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Viele Teenager leiden an Depressionen. Sie sind aber nicht immer ganz leicht zu erkennen.

© Peter Steffen/dpa

Update

Anstieg bei Depressionen und Angststörungen: Jedes vierte Berliner Schulkind hat psychische Probleme

Laut einer DAK-Studie hat ein Viertel der Schulkinder in Berlin psychische Probleme. Die Zahlen für Depressionen liegen deutlich über dem Bundesschnitt.

Etwa jedes vierte Schulkind in Berlin zeigt psychische Auffälligkeiten. Das geht aus dem „Jugendreport Berlin“ der Krankenkasse DAK hervor, der am Donnerstag in Berlin veröffentlicht wurde. Insgesamt am häufigsten waren demnach Entwicklungs- und Verhaltensstörungen. Einen Anstieg gab es vor allem bei Depressionen, die Ärzte im Jahr 2017 elf Prozent häufiger diagnostizierten als noch im Vorjahr. Bei Angststörungen waren es zehn Prozent mehr.

Der Report, den die Universität Bielefeld im Auftrag der Krankenkasse erstellt hat, stützt sich auf Abrechnungsdaten von mehr als 38.000 Berliner Kindern und Jugendlichen von null bis 17 Jahren aus den Jahren 2016 und 2017. Hat ein Arzt in dieser Zeit einmal eine entsprechende Diagnose gestellt, werteten die Wissenschaftler das entsprechende Kind als erkrankt.

Der Vorteil dieser Versorgungsdaten ist, dass man anonymisierte Informationen von sehr vielen Versicherten auswerten und Trends erkennen kann. Allerdings kann nicht überprüft werden, ob die Diagnosen tatsächlich korrekt sind und unter welchen Umständen sie zustande kamen.

Im November war der Report für ganz Deutschland erschienen, nun hat die DAK die Auswertungen für die Bundesländer vorgelegt. In Berlin fallen vor allem jüngere Kinder am häufigsten durch Entwicklungsstörungen auf. Dazu gehören etwa Sprach- und Sprechstörungen. Insgesamt wurde bei etwa 16 Prozent aller Kinder und Jugendlichen eine Entwicklungsstörung diagnostiziert. Auch Verhaltensstörungen, etwa ADHS, sowie Phobien und Zwangsstörungen sind recht weit verbreitet.

Depressionen sind seltener, aber besonders relevant

Seltener, aber wegen ihrer Schwere umso relevanter sind affektive Störungen, zu denen auch Depressionen gehören: Etwa drei Prozent aller zehn- bis 17-jährigen Jungen und Mädchen bekamen im Untersuchungszeitraum die Diagnose Depression, im vorherigen Report waren es noch 2,7 Prozent gewesen. Meist handelte es sich um eine zeitlich begrenzte depressive Episode. Bei Mädchen wurde ungefähr doppelt so häufig eine Depression festgestellt wie bei Jungen – und sie bekommen auch deutlich häufiger Antidepressiva verschrieben.

Insgesamt erhalten zwölf Prozent aller Schulkinder mit Depressionen Medikamente gegen die Krankheit. Außerdem wurde jeder zehnte depressive Berliner Teenager nach den DAK-Daten im Jahr 2017 mindestens einmal wegen Depressionen im Krankenhaus behandelt. Die Zahlen für Depressionen liegen damit deutlich über dem Bundesschnitt.

Deutschlandweit diagnostizierten Ärzte im gleichen Zeitraum nur bei 1,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen eine Depression. Auch die Diagnose von Angststörungen stieg in Berlin von 2,2 auf jetzt 2,4 Prozent und lag damit 0,2 Prozentpunkte höher als bundesweit. Häufig treten Depressionen und Angststörungen auch parallel auf.

Kinder mit Adipositas, Diabetes und Asthma sind besonders anfällig

Die Wissenschaftler listen außerdem eine Reihe von Risikofaktoren für eine Depression auf, die sie mithilfe den Krankenkassendaten identifiziert haben. Demnach haben vor allem ältere Jugendliche mit einer chronischen Erkrankung ein erhöhtes Risiko, an Depressionen zu leiden. Im Alter von fünf bis neun Jahren sind es vor allem Kinder mit Adipositas, Diabetes und Asthma. Deutlich erhöht ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit auch, wenn mindestens ein Elternteil depressiv ist.

Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, schätzt die Zahlen der Krankenkasse als realistisch ein. Die Stiftung geht davon aus, dass im Vorschulalter ein Prozent der Kinder und im Grundschulalter rund zwei Prozent betroffen sind. Bei Jugendlichen stiegen die Raten dann an: Zwischen 12 und 17 Jahren seien es drei bis zehn Prozent Betroffene.

Eine Depression könne sowohl genetisch bedingt als auch zum Beispiel durch Traumatisierungen oder Missbrauchserfahrungen erworben sein, erläuterte Hegerl. Fachleute seien sich heute einig, dass die Neigung zu Depressionen in Deutschland nicht steigt. Vielmehr gebe es mehr Diagnosen, weil Ärzte das Leiden besser erkennen und mehr Menschen als früher bereit sind, sich Hilfe zu suchen.

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Bei Teenagern kann es für Laien schwer sein, Anzeichen für eine Depression vom normalem „Pubertieren“ mit heftigen Stimmungsschwankungen zu unterscheiden. Für Fachleute sei es jedoch recht gut möglich, zum Beispiel Gefühle von innerer Versteinerung zu erkennen, so Hegerl.

Auf ihrer Webseite listet die Deutsche Depressionshilfe Symptome auf, die auf eine Depression hindeuten können. Bei Schulkindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren sind das unter anderem verbale Berichte über Traurigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisstörungen, Schulleistungsstörungen, Zukunftsangst, Ängstlichkeit, unangemessene Schuldgefühle und unangebrachte Selbstkritik, langsame Bewegungen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und Suizidgedanken. Eine Diagnose sollte auf jeden Fall ein Arzt oder Psychotherapeut stellen, heißt es bei der Deutschen Depressionshilfe.

Das Bewusstsein ist da, aber es gibt zu wenig Personal

Mitunter müssen sich Eltern aber auf längere Wartezeiten einstellen, bis sie einen Termin bekommen. „Wir haben von Eltern die Rückmeldung bekommen, dass es zu wenige Angebote von Fachärzten und Psychotherapeuten gibt und es deshalb manchmal lange dauert, bis man einen Termin bekommt“, sagt Landeselternsprecher Norman Heise.

In Berlin können sich Eltern und Schüler auch an die „Schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren“ (Sibuz) wenden, die es in jedem Bezirk gibt. Dort werden alle Anliegen vertraulich behandelt. Allerdings, sagt Elternsprecher Heise, haben Eltern ebenfalls von teilweise langen Wartezeiten berichtet. In jüngster Zeit habe sich das dahingehend gebessert, dass zumindest ein Ersttermin relativ schnell vergeben werde.

Warnung vor "zunehmender Psychiatrisierung"

Nach Angaben der Bildungsverwaltung wurde die Schulpsychologie von 2016 bis 2018 um 26 Stellen auf knapp 100 aufgestockt. Allerdings war vorher gekürzt worden, so dass letztlich nur 13 Stellen hinzugekommen seien, gibt Matthias Siebert, Vorsitzender des gerade gegründeten Landesverbands Schulpsychologie Berlin zu bedenken. Die 13 Stellen seien für die geflüchteten Kinder – darunter etliche traumatisierte – gedacht. „Die personelle Decke ist viel zu kurz“, steht für Siebert fest. Er hält die "zunehmende Psychiatrisierung von Kindern und Jugendlichen". die aus den Krankenkassenzahlen spreche, für eine "problematische Entwicklung",

Schulsozialarbeiter gibt es auch noch nicht an allen Schulen. Das soll sich aber ändern. Die Bildungsverwaltung will in den nächsten zwei Jahren 300 zusätzliche Stellen schaffen. Dann wären es über 700 . Zudem sollen sonderpädagogische Kleinklassen für Schüler mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung ausgebaut werden. (mit dpa)

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