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Berlin: Auf den Spuren Marco Polos

„Warst du schon mal in China?“ Frau Hoffmann ist seit Stunden mit der Pelzpflege beschäftigt.

„Warst du schon mal in China?“ Frau Hoffmann ist seit Stunden mit der Pelzpflege beschäftigt. Die endet immer mit einer unerwarteten Frage.

„Nein“, gebe ich zu, „noch nie. Warum fragst du?“

„Weil nur noch von China die Rede ist. China scheint das wichtigste Thema in den Zeitungen zu sein.“

„Stimmt! Die Chinesen haben alles erfunden und produzieren alles billiger. Wer etwas auf sich hält, lässt sich seine Schuhe in China machen.“

„Und warum warst du noch nie in China?“ Während sie redet, reckt sie den Hals, um meine Schuhe zu begutachten.

„Es ist sehr weit bis China ...“

„Dieser Hemdenmacher war sogar zu Fuß in China ...“

„Wenn du Marco Polo meinst, der war keine Hemdenmacher, sondern ein Urururgroßvater von Ralph Lauren. Er war auch nicht zu Fuß unterwegs. Dem standen Kamele und Sänften zur Verfügung.“

„Was sind Sänften?“

„Vorläufer der Business Class.“

„Ist China weiter weg als Berlin?“

„Kommt darauf an, von wo du startest. Von Tokio ist es nicht sehr weit.“

„Und von Sankt Moritz?“

„Wie kommst du auf Sankt Moritz?“

„Ich hab doch eine Brieffreundin in Sankt Moritz, ein Känguru mit einer schicken Tasche.“

„Du meinst Melbourne. In Sankt Moritz gibt es keine Kängurus, nur Schnee.“

Frau Hoffmanns Pelz sträubt sich sekundenlang. Sie mag keinen Schnee. Wahrscheinlich schämt sie sich auch, dass sie Australien mit der Schweiz verwechselt hat.

„Aber schicke Taschen gibt es in Sankt Moritz bestimmt. Jeder feine Luxusladen hat dort eine Filiale. Übrigens werden alle in China hergestellt.“

Das scheint sie zu erstaunen. „Wie viele schicke Taschen muss es da erst in China geben!“ Ihre Überlegung ist zwar logisch, aber trotzdem falsch. Ich versuche, es ihr an einem Beispiel zu erklären: „In Sankt Moritz gibt es auch nicht mehr Schneemänner als in Brandenburg.“

Sie überlegt sehr lange. Dann fragt sie:

„Wie weit ist es bis Brandenburg?“

„So weit wie nach Berlin. Berlin liegt in Brandenburg wie Sankt Moritz in der Schweiz.“ Damit hoffe ich, ihre geografischen Kenntnisse diskret korrigiert zu haben. Ihre Augen leuchten auf: „Ah, Berlin! Dort gibt es bestimmt mehr schicke Taschen als sonstwo, nicht wahr?“

Und als ich betrübt den Kopf schüttele, setzt sie hinzu: „Warum denn nicht? Die Berliner können sie doch billig in China herstellen lassen!“

„Irgendwie klappt das in Berlin nicht so wie geplant. Sie könnten sich ja auch das Gas billig aus Moskau schicken lassen. Und was Handtaschen angeht, so sind die bei deiner modebewussten Freundin nicht sehr beliebt. Überhaupt solltest du nicht vergessen, dass Berlin in Preußen liegt ...“

„Gerade hast du gesagt, es liegt in Brandenburg!“

„Brandenburg ist so preußisch wie Sankt Moritz schweizerisch ist.“

Das ist ihr zu kompliziert. Sie richtet sich auf, buckelt wie wenn Trapattoni „habe fertig“ sagt, dreht sich um ihre eigene Achse und legt sich wieder. Damit dürfte ihr Interesse erschöpft sein. Es gibt nur noch ein Thema, das sie wachhalten kann. Wie nebenbei sage ich, während ich mich räkele wie eine Krake im Aquarium von Schanghai: „Ich vergaß zu erwähnen, dass auf den Märkten in China Hunde verkauft werden. Dort werden jährlich mehr Rezepte für das Braten von Hunden gedruckt als Gebrauchsanweisungen für schnurlose Telefone.“

Sie reagiert nicht, zuckt nur mit den Ohren. Sollte mich wundern, wenn Frau Hoffmann in der nächsten Stunde den gewohnten Schlaf findet.

— Der Autor ist Deutschlands bekanntester Gastrokritiker und kennt sich auch bei Katzen aus. Ganz besonders bei Frau Hoffmann, seiner schlauen Mitbewohnerin. Sie hat zu allem etwas zu sagen.

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