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Berlin: Aus dem Kontroll-Häuschen

Die Uniformenposse am Checkpoint Charlie wird immer grotesker

Das junge Mädchen am Checkpoint Charlie hat keine Ahnung, wo hier Osten war und wo Westen. „Da war die Sektorengrenze“, sagt der junge Mann mit Uniform. „Da konnten sie dich auch noch erschießen, wenn du schon fast drüben warst.“ Das Mädchen guckt entsetzt. Der junge Mann heißt Marcel Trunsch und ist Schauspielschüler. Er steht hier als Fotomotiv in der britischen AlliiertenUniform, um sich was dazu zu verdienen; ein Foto mit ihm kostet einen Euro. Nebenher erteilt Trunsch vor der Tür des Mauermuseums Nachhilfe in Geschichte. Bis Ende vergangener Woche trugen Trunsch und sein Kollege Tom Luszeit die Uniformen der DDR-Volkspolizei. Damit hatten sie Aufsehen erregt – und Ärger.

Alexandra Hildebrandt, Witwe des Museumsgründers Rainer Hildebrandt, fühlte sich durch die Vopo-Uniformen provoziert. Sie verhüllte das nachgebaute Kontrollhäuschen auf dem Mittelstreifen mit blauer Plastikfolie. Das darf sie auch, sagt der Kreuzberger Baustadtrat Franz Schulz. Das Kontrollhäuschen gehört dem Checkpoint-Museum. Es funktioniere als Werbeträger und sei als Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes genehmigt.

Alexandra Hildebrandt will das Kontrollhäuschen erst wieder enthüllen, wenn dessen kommerzielle Nutzung endet. „Unwürdig“ findet sie, dass andere damit Geschäfte machen. Heute stünden die Uniformierten vor ihrem Kontrollhäuschen, morgen ein Bratwurstverkäufer oder eine Mickymaus, sagt sie. Kaum ein Tourist versteht den Streit. Die Beteiligten reden nicht miteinander, aber böse übereinander. Am Rand der blauen Plastikplane liegen seit Tagen zwei Dutzend gleichartig aussehende Blumensträuße. „Die lässt sie immer vom Floristen liefern“, sagt einer der Uniformierten. „Hier sind noch mehr.“ Er hebt eine Ecke der blauen Plane an. Kompostartiger Geruch quillt hervor; vierzig Zentimeter hoch stapeln sich darunter alte Sträuße.

Luszeit und Trunsch werfen Hildebrandt Wortbruch vor. „Sie hat gesagt, wenn wir die Alliierten-Uniformen tragen, nimmt sie die Plane wieder ab“, sagt Trunsch. „Jetzt stehen wir hier in der Alliierten-Uniform, und sie lässt die Plane dran mit dem Argument, das sei ihr zu kommerziell.“ Dabei seien die umliegenden Stände und Geschäfte auch kommerziell, ebenso wie das Museum selbst. „Hier ist ja nichts mehr zu sehen, die Leute haben Fragen zur Geschichte – wir stehen hier, um etwas für Berlin zu tun. Geschichte zum Anfassen“.

Andere sprechen von der Trivialisierung von Geschichte, zum Beispiel Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Der Anblick von Grenzern sei „schmerzhaft“ für alle, die unter dem DDR-Regime gelitten hätten, sagt Knabe – bei ihm haben sich einige über den Auftritt der Pseudo-Grenzer beklagt. „Noch grotesker“ findet es Knabe, dass die jungen Männer meinten, sie müssten nur die Uniform wechseln, um aus der für manche schmerzhaften eine gelungene Inszenierung zu machen. Man könne Geschichte inszenieren, sagt Knabe, doch „solide und seriös“ solle es sein. Das alles zeige, dass die Politik gefordert sei, die „Vermarktung der Erinnerung“ zu begrenzen und „diesen für die Geschichte zentralen Raum“ stärker in die staatliche Planung einzubeziehen. Die Politik will aber nicht. Der Senat kann Sachen von „besonderer stadtpolitischer Bedeutung“ an sich ziehen, hat sich aber dagegen entschieden. Also ist der Bezirk zuständig. Baustadtrat Schulz will den Checkpoint vor allem davor bewahren, von der Touristenattraktion zur „Streitmeile“ zu verkommen, wie er sagt. Das Kontrollhäuschen solle enthüllt werden, auch wenn es für einen museumspädagogischen Ansatz werbe, der nicht frei von kommerziellen Aspekten ist, meint er – Schulz ist ein Mann vorsichtiger Worte. Der Kompromiss könnte folgendermaßen aussehen: Die Insel mit dem Häuschen darauf wird durch Zebrastreifen zu einer Querungshilfe der Friedrichstraße. Natürlich darf niemand auf einer Querungshilfe irgendwelchen Geschäften nachgehen, weder kommerziell noch gegen Spende. Kein uniformierter Stadterklärer dürfte dort vor dem Kontrollhäuschen stehen, kein Bratwurstverkäufer, keine Mickymaus. Und die Plane könnte weg. fk/wvb.

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