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Kinderspielzeug steht im Flur des Hauses, wo der schreckliche Mord geschah.

© dapd

Familiendrama in Kreuzberg: Ärztin: "Die Kinder werden auch vor der Verwandtschaft abgeschirmt"

Nach dem Familiendrama in Kreuzberg sind die sechs Kinder der Familie S. in einem Heim untergekommen. Die Oberärztin Sibylle Winter wird sie betreuen. Ein Interview.

Von Katrin Schulze

Frau Winter, wie begegnen Sie Kindern, die gerade erleben mussten, wie ein Elternteil ums Leben kam?

Am Anfang guckt man, dass die Sache stabil wird. Die Kinder brauchen Normalität. Man muss ihnen sagen, was passiert ist. Aber man sollte nicht oft darüber reden.

Warum?

Das Gehirn braucht Pausen. Mindestens eine Woche lang geht es nur um verlässliche Strukturen, einen Alltag: essen, trinken, schlafen, spielen. An das Trauma erinnern sie sich ohnehin schon genug.

Zu welchen Problemen führt das?

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Ganz junge Kinder verweigern vielleicht die Flasche, ältere ziehen sich vielleicht komplett zurück. Das häufigste aber sind Flashbacks. Man hat ständig die Bilder und Gerüche im Kopf. Das kann zu Konzentrationsstörungen, zu Albträumen und Angst führen. Je mehr man gesehen hat, desto schlimmer.

Im Fall der Familie S. aus Kreuzberg muss man davon ausgehen, dass die Kinder die Tat zumindest indirekt mitbekamen.

Es handelt sich um ein Vierfachtrauma. Bei einem normalen Trauma hat man eine schlimme Tat mitbekommen. Hier ist zusätzlich die Mutter gestorben. Und der Vater war nicht nur der Täter, sondern ist den Kindern dazu noch verlustig gegangen. Auf einer Skala von null bis zehn, würde ich es bei acht bis neun ansiedeln. Ich habe so etwas in der Art seit ich im Geschäft bin, seit 1993 noch nicht erlebt. Es ist so ziemlich das schlimmste, was passieren kann. Die Betreuung muss deshalb ganz vorsichtig erfolgen.

Ist es von Vorteil, dass die sechs Kinder zusammenbleiben?

Das muss man abwarten. Da die Geschwister die ganze Zeit zusammen sind, ist es auch möglich, dass sie sich gegenseitig an das Trauma erinnern. Das ist auch der Grund, warum die Kinder mindestens in der ersten Woche gegenüber der Verwandtschaft abgeschirmt werden. Die Bezugspersonen müssen zunächst ja auch stabilisiert werden. Ich würde anfangs sehr vorsichtig sein, wenn es um Kontakte mit den Verwandten geht.

Sie werden wohl die Betreuung der sechs Kinder übernehmen. Wie gehen man in solchen Fällen vor?

Sie werden ambulant behandelt. Dann wird man beobachten, wie sie sich verhalten. Funktioniert der Alltag? Wie weit sind sie? Wenn die Ressourcen und die Kraft da sind, wird man sich dem Trauma nähern.

Wie kann das funktionieren?

Die Kinder sollten versuchen, eine Sprache für das Erlebte zu finden. Einige schreiben ein Märchen oder eine Geschichte. Die Kleineren malen eher ein Bild. Wenn sie es schaffen, das Ganze in ein Stück zu verpacken, ist schon viel gewonnen.

Das Gespräch führte Katrin Schulze.

Sibylle Winter ist Oberärztin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Charité. Sie ist vor allem in der Traumabewältigung tätig und wird die Betreuung der sechs Kinder übernehmen.

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