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Berlins Schüler tun sich schwer, wenn es um das Schreiben geht.

© dpa

Auf der Suche nach den Corona-Lücken: An Berliner Schulen sollen die Vergleichsarbeiten ausfallen

Keine Vergleichsarbeiten: Gegen die Forderung der Bildungssenatorin gibt es Bedenken. Und die Zeugnisausgabe soll erst nach den Winterferien stattfinden.

Die Inzidenzen gehen – aktuell – zurück, der Blick weitet sich zaghaft in Richtung Rückkehr in die Schulen, und schon werden die Fragen nach dem „Danach“ lauter. Wie also geht es weiter? Die Grünen im Abgeordnetenhaus haben jetzt deutlich gemacht, wie es in ihren Augen nicht weitergeht – und zwar mit einem Verzicht auf verpflichtende Vergleichsarbeiten, so wie er von der Bildungsverwaltung bereits angekündigt worden war.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Schulen dies als willkommene Entlastung wahrnehmen werden“, schickt die grüne Bildungsexpertin Stefanie Remlinger voraus. Dennoch plädiert sie dafür, zumindest für die Drittklässler auf dieses wichtige Diagnose-Instrument nicht zu verzichten, da andernfalls durch das nach 2020 zweite Aussetzen von „Vera 3 zentrale Daten für die politische Steuerungsebene verloren gehen“, mahnte Remlinger gegenüber dem Tagesspiegel.

Das sei „ausgerechnet jetzt“ nicht verantwortbar – „ausgerechnet in einem Schuljahr, wo sich noch viel mehr als im letzten Jahr die Frage stellt, welche Schäden Corona im Bildungssystem hinterlässt“.

Tatsächlich sind die absehbaren Schäden immens. Lehrkräfte berichten über „traumatisierte Kinder“, die sie einmal pro Woche in Kleinstgruppen in die Schule holen. „Ich sehe kein Lächeln“, beschreibt Schulleiterin Astrid Sabine Busse ihre Eindrücke, das sei „beängstigend“. Anders als in den großen Ferien könnten diese Kinder jetzt weder Fußball spielen noch schwimmen gehen.

Hinzu komme, dass – vor allem im sozialen Brennpunkt bei ihr in der Köllnischen Heide – auch viele Eltern nicht helfen könnten, um die Hausaufgaben zu bewältigen. Den Drittklässlern etwa fehle der Stoff sowohl aus der zweiten als auch aus der dritten Klasse, gibt Busse zu bedenken, die der Interessenvereinigung Berliner Schulleitungen vorsitzt.

Allerdings seien diese Lücken so offenkundig, dass man keine Vergleichsarbeiten brauche, um sie festzustellen, wehrt Busse die Forderung der Grünen ab. Wenn man etwa wegen des Lockdowns noch keine Längenmaße durchgenommen habe, sei es sinnlos, die Kinder in den Vergleichsarbeiten danach zu fragen.

Vorschlag: Die Viertklässler schreiben Vera 3

Remlinger hält allerdings eine Lösungsvorschlag für dieses Dilemma bereit. So schlägt sie vor, die Vera-3-Arbeiten erst in Klasse 4 schreiben zu lassen. Das hatte sich Rot-Rot-Grün ohnehin für die Legislatur vorgenommen, was aber verworfen worden ist, weil die Kultusministerkonferenz (KMK) nicht mitzog. In der Pandemie allerdings hat die KMK manche Regeln gelockert. Demnächst sollen die bundesweiten Vergleichsarbeiten, die ab April anstünden, Thema in den KMK-Vorgesprächen sein.

Unklar blieb allerdings am Dienstag, warum Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) schon jetzt verkündet hat, dass die Vergleichsarbeiten nicht verpflichtend sein sollen, wenn sich doch die KMK nach eigenen Angaben noch nicht darauf verständigt hat. Aus Hamburg hieß es am Dienstag, man warte die KMK-Entscheidung ab.

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Für die einmalige Verschiebung in die vierte Klasse spräche, dass Vera 3 ohnehin an den Lernzielen für Klasse 4 ausgerichtet ist: Mit Hilfe der Vergleichsarbeit sollen die Lehrkräfte feststellen, welcher Stoff noch fehlt, damit die Schüler zielgerichteter unterrichtet werden können, um dann fit zu sein für den Übergang in die fünfte Klasse. Der Zeitpunkt ist der Tatsache geschuldet, dass bundesweit nach der vierten Klasse der Übergang in die Oberschule ansteht. Nur in Berlin und Brandenburg ist die sechsjährige Grundschule die Regel.

Experten raten zu dem Vergleichsinstrument

Wie berichtet, hatte Scheeres’ Expertenkommission angemahnt, die Vergleichsarbeiten stärker als Instrument zu nutzen. Entsprechend hatte sich gerade erst eine Reihe namhafter Bildungsforscher positioniert. In eine ähnliche Richtung ging auch ein Beitrag, der im vergangenen Sommer bei der Heinrich-Böll-Stiftung erschien. Dort hatten sich nicht nur die früheren Grünen-Politiker Sybille Volkholz und Hans-Joachim Kuhn, sondern auch Michael Voges für Vergleichsarbeiten als wichtiges Instrument in Zeiten der Pandemie eingesetzt. Voges leitet den neuen Berliner Bildungsbeirat, der Scheeres berät.

Allerdings sagte Volkholz am Dienstag auf Anfrage, sie fände es "vertretbar", die Vergleichsarbeiten in dieser besonderen Lage des zweiten Pandemiejahres freiwillig schreiben zu lassen.

Stefanie Remlinger ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und Bildungsexpertin.
Stefanie Remlinger ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und Bildungsexpertin.

© promo

Einige repräsentativ ausgewählte Schulen könnten die Arbeiten schreiben

Als Kompromissvariante schlägt Remlinger vor, Vera 3 nur durch einige repräsentativ ausgewählte Schulen schreiben zu lassen. So gewänne man zumindest einen stadtweiten Überblick über das Ausmaß der Defizite. Im übrigen seien die Lehrer sowieso verpflichtet, die Lernstände zu erheben. Es könne eine Arbeitserleichterung sein, wenn die Lehrer für diese Erhebung keine eigenen Aufgaben ermitteln müssten, sondern Vera benutzen könnten. Vielleicht, so die Bildungsexpertin, könne die Verwaltung das Institut für Schulqualität beauftragen, die Vergleichsarbeiten auszuwerten, damit die Lehrer damit nicht belastet würden.

Für die Vergleichsarbeiten in Klasse 8 (Vera 8), die dieses Jahr ebenfalls nicht zwingend sein sollen, gelten Remlingers Vorschläge ausdrücklich nicht. Und wie sieht das die Vereinigung der Sekundarschulleitungen (BISSS)?

"Ein Jahr im Ausnahmezustand und den alten Standard abprüfen - das passt nicht", unterstützt die BISSS-Vorsitzende Miriam Pech die Entscheidung der Bildungssenatorin, auch Vera 8 nur auf freiwilliger Basis zu schreiben. Neben den Wissenslücken sei auch die "psychische Komponente nicht zu vernachlässigen": Im Kollegium sei allerdings erwogen worden, die Arbeit unter Umständen in Klasse 9 schreiben zu lassen.

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Die Schüler befänden sich durch den Lockdown ohnehin im Ausnahmezustand und würden dann unter Umständen "noch traumatisierter", wenn sie bei Vera 8 ihre Lücken feststellten, mahnt Miriam Pech, die die Weißenseer Heinz-Brandt-Schule leitet.

Für Freiwilligkeit plädiert auch ihr Charlottenburger Amtskollege Sven Zimmerschied: An seiner Friedensburg-Sekundarschule planten einige Lehrer, Vera 8 in Englisch und Deutsch online zu schreiben, berichtet Zimmerschied.

Auch der Hygienebeirat hat sich dem Vernehmen nach mit der Frage beschäftigt, wie es jetzt weitergeht. Allerdings ging es nicht um Lernstandserhebungen, sondern um praktische Fragen. So wurde am Dienstag etwa berichtet, dass an Schulen weiterhin die Pflicht zum Maskentragen gelten soll. Es sollen aber die sogenannten Alltagsmasken reichen, also keine medizinischen oder FFP2-Masken verlangt werden.

Derzeit "fast keine Kinder mit Symptomen" in den Arztpraxen

Positives gab es aus dem Beirat hinsichtlich der Infektionsraten zu berichten: „Die Kurve geht bei allen Schulaltersgruppen nach unten“, hieß es in einer internen Mitteilung des Landeselternsprechers Norman Heise. Aus den Reihen der Kinderärzte wird laut Heise berichtet, „dass derzeit fast keine symptomatischen Kinder in die Praxen kommen, um getestet zu werden“.

Allerdings wurden bei einer Corona-Testung im Vorfeld der Eignungstest von 830 Viertklässlern für die „Schnelllernerklassen“ sechs positive Fälle festgestellt. .

Die Bildungsverwaltung teilte am Dienstag im übrigen mit, dass „aus Gründen des Infektionsschutzes“ die Zeugnisse erst nach den Winterferien ausgegeben werden. Ausnahmen – etwa für Abschlussjahrgänge – seien aber möglich. Zudem können Familien über die Noten „geeignet“ informiert werden, „sofern Versetzung oder Abschluss gefährdet erscheinen“.

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