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Ein Künstler von "PixelHelper" präsentiert die Kiste, die das Künstlerkollektiv für Obdachlose bauen möchte.

© Robert Klages

Wohnungslosigkeit in Berlin: Alternatives Übernachten für Obdachlose

Festival-Lodge, selbst gefertigte Holzbox oder mobile Kiste mit Internet und Einhornkostüm: Drei private Initiativen wollen Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose anbieten.

Unter der Brücke oder in einem Hauseingang: Im Winter kann Obdachlosigkeit lebensgefährlich werden. Die Unterkünfte der Stadt sind oft überfüllt. Daher machen sich einige private Initiativen Gedanken, wie sie die Menschen mit Übernachtungsmöglichkeiten versorgen können. Doch sind diese Ideen hilfreich? Und bewirken sie, was beabsichtigt ist?

Auf dem Gelände der Berliner Kirchengemeinde St. Antonius in Friedrichshain werden in diesem Jahr beispielsweise alternative Übernachtungsmöglichkeiten erprobt. 16 Holzhütten stehen dort bereit, die mobilen Unterkünfte werden von dem Unternehmen „MyMolo“ normalerweise auf Musikfestivals vermietet – als komfortabler Zeltersatz. Jetzt, da es kalt ist, sollen die Hütten anders zum Einsatz kommen. „Sie geben den Obdachlosen ein bisschen Heimatgefühl“, glaubt Diakon Wolfgang Willsch.

Die Männer und Frauen dürfen in den Einzelhütten keinen Alkohol trinken und müssen einen Tagesablauf einhalten. Morgens um acht Uhr aufzustehen gehört dazu. „Nicht jeder Obdachlose ist für so eine Hütte geeignet“, sagt Willsch. Wichtig seien psychische Stabilität, Eigenverantwortlichkeit und das Einhalten bestimmter Regeln. Die Hütten stehen also nur Obdachlosen zur Verfügung, die ohnehin schon einen Schritt aus ihrer Situation heraus geschafft haben. Bei den meisten ist dies jedoch nicht der Fall.

Mehr als 70 Prozent aller Obdachlosen seien psychisch krank oder hätten ein starkes Alkoholproblem, schätzt Ortrud Wohlwend, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Stadtmission. „Solche Hütten können kurzfristig eine Lösung sein, und es ist sicher besser, als draußen zu übernachten.“ Ob man die Häuschen mit integriertem Ofen in großer Zahl einrichten kann, bezweifelt Wohlwend aber. Denn die Obdachlosen müssten entsprechend versorgt werden, auch durch ein psychologisches Angebot. Ein Dach über dem Kopf allein helfe nicht.

Diese Holzhütten von "MyMolo" werden eigentlich fürs Luxus-Campen auf Festivals verwendet. Im Winter sollen sie nun auch Obdachlosen zugute kommen.

© Promo

Dieses Jahr kommen mehr Obdachlose zur Stadtmission als sonst

„Ungewohnt hoch“ sei der Andrang bei der Stadtmission schon früh in diesem Winter gewesen. Das Zentrum der Berliner Stadtmission am Hauptbahnhof verfügt über 121 Übernachtungsplätze. In manchen Nächten waren schon mehr als 200 Gäste da. Die, die kein Bett mehr bekommen, übernachten im Aufenthaltsraum. „Wir sind fassungslos angesichts des Andrangs – und es ist noch nicht einmal bitterkalt. Wo soll das hinführen?“, fragt Wohlwend besorgt. So viele Gäste habe es in den vorherigen Jahren nur bei extremer Kälte gegeben. Daher hat Ende November die Traglufthalle „Halleluja“ mit etwa 100 Plätzen am Güterbahnhof der Bahn hinter dem Ringcenter in der Frankfurter Allee in Lichtenberg eröffnet.

Eine der Boxen für Obdachlose von Sven Lüdecke. Der Kölner bekommt Anfragen aus ganz Deutschland.

© Privat

Auch der Kölner Sven Lüdecke hat sich Gedanken gemacht, wie er den Obdachlosen im Winter helfen kann. Er verschenkt „Wohnboxen“, gefertigt aus Europaletten, Dachpappe und imprägniertem Pressholz: 2,40 Meter lang, 1,60 Meter hoch und 1,40 Meter breit. Rund um den Kölner Dom gibt es bereits zwei davon. Übernachten dürfen die Obdachlosen laut Gesetz eigentlich nicht darin, vom Ordnungsamt wird es ihnen aber trotzdem gestattet. Die Beamten schauen fast täglich nach den Boxen.

Lüdecke hat unterdessen mehr als 100 Anfragen aus ganz Deutschland, er kommt mit der selbst finanzierten Produktion nicht mehr hinterher und gründet daher derzeit einen Verein. Ortrud Wohlwend von der Stadtmission sieht auch hier guten Willen, jedoch einige Schwierigkeiten: „Gehört zu jeder Kiste ein WC? Wer räumt auf? Wer eine solche Kiste an einen Obdachlosen gibt, übernimmt Verantwortung dafür. Wie sieht die aus?“

In extra produzierten Boxen sollen Obdachlose ein Einhornkostüm tragen

Noch in der Entwicklungsphase befindet sich ein Hilfsprojekt von „PixelHelper“, eines Künstlerkollektivs, das gleichzeitig eine gemeinnützige Organisation ist. Das Kollektiv ist sonst dafür bekannt sind, Lichtkunst an Botschaften zu projizieren, wie zum Beispiel ein Erdogan-Gesicht mit Hitler-Bärtchen an die türkische Botschaft in Berlin. Auch haben sie ein Buch in mehreren Sprachen produziert: Eine Umschrift von "Mein Kampf", bezogen auf den Lebenslauf von Donald Trump.

Im Winter sorgen sie sich um die Obdachlosen. „Wie kann es sein, dass Leute immer noch auf der Straße leben müssen“, fragt Oliver Bienkowski, Freimauer und Gründer von „PixelHelper“. Bisher wurde ein Prototyp produziert: Eine blaue Box, auch "Kältenotfallkapsel" genannt, etwa drei Meter lang und einen Meter hoch, auf Rollen und mit kleinen Fenstern, mit Styropor isoliert, mit Bootsklarlack vor Regen und Nässe geschützt und mit einem Solarpanel ausgestattet – so soll Strom für Licht und ein Smartphone vorhanden sein. Der Obdachlose soll „soziale Produkte“ wie Wasserflaschen verkaufen – der Erlös ginge zu 50 Prozent an die Verkäufer, die andere Hälfte soll „PixelHelper“ behalten, um neue Kältekapseln produzieren zu können.

Die Idee allerdings hat teils bizarre Züge: Die Obdachlosen sollen ein Einhornkostüm tragen. "Egal wer darin steckt, egal wie derjenige sonst gesellschaftlich gesehen wird, werden die Leute sich auf das Produkt konzentrieren", meint Bienkowski.

Die Obdachlosen bekämen zudem eine Art Arbeitsvertrag. Aber zuerst müssten die Boxen überhaupt produziert werden. Zwischen 500 und 1000 Euro kostet eine. „PixelHelper“ hofft auf Spendengelder, ohne die eine Produktion nicht möglich sei. Großspender würden die großen Holz-Roboter, die auf dem Foto im Hintergrund zu sehen sind, geschenkt bekommen.

Andreas S. lebt schon seit fünf Jahren auf der Straße, im Winter geht auch er in die Stadtmission. „In so eine Box würde ich nicht gehen“, sagt der 48-Jährige. „Egal wie kalt es ist.“ Die 52-jährige Angela U. hingegen würde nicht Nein sagen. „Wenn ich so eine Box irgendwo finden würde, würde ich mich da reinlegen. Warum denn nicht?“

Wohlwend von der Stadtmission hält auch diese Idee für nicht zu Ende gedacht: „Es ist ein Trugschluss, dass ein Dach über dem Kopf alle Probleme löst. Oftmals liegt eine psychische wie auch physische Problematik vor, die Menschen davon abhält, für sich eigenständig zu sorgen. Eine ‚selbst verwaltete‘ Kiste ist dann überhaupt keine Hilfe. Weil Menschen vor allem Menschen brauchen.“

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