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Alkoholtest: Haarspalterei an Charité

Betrunkene Autofahrer müssen ins Röhrchen pusten, vermeintliche Dopingsünder geben eine Urinprobe ab, und Drogennutzer werden mit einer Blutuntersuchung überführt - nur Alkoholikern kann ihre Sucht aus wissenschaftlicher Sicht schwer nachgewiesen werden.

Berlin - "Beim Streit ums Sorgerecht oder beim Führerscheinentzug ist es aber manchmal sehr wichtig, dass ein regelmäßiger Alkoholkonsum belegt werden kann", sagt Chemiker Fritz Pragst von der Berliner Charité. Deswegen entwickelte er ein neues, deutschlandweit einmaliges Testverfahren: Mit Hilfe einer Haarprobe kann der Rechtsmediziner feststellen, ob und wie viel jemand in den vergangenen Wochen getrunken hat.

"Alkohol wird im Blut zu schnell abgebaut und Untersuchungen der Leber sind zu ungenau", erklärt Pragst. Daher überlegte er, wie Alkoholkonsum dennoch nachgewiesen werden könnte. Die Lösung: Stoffwechselprodukte, die nach dem Trinken von Bier oder Wein im Körper gebildet werden, werden nicht so schnell abgebaut wie der Alkohol selber. Stattdessen werden sie über die Blutgefäße auch bis in die Haarwurzeln verteilt, wo sie als einer von vielen Bestandteilen in das nachwachsende Haar abgegeben werden.

Hauptbahnhof-Amokläufer wird untersucht

"Je mehr jemand trinkt, desto mehr lässt sich von diesen Nebenprodukten später in den Haaren wieder finden", sagt der 65-jährige Pragst vom Institut für Rechtsmedizin. Deswegen wurde Pragst vor einiger Zeit auch eine Haarprobe des jungen Berliner Amokläufers gegeben, der wegen versuchten Mordes am Hauptbahnhof in 37 Fällen angeklagt ist. Der Jugendliche hat bisher angegeben, er könne sich wegen eines "Blackouts" an nichts erinnern. Ein Gutachten hat ihm zudem zur Tatzeit eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit attestiert, weil er betrunken war.

Die Analyse seiner Haare sollte daher klären, ob er schon vor der Tat Ende Mai regelmäßig viel Alkohol getrunken hat und damit ein Gewöhnungseffekt eingetreten war. Dafür wurden dem Jugendlichen wie allen anderen Probanden auch zwei Haarproben entnommen. "Wir brauchen insgesamt etwa 100 Milligramm, das entspricht ungefähr der Größe eines Zehn-Cent-Stücks", sagt Pragst.

Ergebnis nach 24 Stunden

Dann schneiden seine Mitarbeiter vom Institut für Rechtsmedizin - wo ansonsten hauptsächlich ungeklärte Todesfälle untersucht werden - die Haare klitzeklein und lösen sie mit Hilfe einer speziellen Lösung teilweise auf. So trennt sich der gesuchte Stoff, der Fettsäureethylester, von den Haaren ab und kann gesondert untersucht werden.

Mehr als 1000 dieser Proben haben Pragst und seine Mitarbeiter bereits untersucht. "Nach 24 Stunden wissen wir, ob und wie viel Alkohol ein Proband in den vergangenen Wochen getrunken hat", sagt Pragst. Mit diesen Ergebnissen kann dann entschieden werden, ob jemand seinen Führerschein wieder bekommen kann oder ob sich im Falle einer Scheidung beide Elternteile das Sorgerecht teilen dürfen. "Es kommt ja auch vor, dass Menschen sagen, sie würden keinen Alkohol mehr trinken und man ihnen etwas anders auch tatsächlich nicht anmerkt." In diesem Fällen bietet eine Haaranalyse jedoch experimentelle Sicherheit.

Das kann auch bei Gerichtsverfahren entscheidend sein, in denen der Alkoholkonsum des Angeklagten zur Tatzeit möglicherweise schuldmindernde Auswirkungen hätte. Wenn eine Haaranalyse jedoch ergibt, dass der Angeklagte vorher regelmäßig viel Alkohol getrunken hat, würde das dafür sprechen, dass er sich bereits an einen gewissen Alkoholpegel gewöhnt hat und trotz Alkoholkonsums zurechnungsfähig war. Das könnte auch im Fall des Berliner Amokläufers so sein. Was die Haarprobe dazu ergeben hat, verrät Pragst allerdings nicht. Das wird wohl erst der Richter beim Prozess vor Gericht bekannt geben. (Von Aliki Nassoufis, dpa)

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