derzeit nicht weiterkommt, greift er nun zu diesem Schritt“, sagte Baerbock. Das russische „Regime“ habe massiv unterschätzt, „dass man nicht in ein paar Tagen nach Kiew durchmarschieren kann“.

Macron will erneut mit Putin sprechen

Referenden in besetzten Gebieten der Ukraine über einen Beitritt zu Russland werden dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zufolge international nicht anerkannt. Die Idee eines solchen Referendums im Donbass sei „zynisch“ und eine „Provokation“, sagt Macron anlässlich der UN-Vollversammlung in New York.

Die russischen Truppen müssten aus der Ukraine abziehen, fordert er und kündigt an, er werde in den nächsten Tagen erneut mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sprechen.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission auf einer Pressekonferenz.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission auf einer Pressekonferenz.

© AP/dpa/Virginia Mayo

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die geplanten Abstimmungen als klaren Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen kritisiert. „Wir werden niemals den Versuch Russlands anerkennen, seine illegale und brutale Besetzung ukrainischer Gebiete zu legitimieren“, teilte von der Leyen am Dienstag am Rande der UN-Generalversammlung in New York auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

„Die Absicht, die Grenzen der Ukraine zu verschieben, ist völlig inakzeptabel und ein klarer Verstoß gegen die UN-Charta und die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine“, betonte von der Leyen weiter.

Borrell droht Russland mit neuen Sanktionen

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell droht Moskau mit weiteren Sanktionsmaßnahmen. „Diese illegalen „Abstimmungen“ können unter keinen Umständen als Ausdruck des freien Willens der Menschen angesehen werden, die in diesen Regionen unter ständiger militärischer Bedrohung und Einschüchterung durch Russland leben“, schrieb Borrell in einer Mitteilung am Dienstag.

Russland und alle, die an den Abstimmungen sowie anderen Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligt seien, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Es würden auch zusätzliche „restriktive Maßnahmen“ erwogen, sagte Borrell. „Die Europäische Union verurteilt aufs Schärfste diese geplanten illegalen „Referenden““, schrieb Borrell.

Die Abstimmungen richteten sich gegen die rechtmäßige und demokratisch gewählte ukrainische Regierung und verletzten die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität des Landes. Sie stellten einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht dar und ihre Ergebnisse würden von der EU nicht anerkannt, sagte Borrell.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat Pläne für Abstimmungen über einen Beitritt von ostukrainischen Regionen zu Russland verurteilt. Diese „Referenden“ in besetzten Gebieten würden dem Kriegsvölkerrecht zuwiderlaufen und wären illegal, hieß es am Dienstagabend.

„Die Resultate hätten deshalb keine rechtliche Wirkung“, betonten der OSZE-Vorsitzende und polnische Außenminister Zbigniew Rau, die OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid und andere führende Vertreter der Organisation in einer gemeinsamen Stellungnahme. (dpa, AFP, Reuters).

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