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Mehr als die Hälfte der Berliner Wähler stimmten am Sonntag für eine Offenhaltung Tegels – ganz im Sinne der FDP und der Fluglinie Ryanair, die für die Erhaltung warb.

© dpa

Analyse einer Stadt: Die Hauptstadt auf der Couch

Beim Airport Tegel und dem Umgang mit der Alternative für Deutschland ist die Stadt gespalten. Was eine Psychologin den Berlinern jetzt rät.

Nach all den Wahlergebnissen könnte man sagen: Berlin besitzt gerade eine gespaltene Persönlichkeit. Die einen wollen mit der Offenhaltung des Flughafens Tegel das Unmögliche möglich machen und appellieren an Berlins Regierung, etwas umzusetzen, das weder die noch der Bund will.

Und der klare Einzug der AfD in die Parlamente? Endlich verschaffen sich Kritiker der zuletzt etablierten Volksparteien eine öffentliche Stimme, freuen sich die einen. Jetzt werde über die rechtspopulistische Partei Rückwärtsgewandtheit, Rassismus und Menschenverachtung hoffähig, sagen die anderen. Wie also künftig versöhnlich und konstruktiv miteinander umgehen? Das ist auch in psychologischer Hinsicht eine interessante Frage.

Frau Heuser, wie ist der Stadt Berlin jetzt zu helfen?

Wir erleben wieder einmal mit, dass Diskussionen über Politik leidenschaftlich und emotional geführt werden. Was immer wichtig ist für ein gutes Auskommen: Miteinander reden und Kompromisse aushandeln, bei denen jeder das Gefühl hat, auch der andere muss etwas abgeben, ich werde nicht über den Tisch gezogen.

Generell gebe ich in Bezug auf den Flughafen Tegel beim Verweis auf bestehende Gesetze den Hinweis: Gesetze sind menschengemacht und können auch geändert werden.

Wie erklären Sie sich, dass sich die Stadt an der Frage der Offenhaltung oder Schließung eines Airports so reibt?

Da muss man sich anschauen, warum die Wähler dafür gestimmt haben, den Flughafen Tegel offen zu halten. Für mich ist das Ergebnis nicht nur eine Entscheidung aus egoistischen Motiven wie: schnell von Straße zu Gate. Das war auch Protest nach dem Motto: Wir wollen der Politik einen Denkzettel verpassen.

Viele werden einfach unzufrieden sein mit Rot-Rot-Grün und wollten durch das Votum gegen den alleinigen, derzeitigen Problem-Flughafen BER ihr Mütchen kühlen.

Mit Protest und Trotz allein kommt man aber doch nicht weiter.

Genau. Da möchte ich auch den Medien selbst etwas ins Gewissen reden, sie tragen meiner Ansicht nach eine Mitverantwortung, was den Bundestagswahlkampf betrifft. Wochenlang haben Medien bemängelt, der Wahlkampf sei „langweilig“. Die Politik ist doch aber nicht dafür da, uns zu amüsieren oder etwa Infotainment zu bieten, sondern dafür da, Probleme zu lösen. Ist es denn eigentlich schlimm, wenn große Volksparteien still regieren

Immerhin ist doch der größte Teil des Volkes repräsentiert. Wenn dann berichtet wird, alle seien gegen die AfD, ohne aber auch die Argumente und Kritik der AfD sachlich zu beleuchten, dann gibt es eher den Effekt der reaktiven Solidarisierung: Jetzt wähle ich die erst recht. Bemerkenswert ist ja auch das Phänomen, dass so viele Protestwähler in den neuen Bundesländern, die vormals die Linke wählten, jetzt ihr Kreuz bei der AfD machten.

Da steckt sicher auch das Gefühl der eigenen Unsicherheit, des eigenen mangelnden Selbstwertes, des Gefühls einer Benachteiligung dahinter. Angst vor Terror oder ähnlichem muss die Politik ernst nehmen, Kritisches wie Kriminalität unter Flüchtlingen ehrlich ansprechen. Einen zweiten Anis Amri darf es nicht geben.

Aber fast 42 Prozent stimmten eben auch dagegen, einige von ihnen machten ihrem Ärger über Tegel in der vergangenen Woche bei einer Protestaktion auf dem Ku’damm Luft.
Aber fast 42 Prozent stimmten eben auch dagegen, einige von ihnen machten ihrem Ärger über Tegel in der vergangenen Woche bei einer Protestaktion auf dem Ku’damm Luft.

© dpa

Wie kann man dem vorbeugen, dass eine Gesellschaft sich nicht in verfeindet gegenüberstehende Lager spaltet?
Sowohl beim Tegel-Ergebnis als auch beim Abschneiden der AfD als drittstärkster Kraft empfehle ich, auf einer Meta-Ebene zu schauen, was wirklich hinter der Wahl steht. Die etablierten Politiker sollten sich und die Bürger, die gegen sie stimmten, ganz ehrlich fragen: Warum findet ihr uns so schlecht? Was können, was sollen wir in der Zukunft besser machen?

Bislang haben viele mit dem Finger auf die Alternative für Deutschland gezeigt. Jetzt muss man mit den AfD-Vertretern im Bundestag gemeinsam das Land gestalten. Sollen politische Gegner die AfD ignorieren oder auf sie zugehen?
Also was auf keinen Fall helfen würde, ist, die AfD zu dämonisieren. Da ergibt sich nur der psychologische Trotzeffekt bei den Neugewählten: Wir halten jetzt erst recht zusammen – wir gegen die anderen. Deswegen fand ich auch die spontane Gegendemo am Sonntagabend vor der AfD-Wahlparty am Alexanderplatz nicht das richtige Mittel des Protests.

Das stärkt nur das Wir-Gefühl der anderen. Die Alternative für Deutschland ist eine demokratisch gewählte Partei. Die Politiker sollten die AfD-Kollegen ganz sachlich mit den Mitteln demokratischer Kultur behandeln: Nun macht mal. Und wenn es Fehler und Verstöße gibt, sollte man diesen mit allen verfügbaren parlamentarischen Mitteln entgegenwirken.

Noch ein Wort zum Verhalten des Neu-Oppositionellen Martin Schulz?

Wenn ich mir ansehe, wie dünnhäutig und unsouverän Schulz nach der Wahl reagiert hat, bin ich froh, dass eine so besonnene Frau wie Bundeskanzlerin Angela Merkel künftig mit psychologisch schwer zu begegnenden Egomanen wie Donald Trump verhandelt und nicht Martin Schulz.

Das Gespräch führte Annette Kögel.

Isabella Heuser, 61, ist Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Die Diplom-Psychologin ist auch Ärztin und Psychiaterin.

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