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Au-weih-nachtsbaum: Weißer Kegel am Breitscheidplatz erntet viel Spott

„Luftblase“, „Pommestüte“, „aufgeblasener Pfropfen“. Die Arbeiter, die auf dem Breitscheidplatz die Weihnachtsmarktbuden aufbauen, geizen nicht mit Spott für Berlins neue Tanne, die keine ist. Das Schmuckstück weckt aber auch Neugier.

„Früher hätten sie sich das nicht getraut“, ist sich einer sicher, der in einer Currywurstbude vor der Gedächtniskirche Kabel verlegt. „Da hätten sie zur Not noch einen Baum aus Westdeutschland geholt, um den am Alex zu übertrumpfen.“ – „Das hier ist ein Weihnachtsmarkt, kein Spieleparadies“, fügt sein Kollege hinzu und deutet zur zeltartigen Installation auf dem Wasserklops hinüber, deren Innenbeleuchtung gerade – im Tageslicht kaum sichtbar – von blau zu grün wechselt. In einem sind sich beide einig: Einen „Baum“ können sie in dem Kegel aus Luft und Plane nicht erkennen, ansonsten finden sie ihn aber „eher lustig“. Ihr Tenor: „Es gab ja eh keine andere Möglichkeit.“

Andere sind nicht so gelassen: Die Spandauerin Irmgard Zywicki besucht den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz seit seiner Gründung vor 27 Jahren; am kommenden Montag beginnt die diesjährige Saison. „Das Ding“, das da denkbar unvorteilhaft mit vom Wind abgeknickter Sternspitze im Novemberregen vor ihr steht, findet sie einfach nur „fürchterlich“. Das Argument der Ur-Berlinerin: Man hätte doch in diesem Jahr, in dem der Baum aufgrund von Bauarbeiten nicht vor der Gedächtniskirche aufgestellt werden konnte, auch einfach eine andere Deko nehmen können, „irgendwas mit Tannengrün, meinetwegen auch künstlich. Hauptsache, ein bisschen weihnachtlicher“. – „Man erkennt es nicht als Weihnachtsbaum“, sagt Carla Neuhaus, die erst vor wenigen Monaten von Münster nach Berlin gezogen ist. „Tagsüber wäre eine Tanne auf jeden Fall schöner.“

Die Schausteller setzen derweil ganz auf den Vermarktungseffekt der Absonderlichkeit: „Das ist eine Sache, die Leute herzieht“, ist sich Budenbesitzer Klaus Rose sicher. Die Rechnung des Wirtes der „Schmalzstulle“ zu Füßen der Gedächtniskirche: „Einen Weihnachtsbaum hat jeder in seinem Zimmer, aber so ein futuristisches Teil – da kann ich mir selbst Jugendliche vorstellen, die kommen und sagen: ,Kiek ma’, die Rakete!’“ Schwiegertochter Nicole Rose ergänzt: „Jetzt ist auch der Wasserklops mal wieder in den Markt eingebunden – und bevor da wieder so eine Krüppeltanne steht, ist mir das hier eh deutlich lieber.“

Lob bekommt der Baum auch von berufener Seite: Johannes Klingenhöffer und Saskia Knöller, Mitarbeiter einer Berliner Event- und Dekofirma, schmücken einen Glühweinstand im Schatten des „Baumes“ und finden ihn „trendig“ und „innovativ“. – „Das ist auf jeden Fall mal eine neue Idee“, sagt Klingenhöffer, „gut ist es auch für die armen Leute, die da sonst immer hochklettern mussten, um die Deko aufzuhängen“, ergänzt Knöller. Verloren hat der Baum also noch nicht – auch Carla Neuhaus möchte erst einmal abwarten, „wie es im Dunkeln aussieht“. Und selbst die Spandauerin Zywicki wird dem „Ding“ eine Chance geben: „Vielleicht wird’s abends wunderschön. Das soll ja so sein, hab ich gehört.“Johannes Schneider

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