zum Hauptinhalt
Geschichtsträchtiger Ort auf der Radtour entlang der Havel: Im DDR-Wachturm Nieder Neuendorf, vom dem aus einst die Überwachung entlang des Grenzflusses koordiniert wurde, ist nun ein Museum untergebracht.

© Claus-Dieter Steyer

Stadtsafari - Sommerliche Entdeckertouren in Berlin (3): Auf Zeitreise - mit dem Rad die Havel entlang

Wer mit dem Rad an der Havel entlangfährt, entdeckt deutsch-deutsche Geschichte: Eine Ausstellung im Wachturm Nieder-Neuendorf dokumentiert die streng bewachte Trennung West-Berlins vom Brandenburger Umland.

Auf den voreiligen Blick nach oben folgt ein harter Stoß gegen den Hinterkopf. Vorsicht ist angebracht. Das markante Bauwerk auf der Radtour zwischen Hennigsdorf und Spandau verfügt über eine sehr steile Stahltreppe. Im Ortsteil Nieder-Neuendorf steht dieser ganz besondere Turm der DDR-Grenztruppen. Er diente bis zum Mauerfall nicht nur der Überwachung des Abschnitts entlang der Havel zu Heiligensee am anderen Ufer und zur Landgrenze mit Spandau, sondern beherbergte auch eine Führungsstelle mit Kontakt zu anderen Beobachtungstürmen und Streifenposten. Zum Glück überstand dieser Turm der verständlichen Euphorie in der Wendezeit, möglichst alle sichtbaren Zeichen von Mauer und Stacheldraht schnell verschwinden zu lassen. Immerhin 302 Türme gab es rund um West-Berlin, vier sind noch übrig. Nur der Nieder-Neuendorfer beherbergt eine Dokumentation über das ganze Grenzregime.

Die ganze Wahrheit

Seit einigen Wochen gibt es eine neue Ausstellung. Die Besucher finden jetzt viele Informationen über die Details der Grenze, deren Überwachung, über geglückte und entdeckte Fluchtversuche und über die vielen „Helfer“ der Grenzer in der damaligen Bevölkerung. Sie verrieten so manchen Fremden auf den Straßen oder in den Kneipen an die Wachmannschaften. Verzichtet hat man in der Ausstellung dagegen auf die mit Grenzeruniformen bekleideten Schaufensterpuppen. Die wirkten so echt, dass den Besuchern das Herz fast in die Hose rutschte.

„Der Blick ist traumhaft von hier oben“, schwärmt ein Mann aus Osnabrück. Seine Frau wartet unter am früheren Postenweg bei den Rädern, ihr ist die Treppe zu steil. Sie wollen am selben Tag noch bis nach Oranienburg kommen und morgen weiter in Richtung Kopenhagen radeln. Mit dem Zug seien sie nach Spandau gefahren und dort auf ihre Räder gestiegen. Als zwei junge Leute in der oberen Plattform des Turms eintreffen, ergibt sich umgehend eine lebhafte Diskussion über die Grenze und heutige Erinnerungen an sie. „Der Mauerradweg ist eine tolle Sache“, meint die 24-jährige Studentin aus Zehlendorf. Sie seien am S-Bahnhof Hennigsdorf gestartet und durch die zahlreichen Info-Tafeln am Weg völlig aus dem Zeitplan geraten. „Allein die versenkten Frachtschiffe als künstliche Barriere gegen mögliche Fluchten nach West-Berlin sind ja verrückt. Heute sitzen darauf die Kormorane.“

Klingel an der Mauer

Das hätten sie vorher nicht gewusst, obwohl die beiden Studenten in Berlin groß geworden wären, freilich erst nach dem Ende der deutschen Teilung. Als „völlig absurd“ empfinden sie auch die beiden Spandauer Laubenpieper-Anlagen, die sich als Exklaven bis 1988 auf DDR-Gebiet befanden. Mit der Klingel an der Mauer, so beweist es ein Foto, mussten sich West-Berliner bei den Grenzern bemerkbar machen. Erst danach erhielten sie gut bewacht den Zugang zu ihren Grundstücken. Jetzt erinnert die Radler kaum noch etwas an diese Besonderheit. Überhaupt hat die Natur gerade entlang des einstigen Grenzstreifens viele Narben erstaunlich schnell geschlossen. „Ohne die damals aufgenommenen Fotos würde ja hier niemand mehr eine streng bewachte Grenze vermuten“, wirft der Radler aus Osnabrück ein. „In fast 25 Jahren sind die Bäume am Fluss regelrecht in die Höhe geschossen.“ Die anderen Besucher auf dem Turm nicken und schütteln gleichzeitig den Kopf. „Im Untergeschoss steht das Modell des Schlosses von Nieder Neuendorf“, macht einer aus der Runde auf ein weiteres Exponat aufmerksam. „1967 wurde es abgerissen. Die Grenzer sollten freies Blick- und Schussfeld erhalten.“

Auf der Strecke eröffnen sich immer wieder reizvolle Blicke auf den Fluss und den gegenüberliegenden Tegeler Forst. Wer die Entdeckertour erweitern möchte, kann an zwei Stellen auch mit Fähren übersetzen – nach Tegel oder auf die Inseln im Tegeler See.

© Claus-Dieter Steyer

Nachdenklich verlässt die Gruppe den Turm, um anderen Besuchern Platz zu machen. Ein schmaler Betonplattenstreifen markiert den Verlauf der Mauer an der Havel. Dahinter schwimmt eine Schwanenfamilie flussabwärts in Richtung Spandau. Genau solche Tiere hatten sich einst Flüchtlinge zum Vorbild genommen, um mit selbst gebauten Attrappen die Grenzer auf den Türmen zu täuschen und so unbemerkt in den Westen zu gelangen. Schwäne und andere Wasservögel begleiten die Radler auf dieser flachen Tour eigentlich die ganze Strecke lang. Denn bis auf das Waldstück in Hakenfelde geht es immer entlang des Wassers mit Badestellen, Ausflugslokalen, Liegewiesen mit Bänken oder schwungvollen Brücken. Erst kurz vor dem Rathaus Spandau meldet sich die Großstadt mit ihrem Trubel zurück, der seit dem Start in Hennigsdorf so weit weg erschienen war.

>>Hier geht's zur Route

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false