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Berlin: Am Ende der Röhre

Mit der Produktion bei Samsung in Oberschöneweide gehen nicht nur 750 Jobs verloren, sondern auch ein Stück Industriegeschichte

Munter, ja vielleicht etwas zu munter flattern die Fahnen von Südkorea, Deutschland und Samsung am Freitagnachmittag im Herbstwind. Rund 500 Menschen sind gekommen, um durch die Straßen von Oberschöneweide zu ziehen. Jetzt hat es auch noch sie getroffen, die bisher weiter Bildröhren produzieren durften, während ringsum Arbeitsplätze und Hoffnungen verschwanden. Wut und Angst treiben sie auf die Straße, die Ostendstraße, an der sich auf fast einem Kilometer der Samsung-Gebäudekomplex zieht: Links das fensterlose Bildröhrenwerk mit den blauen Aufzugschächten, in der Mitte die Transportbrücke über der Einfahrt und rechts der graubraun verputzte Bau, der die Straße verdunkelt.

Ganz allein lässt man die Demonstranten nicht. Der Bürgermeister von Treptow-Köpenick, Klaus Ulbricht, ist gekommen, ebenso CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer und der parlamentarische Geschäftsführer der Linkspartei, Uwe Doering. Man will nicht nur demonstrieren, sondern auch Unterschriften sammeln, die an die Zentrale in Südkorea gesandt werden sollen. Samsung-Betriebsratsvorsitzender Wolfgang Kibbel kündigt für die nächste Woche ein weiteres Gespräch mit der Geschäftsführung an. Bei einem Benefizkonzert am 14. Oktober sollen die Puhdys und City spielen.

Aus der Fassade, an dem der Protestzug vorbeiführt, ragen noch die Sockel, in die zum DDR-Feiertag am 7. Oktober immer die Fahnen gesteckt wurden. In den Fenstern hängen Firmenschilder kleiner Unternehmen, die nach der Wende hierher nach Oberschöneweide zogen oder aus den Resten des Werkes für Fernsehelektronik auferstanden. Als die Scheiben zum letzten Mal geputzt wurden, war die Globalisierung wohl noch nicht allzu weit vorangeschritten. Jetzt ist sie da – und krallt sich nicht nur die 750 Arbeitsplätze in der Bildröhrenproduktion, sondern auch ein bedeutendes Stück Industriegeschichte, ja „Industriekunst“, wie es in Architekturführern heißt.

Der Künstler war Peter Behrens, Maler, Architekt. Er war künstlerischer Berater der AEG, die seit über 100 Jahren das Leben hier geprägt hat – erst mit den aus gelblichen Ziegeln gemauerten Fabrikhallen der Kabel- und Glühlampenwerke, später mit dem Komplex an der Ostendstraße. Sieben Etagen, deren Räume sich nach Belieben umbauen lassen und sich ebenso für die anfängliche Produktion von Autos wie für die Herstellung von optoelektronischen Bauelementen und digitalen Anzeigen eigneten. Büros ohne Fabriklärm, Arbeit bei Tageslicht – Behrens hat Maßstäbe gesetzt.

Gekrönt werden die 1915 bis 1917 errichteten Hallen von einem 59 Meter hohen Turm. Unter einem Gewölbe und einer monumentalen Eisenlaterne hindurch geht man hinein, eine großzügige helle Treppe hinauf ins Atrium. Durch die mattgläserne Decke fällt das Licht auf vier Etagen mit Wandelgängen, Rundbögen, Säulen und Simsen. Man könnte sich in einem Schloss wähnen, würde nicht vom Treppenhaus her der Paternoster rumpeln. Eine Mark hat Samsung 1993 für das riesige Areal bezahlt. Nur der denkmalgeschützte Turm wurde zwei Jahre später – laut Samsung „für weitaus mehr Geld“ – dazugekauft, weil er so schön repräsentativ war. Damals träumte man von Oberschöneweide bis Seoul davon, hier die Deutschland- oder gar die Europazentrale des Elektronikkonzerns zu etablieren: 100 Jahre Industriegeschichte, 50 Jahre Röhrenproduktion, den Flughafen Schönefeld um die Ecke, die Spree hinterm Haus, eigener Bahnanschluss. Jetzt fährt nur noch die Straßenbahn wie einst, als sie jeden Morgen rund 25000 Menschen nach Oberschöneweide brachte, 9000 davon ins Werk für Fernsehelektronik, „WF“ genannt.

Von Europazentrale war wegen der Asienkrise Mitte der 90er keine Rede mehr, aber immerhin behielten rund 1000 Leute ihre Jobs. Die meisten im Bildröhrenwerk, das Anfang der 80er mit Know-how von Toshiba errichtet wurde.

Und jetzt? „Die Maschinen in der Produktionshalle werden nicht verkauft“, sagt ein Samsung-Sprecher. Man bleibe hier mit 50 Forschungs- und Vertriebsleuten sowie als Vermieter. „Die Betreuung ist exzellent, und von den Mietpreisen träumen andere“, erzählt ein WF-Veteran, der noch heute im Behrens-Bau arbeitet. „Dafür liegt halt abgebröckelter Putz auf meinem Fensterbrett.“ Samsung investierte nach eigenen Angaben 190 Millionen Euro in den Standort – auch wenn die Fassade nicht danach aussieht.

Ein Mieter nennt Samsung „völlig normale Kapitalisten“ und die Konzentration auf die Fertigung in Ungarn verständlich: „Dort haben sie keinen Ärger mit Regierung oder Gewerkschaften und zahlen ein Viertel der Löhne.“ Er sagt das ohne Groll – und lobt zugleich den Kampf von Betriebsrat, Senat und der Bürgerplattform „Organizing Schöneweide“, die schon die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) hierher holte. Dass jetzt das alte Standbein im Kiez wegbricht, bevor das neue steht, ist bitter.

„Bei entsprechender Gegenwehr bleiben vielleicht 100 Leute und nicht nur 50. Immerhin“, sagt ein Mieter aus dem Behrens-Turm. Für ihn selbst ändert sich wenig, zumal Samsung mitgeteilt hat, dass man die Immobilie mindestens bis 2012 behalten werde. Wahrscheinlich aber länger, vermutet er. Notgedrungen. Eine Komplettsanierung würde zwischen 25 und 40 Millionen Euro kosten, hat er gehört. Man könnte eine Menge machen mit dem Behrens-Bau – die vergangenen 90 Jahre hätten das gezeigt.

„Organizing“-Sprecher Gunther Jancke und seine vielen Verbündeten haben noch keinen Plan. Erst um die Jobs kämpfen, dann alle Beteiligten zusammenholen, sagt er spontan. „Vielleicht gehören Designbüros in so einen bedeutenden Bau.“ Hauptsache, der Industriebau lebt weiter am Ende des Industriezeitalters.

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