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Berlin: Als teuer wird Musik empfunden… …weil sie mit Gebühr verbunden. Seit 100 Jahren treibt

die Gema Tantiemen ein für Künstler. Ein Kontrollgang

Irgendwo unterm Obst läuft Kiss FM. Dörti Danis Stimme lässt die Apfelsinen noch verführerischer in der Sonne blitzen. Ein klarer Fall von musikalischer Konsumstimulation. Hörbar illegal. Maik Zimmermann notiert: „Kiss FM“. Könnte vor Gericht mal eine Rolle spielen, so eine Notiz. Zimmermann macht „Feststellungen“ über die Allgegenwart von Musik, vom Kaufhaus-Singsang bis zum Kammerkonzert. Er ist der Mann von der Gema, der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte. Die Gema kassiert, wenn irgendwo auf der Welt zu kommerziellen Zwecken Musik gespielt wird, und sei es nur in der Warteschleife des Telefons. Gerade ist die Gema hundert geworden. Wirklich ernst genommen wird sie immer noch nicht.

Ali Kocylmaz ist der Chef hier am Obststand, klar an seiner souveränen Körperfülle erkennbar. Gema? „Erklären brauchen sie nicht, weiß ich alles.“ Kocylmaz hatte mal in Frankfurt (Oder) ein Musikcafé. Da hätten die Gema-Leute nach Tischen und Stühlen berechnet. Und jetzt etwa nach Obstkisten? Kocylmaz geht in die Offensive und winkt einen Verkäufer heran. „Das Radio ist privat, gehört dem Banditen hier.“ Zimmermann kontert: „Wem es gehört, ist egal.“ Kocylmaz legt nach. „Das ist gar kein Radio, nur Alarm.“ Er kramt lachend einen alten Radiowecker unter dem Stand hervor. „Hier, guck!“ Zimmermann zeigt keine Gnade. „Dann machen wir das Radio eben aus.“ Kocylmaz lacht, doch Zimmermann schaut betroffen. Gegen den Knopf zum Ausschalten ist er machtlos.

Maik Zimmermann ist einer von 80 Gema-Beauftragten, die auf Deutschlands Straßen das Urheberrecht einfordern. Musik abzuspielen, dieses Recht nimmt man sich einfach. Dass plötzlich jemand dafür kassieren möchte, empfinden viele Geschäftsleute als eine weitere Variante behördlicher Gebühren-Abzocke. Die Gema versucht seit Jahren, ihr Image zu bessern und „Aufklärungsarbeit“ zu leisten. Man treibe schließlich keine Gebühren ein, sondern verhelfe Autoren und Komponisten zu ihren Tantiemen.

Zimmermann hat sich für heute die Turmstraße in Moabit vorgenommen. Gabriele Schilcher von der Gema-PR-Abteilung in München läuft mit, um mal die Luft an der Basis zu schnuppern. Dass es an der Basis so schlimm würde, hätte sie allerdings nicht gedacht. Aus der Tiefe seines Ladens kommt Buchhändler Klaus-Peter Rimpel hervor, ein gebildeter, höflicher Mensch – keine Frage. Aber auch einer, der sagt, dass ihm der „alte Nazi-Verein“ Gema von der Pelle bleiben soll. Frau Schilcher japst nach Worten. Sie ist einiges gewohnt, aber „Nazi-Verein“ löst doch starkes Befremden aus.

Gleich beim Eintreten in die Buchhandlung hatte Zimmermann mit Argusaugen den winzigen Lautsprecher ganz hinten oben rechts im Bücherregal erspäht. „Nur für Lesungen“, sagt ein Mitarbeiter grinsend. „Ein Radio werden sie hier nicht finden, keine Chance.“ Dabei darf Zimmermann sowieso nichts durchsuchen.

Gleich der erste Fall in der Turmstraße ist knifflig. Eine Weinhandlung. Die Flaschen stehen mucksmäuschenstill im Regal, aber von weit hinten ist eine leicht näselnde Stimme zu hören. Eine Radiostimme, das erkennt Maik Zimmermann sofort. Der Weinhändler tritt heran, ein älterer Jahrgang. Ein Radio stehe im Büro, bestätigt er, nur für den Eigenbedarf. Rein rechtlich könnte Zimmermann jetzt gnadenlos „Lizenzgebühren bei Hörfunk-Wiedergabe“ fordern. Tut er aber nicht. Aus Kulanz. Im „Pick-up-Café“ läuft Soft-Rock von einer CD – ohne den Segen der Lizenzwächter. „Bin neu in der Branche“, entschuldigt sich Inhaberin Pia Fuchs. Im übrigen hält sie die Gema für „sauteuer“. Nochmal 190 Euro zahlen. „Macht keinen Spaß mehr.“ Jürgen Sudhoff vom Geschäft für Berufsbekleidung lacht nur, als Zimmermann seinen Spruch sagt. „Das Radio haben wir natürlich ausgestellt. Wenn Sie weg sind, machen wir es wieder an.“ Zimmermann wirkt jetzt etwas niedergeschlagen.

Die Musik einfach ausstellen? In einer Disco geht das nicht. Beim Shark-Club in Mitte, ohnehin schon finanziell angeschlagen, trug ein Streit mit der Gema dazu bei, dass jetzt das Aus kam. Probleme mit der Gema bekommen regelmäßig Fernseh- und Hifi-Geschäfte. Auch Horst Bregas. Der gelernte Toningenieur darf in seinen Läden nicht mal CDs aus Eigenproduktion abspielen. Der Fernsehton muss aus bleiben, auch wenn keine Musik läuft. „Und wann gibt’s die Atemsteuer?“, fragt Bregas.

Dass ihm solche Reaktionen seinen Job verleiden, dementiert Zimmermann. In den Job ist er reingerutscht. Sein Vater war schon bei der Gema. Er selbst half als Lehramtsstudent manchmal aus. Nach dem Studium entschied er sich gegen die hohe Lärmbelastung an der Unterrichtsfront. Dann erzählt Zimmermann noch, wie man ihn und seine Gema mal als Mafia bezeichnet hat. Das fand er unangemessen. So sind die Berliner. Wenn jemand ins Geschäft kommt und Geld will, ohne dass gleich erkennbar wird, wofür, fällt ihnen die Mafia ein. Leider sagen sie das dann auch.

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