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Pyramidenklinik. 4500 Erzgebirgsartikel bietet Günter Münzberg in seinem Laden in Spandau an. Aber er repariert auch verunfallten Weihnachtsstubenschmuck.

© Thilo Rückeis

Adventsserie: Es weihnachtet sehr (4): Hölzerner Kindheitszauber

In seinem Laden in Spandau repariert und verkauft Günter Münzberg Figuren aus dem Erzgebirge. Sein erstes eigenes Stück – die von Oma geschenkte Kurrende – musste mit, als er aus der DDR ausreiste.

Ah ja, sagt Günter Münzberg, mustert den Reparaturfall und kramt in seinem Werkzeug. Wie, ah ja? „Das ist die Pyramide ,Abendgruß‘, in den 70ern in Seiffen hergestellt.“ Damit ist wieder Schweigen im Walde. Der Reparateur muss sich konzentrieren, da stört Quatschen nur. Er holt eine Schachtel mit runden bunten Teilchen raus. Das sind? „Glaslager“, sagt Münzberg, wirft einen kleinen Bohrer an und dreht die Pyramide um. „Da kommt man nur von hinten ran.“

Mitten in dieser heiklen Operation tritt Kundschaft durch die Tür. Im Advent ist Hochsaison bei „Erzgebirgische Volkskunst“ in Spandau, wo Günter Münzberg seit mehr als 20 Jahren sitzt und auf 30 vollgestopften Quadratmetern 4500 Räuchermännchen, Schwibbögen, Pyramiden, Reifentiere, Nussknacker, Orchesterengel, Spielzeuge, Krippenfiguren, Spieldosen und Miniaturen von 120 original erzgebirgischen Handwerksbetrieben verkauft. Und sie auch nach Kräften repariert.

Zum Glück nimmt sich jetzt eine Mitarbeiterin des wartenden Kunden mit der Prinz-Heinrich-Mütze an. Er verlangt nach einem neuen Baum und einer Holzplatte für seine sorgfältig in Kunststoffbeutel verpackte Figurengruppe. Und der Günter Münzberg bohrt jetzt tatsächlich ungerührt die kostbare Pyramide an, die Tante Anneliese aus der DDR einst an die Westverwandtschaft im Pyramiden-Entwicklungsland Niedersachsen schickte. Wenn das nur gut geht. Doch sicher kennt sich einer, der auf Anhieb eine seit 30 Jahren nicht mehr hergestellte Weihnachtspyramide erkennt, auch mit ihrer Mechanik aus. So richtig drehen wollten sich die auf dem Holzteller gruppierten Rodelfreunde Sandmann, Pittiplatsch und Schnatterinchen nämlich schon im letzten Advent nicht mehr. Ihr Kreiseln wirkte müde, stoppte gar, und nur beherztes Anpusten der Flügel verhinderte den Zimmerbrand. „So was kann gefährlich werden!“, sagt Münzberg. Doch was hat die Pyramide denn nur? „Das Glaslager ist kaputt“, sagt er und zeigt mithilfe einer Lupe das Loch in dem herausgebohrten Etwas vor. In dieser Glaspfanne laufe die Metallspitze des Pyramidendorns, erläutert er. Und manchmal, da zerpiekst er sie. Flugs klebt Münzberg eine neue in das Loch am Pyramidengrund, gibt einen Tropfen Nähmaschinenöl ins Glaslager – und Sandmann, Pittiplatsch und Schnatterinchen stoßen im Testlauf zu neuen Umdrehungshöchstgeschwindigkeiten vor.

Nicht schwer zu erraten, dass dieser 54 Jahre alte Familienvater nur in zweiter Linie Verkäufer und in erster Linie Liebhaber seiner Figürchen ist. Das fing schon daheim in Sachsen an, wo er in Kamenz in der Lausitz aufgewachsen ist. Da schmückten die Eltern mit Seiffener Figuren die Weihnachtsstube, aber den Sammelwahn fachte die Großmutter beim vierjährigen Günter an. Sie schenkte ihm eine Kurrende. Also einen geschnitzten Kinderchor samt Sternsingerstab und Seiffener Kirche. Die hat es dem in Dresden zum Anlagentechniker ausgebildeten Münzberg, der kein Abi machen durfte, weil er weder in die Partei noch drei Jahre zur Armee wollte, angetan. So sehr, dass er sie 1984 mitnahm, als sein Ausreiseantrag nach drei bangen Jahren endlich bewilligt wurde. „Ich habe wenig eingepackt, aber die Kurrende, die musste mit.“ Jetzt steht sie in Spandau, wo Münzberg damals hinzog, weil schon seine Schwester hier lebte.

Er weiß, dass viele Leute die Erzgebirgsfiguren für Kitsch halten. Deswegen könne die auch nur verkaufen, wer Sinn für liebevolle Details und traditionelle Handwerkstechniken wie Drechseln, Schnitzen, Spanbaumstechen, Reifendrehen, Laubsägen habe. „Für mich sind das kleine Kunstwerke“, sagt er, „da steckt viel Arbeit drin.“ Klassiker wie das Engelorchester sind denn auch begehrtes Sammelobjekt. Die Leidenschaft steckt im Laden manchen an. „Ich habe Kunden, die schon mit ihren Eltern da waren und wenn sie dann selber Weihnachten feiern, suchen sie hier den Kindheitszauber von einst.“ So wie er, wenn er im Advent die eigene Stube schmückt. Der Erzgebirgsnussknacker steht neben der Nussschale, in der ein zweiter aus Metall liegt. Der hölzerne ist Deko. Zum Knacken viel zu schade.

Erzgebirgische Volkskunst, Adamstraße 49, Spandau, www.erzgebirge-in-berlin.de

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