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75 Jahre Tagesspiegel: Warum unsere Gesellschaft ein Mehr an Journalismus braucht

Dieter von Holtzbrinck ist seit 28 Jahren Tagesspiegel-Verleger. Neben der Kontrollfunktion der freien Presse sieht er ungeschriebene Aufgaben für die Zukunft.

Die Gründungsväter des Tagesspiegels verfolgten das hehre Ziel, an einer demokratischen Entwicklung des geschlagenen und zerrissenen Deutschlands tatkräftig mitzuwirken.

„Rerum cognoscere causas“: Die Wahrheit ans Licht zu bringen, die Bevölkerung offen und unabhängig von Machtinteressen zu informieren, war das ganze Streben von Erik Reger und Walther Karsch – es gilt bis heute.

Nach 1945 wurde der Tagesspiegel bald eine viel beachtete Stimme unter mehreren Berliner Blättern, blieb wirtschaftlich aber lange das Aschenputtel. Als uns das Unternehmen vor 28 Jahren anvertraut wurde, wussten wir von der publizistischen Stärke der Redaktion, aber ebenso von den unübersehbaren Schwächen im Verlag – Upside-Potenzial für ein gutes Management. Heute, im 75. Jahr seines Bestehens, ist der Tagesspiegel an erster Stelle, ganz vorne publizistisch, aber auch bei Auflage und Umsatz.

Für diesen Erfolg gibt es zwei einfache, nachvollziehbare Gründe. Zum einen glaubten wir immer an unser Blatt und seine Chancen im bedeutendsten deutschen Zeitungsmarkt. Die Einschätzung, dass die Hauptstadt zumindest eine anspruchsvolle Qualitätszeitung benötigt und auch alimentieren kann, erwies sich als richtig.

Zum Zweiten reagierten wir – gegenläufig zu unseren Wettbewerbern – offensiv auf die gravierenden Marktveränderungen, die infolge der Digitalisierung und der Finanzkrise eintraten. Statt auf das Allheilmittel „cost-cutting“ zu setzen, haben wir die wandelnden Bedürfnisse unserer Leserinnen und Leser, User und Kunden analysiert und unsere publizistischen Angebote ausgebaut und nutzwertiger gemacht.

Nötig sind Problemlösungen und Orientierungshilfen

Was in Zeiten der Globalisierung und der Überflutung mit Informationen Mangelware ist, sind Medien, die Relevantes und Richtiges von Unwichtigem und Falschem trennen, die Ursachen von Fehlentwicklungen erforschen und Problemlösungen sowie Orientierungshilfen bieten. Dementsprechend legten wir den Fokus auf tief recherchierte, klar analysierte und sachkundig kommentierte Informationen, die wir in jeder technologisch möglichen Form unseren Zielgruppen anbieten.

[In Berlin, in Deutschland, überall: Alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy bekommen Sie mit unserer runderneuerten App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Was aber bringt die Zukunft – mit und nach Corona? Der Großraum Berlin beherbergt viele Bildungsbürger, die starkes Interesse an Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft haben. Personen, die den Tagesspiegel kennen und schätzen, dennoch bisher nicht abonnieren. Grund genug, selbstkritisch zu bleiben und analytisch, kreativ und mutig unser bisheriges „Angebot“ weiterzuentwickeln.

Aber auch überregional ergeben sich Chancen für den Tagesspiegel, werden dessen exklusive Informationen zunehmend – digital – wahrgenommen. Denn trotz schätzenswertem Föderalismus werden die wichtigsten Entscheidungen in Berlin gefällt. Und da ist der Tagesspiegel die beste Quelle.

Aufklärung und Debatte statt Spaltung

So ist mir um eine gute Zukunft des Tagesspiegels nicht bange. Besonders wichtig für unser Land ist aber – wie vor 75 Jahren – ein Wiedererstarken der freien Presse, was nur mit einer investiven Angebotsstrategie zu erreichen ist. Denn zum viel zitierten „Wächteramt“ der Presse, welche die Mächtigen kontrolliert, kommt seit wenigen Jahren eine zweite, ungeschriebene Aufgabe hinzu: die Eindämmung demokratiezerstörender Social-Media-News.

Tagesspiegel-Verleger Dieter von Holtzbrinck
Tagesspiegel-Verleger Dieter von Holtzbrinck

© Marijan Murat/dpa

[Dieter von Holtzbrinck ist seit 1992 Verleger des Tagesspiegels. Zur Verlagsgruppe des studierten Wirtschaftswissenschaftlers gehören zudem die Handelsblatt-Gruppe und 50 Prozent des Verlages der Wochenzeitung „Die Zeit“.]

Zur Stabilisierung unseres Wertesystems und zur Vermeidung einer weiteren Spaltung der Gesellschaft bedarf es dringend eines Mehr an unabhängigem Journalismus, eines Mehr an objektiver und aufklärender Berichterstattung und eines Mehr an konstruktiv-kritischer Debatte.

Der Tagesspiegel wird seinen gesellschaftspolitischen Beitrag weiter verstärkt leisten. Sein Weg durch das digitale Zeitalter wird neue Herausforderungen bringen, die mit Klugheit und dem Glück der Tüchtigen erfolgreich zu meistern sind.

Dieter von Holtzbrinck

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