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© dpa

Bauernproteste: Der Treck der Trecker

Die protestierenden Bauern lösten mit ihrer Sternfahrt zur Straße des 17. Juni ein Verkehrschaos aus.

Der Star der Bauerndemo ist eine Jungbäuerin aus Aachen: Kristine Dahmen, 24 Jahre alt, rotbraunes Haar, blasse Haut, ungeschminkt und eloquent. Sechs Tage lang ist sie mit dem Trecker nach Berlin gefahren, auf Umwegen rund 900 Kilometer bei Tempo 40, nun steht sie auf der Bühne am Großen Stern neben dem Geschäftsführer des Deutschen Bauernverbandes und erzählt: „Eine sehr interessante Fahrt, ich durfte überall kostenlos Diesel tanken, ein Wahnsinn, wie die Bauern das unterstützt haben.“

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner tritt etwas später ans Mikrofon und zeigt sich hocherfreut über den Anblick der drei Treckerreihen auf der Straße des 17. Juni. „Das ist die größte Treckerdemo, die Deutschland je gesehen hat.“ Rund 700 Zugmaschinen sollen es sein, durchweg PS-starke Premiumfabrikate, einige so groß wie Baumaschinen. Die Bauern und Treckerfahrer nehmen sich dagegen bescheiden aus, ein Drittel der Fläche am Großen Stern füllen sie, 6500 Menschen, sagen die Veranstalter, die Polizei zählt nur 3000.

Aus allen Himmelsrichtungen waren die Trecker am Vormittag in die Stadt gefahren, in Konvois, geleitet von der Polizei. Keine rote Ampel konnte die Bauern aufhalten, die Autofahrer hatten im Berufsverkehr das Nachsehen. „Es gab zeitweise Chaos“, sagt Matthias Arndt von der Verkehrsregelungszentrale. Im Tiergartentunnel beispielsweise staute sich der Verkehr bis zurück in die Heidestraße, weil jeweils einer der beiden Südausgänge gesperrt werden musste. Von Osten kamen die Trecker auf der ohnehin schon stark befahrenen Route B 5, Karl-Marx-Allee, Leipziger Straße und Potsdamer Platz, von Westen war die Heerstraße blockiert, im Süden der Mehringdamm. „Normalerweise sind solche Großveranstaltungen am Wochenende“, sagt Arndt.

Die Bauern wurden unterdessen bestens umsorgt. Helfer verteilten Fresspakete und Wasserflaschen, später gab es Würstchen vom Grill, alles gratis. Nur an Sonnencreme hatten die Organisatoren nicht gedacht. Die Mittagssonne brannte unerbittlich, und viele Landwirte suchten Schutz unter den Bäumen des Tiergartens oder in den klimatisierten Traktorkabinen.

Jens Petermann, Geschäftsführer der „Produktivgesellschaft Dannenberg“ – 800 Hektar, neun Angestellte –, rollt als Erster mit seinem John Deere, 200 PS, auf den Großen Stern. Der Geschäftsführer des Bauernverbandes weiht ihn sofort in die neueste Erkenntnislage ein. „Struck und Kauder wollen um 12 Uhr an die Presse gehen. Steuersatz soll runter auf 25 Cent. Das hat sich doch schon mal gelohnt.“

Dennoch wird Petermann weiterhin Verluste einfahren in diesem Jahr. „Minus 13 000 Euro jeden Monat, allein bei der Milch.“ Und die Steuern beim Diesel seien auch nach der Senkung noch deutlich zu hoch. „In Polen zahlen sie nur 8,8 Cent.“ In Dänemark und Frankreich fangen die Zahlen erst hinter dem Komma an – bei 0,3 und 0,6 Cent.

Im Agrargut Vipperow an der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern drücken eher die Getreidepreise. 2500 Hektar Grün- und Ackerland bewirtschaftet der Betrieb. „Acht Euro für den Doppelzentner Roggen, das rechnet sich nicht“, sagt Jörg, der mit einem Kollegen nach Berlin gekommen ist. Inzwischen arbeiten sie kürzer und verdienen weniger, um Entlassungen zu verhindern.

Aus Schleswig-Holstein sind Treckerfahrer dabei, aus Niedersachsen, die Bauern aus dem Süden und Westen sind zumeist mit dem Bus angereist. Aber es gibt auch andere Methoden, um das Prinzip der Sternfahrt etwas rationeller anzugehen. Landwirtschaftslehrling Denny Grawe aus Demmin ist erst kurz vor Berlin von Auto auf Schlepper umgestiegen. Sein Chef hatte die Maschinen bei einer Leihfirma reserviert. Der Fendt-Trecker, mit dem Kristine Dahmen angereist ist, kommt heute Abend auf den Sattelschlepper, zurück zur Agrartechnik-Firma, die ihn gesponsert hat. Thomas Loy

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