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Ausblick von einer Terrasse der verlassenen „Irrenanstalt“ auf den Gebäudekomplex des einstigen Krankenhauses.

© artbase

artbase-Festival startet Ende August: Mecklenburgische „Irrenanstalt“ wird zum Partygelände

Wo früher psychisch Kranke Erholung suchten, entsteht gerade ein romantisches Festivalgelände. Eine Mischung aus Lost Place, Musik und Streetart wird erwartet.

Ein kleiner Ort, 83 km nördlich von Berlin, mitten im Nirgendwo. Ein Platz, an dem sich die Natur das alte Gemäuer schon langsam wieder zurück erobert hat. Menschenleere, lange Flure, verlassene Räume mit nur noch blassen Erinnerungen. Erinnerungen an eine Zeit, in der Menschen mit einer psychischen Erkrankung sich hier erholen konnten.

Doch auf einmal ertönt ein leises Zischen einer Spraydose. Jemand drückt auf eine Taste. Plötzlich dringen Töne durch die leeren Räume. Laute Stimmen hallen durch das alte Gemäuer und der Ort erwacht!

Vom 30.08. bis 01.09. wird die verlassene „Irrenanstalt“ Domjüch bei Neustrelitz aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Das Areal verwandelt sich über drei Tage hinweg in ein wildes, romantisches, buntes Festivalgelände. Es entführt den Besucher in eine eigene Welt, die entschleunigt und inspiriert.

Bereits seit Mai arbeiten mehr als 150 internationale und weltbekannte Urban-Art-Künstler daran, die uralten Gemäuer der einzelnen Räume und Flure des Krankenhausgebäudes sowie des Frauenhauses II mit ausgefallener, bunter Streetart in einen lebendigen Ort zu verwandeln.

Künstler Sam Crew bemalte eine große Wand eigens für die artbase.

© artbase

Location und Tickets

Gebadet werden kann im hauseigenen, märchenhaften See mit Badestrand, Steg und Liegewiese. Wer möchte kann noch ein 3-Days-Ticket oder Tagestickets erwerben. Ein Ticket kostet zwischen 20 und 69 Euro. In der Umgebung können Schlafgelegenheiten wie Zeltplätze, Ferienhäuser und Hotels gebucht werden.

Blick auf einen Treppenflur im inneren des Gebäudes der ehemaligen „Irrenanstalt“.

© artbase

Das erwartet die Besucher

Der Besucher wird in eine Traumwelt mit unterschiedlichen Disziplinen entführt. Es erwarten ihn: Live-Paintings, Schauspiel, Tanz, Live Musik, DJ’s, Visual Art, Urban Art und Videomappings. Um Letzteres realisieren zu können, wird eine Gebäudefassade zunächst mittels einer Software in eine digitale Oberfläche verwandelt, um beliebig strukturierte Oberflächen angepasst beleuchten zu können. Auf diese Weise wird eine Illusion räumlicher Tiefe erzeugt, die ganz ohne 3D-Brille auskommt.

Darüber hinaus werden Workshops, Performances sowie kreative Licht- und Klanginstallationen diesen uralten Lost Place zu einer fantasievollen Spielwiese machen, die es dem Besucher ermöglicht bis zum Sonnenaufgang zu feiern.

Street-Art-Künstler KoeOne malt hier gerade ein Bild in einem Gebäude der artbase.

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Eigenes Streetfood-Festival-Menü

Im Foodcourt wird es vegetarisches Essen zu kaufen geben. Regionales Handbrot, Quarkbällchen und Waffeln sollen den Besuchern den Aufenthalt versüßen. Deftig und nahrhaft wird es mit den Polenta Burgern zubereitet mit pulled cicken. Für ein typisch amerikanisches Barbeque wird vor Ort ein Smoker befeuert.

Weiterhin werden fleischlose Alternativen wie vegane Burger und vegane Currywürste geboten. Ausgefallen wird es mit gegrillter Melone und Minzjoghurt Sauce. Für den klassischen Gaumenschmaus versorgen Omis den Festivalbesucher vor Ort mit selbstgemachtem Kuchen und Kaffee. 

Lebensgefühl der artbase

„Mit Sonne, guten Vibes und Unbeschwertheit holt sich die artbase verlorene Freiräume zurück und schafft das Lebensgefühl der frühen 90er Jahre“, verspricht der Veranstalter. Die 90er waren eine Zeit vor Social Media, in der noch nicht jeder seinen Selbstoptimierungswahn in alle Welt verbreiten konnte und das persönliche Leben noch nicht ständig zur Schau gestellt wurde.

Ein Jahrzehnt in der noch nicht jede Minute eine neue Nachricht auf dem Mobiltelefon hereinkam und in der man schlechte Nachrichten besser ignorieren konnte als heute. Die Veranstalter verbinden mit den 90er Jahren mehr Freizügigkeit, Ungeniertheit und Unbefangenheit. Eine ähnliche Stimmung wollen sie auch mit der artbase in Neustrelitz herstellen.

Pinsel und Farben dürfen nicht fehlen, um die Wände mit kreativer Kunst zu verschönern.

© artbase

Die Veranstalter hinter dem Festival

Veranstalter ist go2know. Die Organisation kümmert sich seit fast 20 Jahren um so genannte Lost Places, also verlassene Orte, hauptsächlich in und um Berlin. Gerade weil diese Plätze touristisch noch nicht erschlossen sind, üben sie auf viele Besucher eine magische Anziehungskraft aus.

Das stillgelegte Gelände kann frei erkundet und dabei die Geschichte hautnah erlebt werden. Hierfür arbeitet ein eigenes Experten-Team des Veranstalters die Geschichte des jeweiligen Ortes auf und vernetzt sich mit Zeitzeugen, Historikern, Vereinen, Künstlern und Event-Veranstaltern.

So ermöglicht go2know kreative Zwischennutzungen an solchen Orten. Dort werden Fototouren, Führungen und Kunstveranstaltungen angeboten.

Urbane Kunst trifft auf alte Geschichten, dieses Bild stammt von der Künstlerin Caro Pepe.

© artbase

Eine Auswahl an Streetart-Künstlern

Besonders wichtig auf dem Festival ist die Streetart. Die Veranstalter haben einige Namen gewinnen können:

  • Alias (Berlin)
  • L7Matrix (Paris)
  • KoeOne (London)
  • Tona (Hamburg)
  • Michelle Hoogveld (USA)
  • Papa Chango + Devita (Mexiko)
  • Zoon (Leipzig)
  • SP-38 (Berlin)
  • Nasca Uno (Berlin)
  • Caro Pepe (Agentinien)
  • Age Age (Berlin)
  • Disturbanity (Berlin)
  • Haevi Styles (Berlin)
  • Boing (Berlin)
  • Rabea Senftenberg (Berlin)
  • Tobo (Berlin)
  • Ostup (Berlin)
  • Sam Crew (Berlin)
  • Angry Koala + HKDNS (Hamburg)
Schutzmasken und Gummihandschuhe sind wichtige Arbeitsutensilien für die eher öffentlichkeitsscheuen Streetart-Künstler.

© artbase

Musikstil

Den Festivalbesucher erwartet ein breit gefächertes musikalisches Spektrum von DJs und Livemusik-Künstlern. Er kann sich auf diverse Musikrichtungen wie Reggae-Ragga-Dancehall, Melodic House, Deep House, Minimal und Tech House, aber auch Singer-Songwriter einstellen.

Mehr als 50 Künstler werden auf zwei Floors erwartet. Zudem wird es eine Open-Air-Bühne und zahlreiche dezentrale Mini-Bühnen geben, auf denen es zu Unplugged Sessions und spontanen, experimentellen Pop-Up Performances kommen soll. So wird zum Beispiel auch eine Harfenspielerin auftreten.

Outdoor Floor: Reggae-Dancehall, Melodic House, Deep House, Live Bands Indoor-Floor 1: Minimal und Tech House Indoor-Floor 2: Div. Singer Songwriter / Licht- und Klanginstallationen

Anreise

Die Location befindet sich etwa 83 Kilometer nördlich von Berlin entfernt. Der Hauptbahnhof Neustrelitz ist ohne Umsteigen mit der Bahn in etwa einer Stunde erreichbar. Für die Fahrt kann das Brandenburg-Ticket für 29 Euro genutzt werden, es ist für bis zu 5 Personen gültig. Teilt man sich den Preis, zahlt jeder 5,80 Euro. Die Züge fahren stündlich.

Am Hauptbahnhof angekommen, wird es dann einen Shuttle-Bus geben, der für 1,60 Euro zum Gelände fährt. Für Autofahrer gibt es Parkplätze vor Ort.

Neustrelitz liegt etwa 83 km nördlich von Berlin.

© Google Maps

Die „Irrenanstalt“ – Hintergründe zum verlassenen Ort

Auf dem Gelände des 1712 abgebrannten Residenzschlosses von Strelitz, wurde 1805 das Altstrelitzer Gefängnis gebaut. Es diente als Landarbeits- , Zucht- und Irrenhaus. Neben Menschen mit einer psychischen Erkrankung waren auch Strafgefangene untergebracht. Eine permanente Überbelegung führte zu unhaltbaren Zuständen. Krankheiten breiteten sich rasant aus.

1890 beriet sich erstmals eine Kommission über Lage und Gestalt eines Neubaus. Am 01.03.1899 starteten die drei Jahre andauernden Bauarbeiten außerhalb des Stadtgebietes von Neustrelitz und Strelitz-Alt am Domjüchsee. Diese wurde als großzügige Anlage im Pavillonsystem angelegt, wodurch sie nicht den Charakter eines geschlossenen Verwahrsystems trägt.

So wurden weder hohen Mauern noch Eisen- oder Stacheldraht, kein Eisentor und kein Gitter vor Türen oder Fenster bei der Umsetzung dieses Baus eingesetzt. Ärzte und Pflegepersonal wohnten mit auf dem Anstaltsgelände, um so mit den Patienten eine Lebens- und Wohngemeinschaft zu bilden.

Das Wort „Irre“ war damals ein medizinischer Begriff und wurde in der Fachsprache der Psychologen verwendet. Bei dieser wildromantischen Anstalt verfolgte man einen für damalige Verhältnisse noch sehr neuen Ansatz, nämlich geistig erkrankten und psychisch auffälligen Menschen einen würdigen Platz und Chancen auf Heilung zu geben, anstatt sie in „Zuchthaus“ zu sperren.

Der hauseigene See auf dem Gelände des artbase-Festivals lädt zum Baden ein.

© artbase

Insgesamt vier frühere Krankenhäuser

Unmittelbar am Seeufer gelegen, entstand das Verwaltungsgebäude und in seiner Achse das Küchengebäude. Weiter Richtung Westen folgt der Wasserturm mit angebautem Kessel- und Maschinenhaus und das Landwirtschaftsgebäude mit Sektionszimmer und Leichenaufbahrraum. Links und rechts des Gebäudekomplexes entstanden jeweils vier symmetrisch angelegte, identische Krankenhäuser.

Maximal 200 Patienten konnten hier untergebracht werden. Man trennte Männern von Frauen, aber auch Leichte- von Schwerkranken. Jedes Krankenhaus teilte man in Aufenthalts-, Wach- und Schlafsaal auf. Zudem besaß jedes davon zwei Isolierzellen. Die Häuser sind unterirdisch durch lange Versorgungsleitungen für Wasser, Dampf und Elektrizität miteinander verbunden.

Auch ein eigenes Telefonnetz gab es. Zum Areal gehörte weiterhin eine 12 Hektar große bewirtschaftete Fläche für den autarken Betrieb, eine eigene Kapelle mit Altar, Kanzel und Orgel sowie ein kleiner Friedhof. Alles in allem entstand mit der Anstalt bis auf die Torf-Streu-Toiletten, ein sehr moderner Putzbau. Mit dem Ort verbindet sich aber auch der Schrecken der NS-Herrschaft. Im Frühjahr 1940 begann das Dritte Reich damit, Kranke zu ermorden. Domjüch wurde so für viele Menschen zur Zwischenstation auf dem Weg in die für Mecklenburg zuständige NS-Tötungsanstalt Bernburg.

1943 wurde die Anstalt zu einer Tuberkuloseheilstätte umgewandelt und die verbliebenen Kranken verlegt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges übernahm die Rote Armee das Gelände bis 1989/90. Heute kümmert sich der „Verein zum Erhalt der Domjüch – ehemalige Landesirrenanstalt e.V.“ um diesen unter Denkmalschutz stehenden Platz. 

Partner der artbase

Die artbase wird durch den Verein „we did nothing wrong e.V.“, den Kollektiven „Way to Wonderland Crew“, „Banausen“, „Kommune Weidenweg“, „Das Vinylwohnzimmer“ und „Kunterbunter Handlungsspielraum“ sowie den Galerien „Kultur-Späti“ (KUS) und „Street Art Berlin“ unterstützt.

Informationen zum artbase Festival

Das artbase-Festival findet an dem Wochenende vom 30.08.(10:00 Uhr) - 01.09.2019 (20:00 Uhr) statt. Tickets ab 20 Euro sind noch verfügbar.

Location: Die verlassene „Irrenanstalt“ in Neustrelitz Am Domjüchsee 1, 17235 Neustrelitz

Susanne Pathe

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