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Berlin: 1. Mai: Krawalle in Kreuzberg - Polizei stundenlang hilflos

Aus brennenden Autos steigen Rauchschwaden empor, Polizisten in Kampfuniformen verschanzen sich hinter Wasserwerfern, pausenlos prasseln mit lautem Knallen Pflastersteine auf die Beamten herab. Kurz nach 18 Uhr sieht es rund um den Kreuzberger Mariannenplatz aus wie in einem Bürgerkriegsgebiet.

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Aus brennenden Autos steigen Rauchschwaden empor, Polizisten in Kampfuniformen verschanzen sich hinter Wasserwerfern, pausenlos prasseln mit lautem Knallen Pflastersteine auf die Beamten herab. Kurz nach 18 Uhr sieht es rund um den Kreuzberger Mariannenplatz aus wie in einem Bürgerkriegsgebiet. Bis in die späte Nacht hängt der beißende Geruch von Tränengas in der Luft. "Das sind die schlimmsten Krawalle, die ich seit zehn Jahren erlebt habe", sagt ein Polizist. Kreuzberg im Ausnahmezustand.

Zum Thema Online Spezial: Die Mai-Krawalle in Kreuzberg Bilder des Tages: Kundgebungen am Tag, Randale in der Nacht Begonnen hatte alles am Nachmittag nach dem Ende der Demonstrationen linker und linksradikaler Gruppen. Diese waren, von vereinzelten Flaschenwürfen abgesehen, weitgehend friedlich verlaufen. Nach dem offiziellen Abschluss der genehmigten Veranstaltungen warfen Jugendliche in der Adalbertstraße mehrere Scheiben leer stehender Büros ein. Auch ein Buswartehäuschen ging zu Bruch. Gegen 15.30 Uhr versuchten ein paar Randalierer, aus Müllcontainern eine Barrikade auf dem Oranienplatz zu bauen. Die Polizei schritt ein, die Störer zogen sich zurück.

Zu einer ersten direkten Auseinandersetzung zwischen Polizisten und Randalierern kommt es gegen 16.25 Uhr. Die Polizei fordert eine Menschengruppe auf, die Kreuzung Oranienstraße/Adalbertstraße zu räumen. Daraufhin fliegen den Beamten Dosen und Flaschen entgegen. Die Polizisten drängen die Menschenmenge in Richtung Wiener Straße ab. Vereinzelt fliegen erste Pflastersteine. Die ersten Lokale in der Oranienstraße lassen ihre Rolläden herunter und holen die Tische von den Gehwegen.

In der folgenden Zeit stauen sich zwischen Adalbertstraße und Heinrichplatz auf beiden Seiten die Aggressionen auf. Eine Gruppe von vermummten Randalierern hat im Schutze des Volksfestes einen Angriff gegen die rund um den Platz postierten Polizeikräfte gestartet. Bis eben hatten hier noch 2000 Menschen friedlich den Tag der Arbeit gefeiert, jetzt fliegen plötzlich die Pflastersteine. Erst vereinzelt, dann als Hagel, der erst zwei Stunden später aufhören wird. Plötzlich eskaliert die Lage an mehreren Ecken gleichzeitig. Autos werden umgestürzt und angezündet. Die Polizei steht der Gewalt anfangs hilflos gegenüber.

Begleitet von pausenlos feuernden Wasserwerfern versuchen sie, zum Mariannenplatz vorzudringen. Lange Zeit ohne Erfolg. Immer wieder müssen die Beamten im Steinhagel zurückweichen. Ein Wasserwerfer wird so stark beschädigt, dass die Polizei ihn aus dem Gefecht zieht. Die Randalierer - eine bunte Mischung aus Jugendlichen, Autonomen, Punks und mit ihnen sympathisierende Schaulustige - verstecken sich hinter den Bäumen des Mariannenplatzes vor den Wasserkanonen der Polizei. Etwa 1000 Menschen sind noch auf dem Mariannenplatz. Außer Steinen fliegen jetzt auch Signalraketen in Richtung der Beamten. Die Beamten antworten mit Tränengas.

Als gegen 19 Uhr die ersten Wasserwerfer ihre Ladung verschossen haben, versuchen die Beamten, sie an Hydranten aufzutanken. Dabei werden Polizisten von Anwohnern beschimpft und mit Wasser bespritzt. Die Stimmung heizt sich immer weiter auf. Überall liegen Steine auf der Straße, Glasscherben, einzelne ausgebrannte Autos.

Gegen 20 Uhr gelingt es der Polizei, mit drei Wasserwerfern auf den umkämpften Platz vorzudringen. Trupps von Polizisten laufen los und umzingeln Gruppen von Randalierern. Die Beamten drängen etwa 500 Menschen in einen Polizeikessel vor der Matthäikirche und halten sie dort fest.

Gegen 21 Uhr flammt die Gewalt an mehreren Ecken Kreuzbergs erneut auf. An der Naunynstraße werden erneut Steine auf Polizisten geworfen. An der Adalbertstraße wird ein Demonstrant schwer verletzt. Er hatte sich vor die heranstürmende Polizei gestellt. Ein Notarztwagen transportiert ihn in die Klinik. Die Umstehenden rufen "Mörder, Mörder!" Unterdessen hat sich der Krawall in Richtung Kottbusser Tor verlagert. Von der Mittelinsel fliegen Steine in Richtung Adalbertstraße, in der Unterführung kommt es zu kleineren Scharmützeln zwischen Randalierern und Polizisten. Gegen 21.30 Uhr stellt die U-Bahn am "Kotti" den Betrieb ein. Eine halbe Stunde später ist die Gegend um das Kottbusser Tor von der Polizei abgeriegelt.

22.30 Uhr: Noch immer stecken etliche Menschen im Polizeikessel vor der Matthäikirche. Die Polizei versucht zu klären, wer zu den Straftätern gehört. Die Störer werden in Polizeitransportern abgeführt. Die vorläufige Bilanz der Polizei: Bis zum Abend wurden 150 Personen festgenommen, mindestens ein Polizist soll Kopfverletzungen erlitten haben. Ein Arzt des nahen Urban-Krankenhaus spricht am frühen Abend von einer Handvoll verletzter Demonstranten und Beamten. Außer Autos gingen auch Bushaltestellen, Telefonzellen und Fensterscheiben zu Bruch, Straßenlaternen wurden von den meist jugendlichen Krawallmachern aus den Verankerungen gerissen. Das ist nur die vorläufge Bilanz des Abends: An mehreren Ecken Kreuzbergs und Neuköllns gehen die Scharmützel mit der Polizei noch bis in die Nacht hinein weiter.

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