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Berlin: Behutsam zurück in den Alltag

Geriatrische Rehabilitation ist in Pflegeheimen oft schwierig. Das liegt an Kassen, Ärzten, Therapeuten. Das Evangelische Geriatriezentrum versucht es trotzdem. Manchen Bewohnern geht es deshalb besser

Hartmut Schröders Kopf sitzt schief auf seinem Hals. Seine ganze Körperhaltung wirkt asymmetrisch. Der 61-Jährige sitzt im Foyer des Pflegeheims im Evangelischen Geriatriezentrum Berlin in Wedding, an einem Tisch mit drei anderen Männern. Im Moment starrt er vor sich hin, hat offensichtlich keine Lust auf ein Gespräch. Sonst aber unterhält er sich oft lebhaft mit den anderen Bewohnern. Oder er liest Bücher über Flugzeuge, schaut sich in seinem Zimmer Dokumentarfilme über Afrika an. Ins Foyer ist er ganz ohne Hilfe mit seinem Rollstuhl gekommen. An guten Tagen kann er aufstehen und einige Schritte gehen. Und die Toilette benutzen. Dass er zu all diesen Dingen fähig ist und nicht hilflos im Bett liegt, ist alles andere als selbstverständlich. Denn als der 61-Jährige im August ins Heim kam, war seine Parkinson-Erkrankung weit fortgeschritten. Er war inkontinent, bettlägerig und wirkte, als bekomme er kaum etwas von seiner Umgebung mit.

„Herr Schröder hat sich bei uns sehr verbessert“, sagt Cornelie MittelstaedtHendrix, Leiterin des Pflegeheims. Einen Monat lang wurde Hartmut Schröder jeden Morgen über die schmale Privatstraße in die Tagesklinik gegenüber gebracht. Dort führen Therapeuten auch Geriatriepatienten behutsam ins Alltagsleben zurück. Das Ziel: mit der Behinderung klarzukommen. Es gibt Sturzpräventionsgymnastik, Kochgruppen, Gedächtnistraining. Ein Logopäde, ein Ergotherapeut und ein Physiotherapeut haben mit Hartmut Schröder zum Beispiel Sprechen und Feinmotorik geübt, etwa beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielen.

Hartmut Schröder ist als Pflegeheimbewohner eine Ausnahme unter den anderen Patienten der Tagesklinik. Die meisten kehren abends in ihre eigene Wohnung zurück. Rehabilitation für Geriatriepatienten finde in deutschen Pflegeheimen im Allgemeinen nicht statt, sagt Elisabeth Steinhagen-Thiessen. Die Professorin für Geriatrie an der Charité ist Chefärztin des Geriatriezentrums in Wedding. Dabei wäre das gut möglich, wie zum Beispiel in Dänemark, wo es die Trennung von Krankenversicherung und Pflegeversicherung nicht gebe. Anders als in Deutschland: Da ist erstere für die Finanzierung der Reha zuständig, letztere für die Pflegeheimkosten. Die Kassen kooperierten nicht miteinander, sagt die Ärztin, was zu einem richtigen Hickhack führe und zu Problemen bei der Gewährung einer Reha-Maßnahme.

Das deutsche Finanzierungssystem biete den Pflegeheimen keinerlei Anreiz, ihre Bewohner wieder fit zu machen. Ganz im Gegenteil. „Heute gibt es fast nur noch Pflegestufe II und III in Heimen. Dort hat keiner ein Interesse daran, dass die Schützlinge wieder zurückgestuft werden“, sagt Steinhagen-Thiessen. Denn sobald es den Patienten besser gehe, schrumpfe der Kassenzuschuss für den Heimplatz.

Wer in die niedrigste Pflegestufe I eingeteilt wird, ist „erheblich pflegebedürftig“ und benötigt mindestens 90 Minuten Hilfe pro Tag. Pflegestufe III bedeutet „schwerste Pflegebedürftigkeit“ und mindestens 300 Minuten Hilfe.

Ihre Einrichtung sei eine Ausnahme unter den Heimen, meint Cornelie Mittelstaedt-Hendrix. „Bei uns werden immer wieder Bewohner zurückgestuft, einige sogar von Pflegestufe III zur Stufe I.“

Wie aber wird das Heim im Geriatriezentrum mit der „finanziellen Bestrafung“ fertig? „Ein Heim ist nun mal für die meisten die Endstation“, sagt Mittelstaedt-Hendrix. Die Mehrheit der Bewohner käme schon in einem derart schlechten Zustand an, dass allein die Erhaltung des Status quo eine Herausforderung sei. Es gebe nur wenige Patienten, die noch das Potenzial für eine Rehabilitation hätten. Deren Zahl sei so überschaubar, dass die Rückstufungen dem Heim finanziell nicht schadeten.

Für Hartmut Schröder läuft ein Antrag auf Pflegestufe II. Denn obwohl es ihm jetzt viel besser gehe, gebe es viele Tage, an denen die Krankheit sich so heftig äußere, dass die höhere Pflegestufe notwendig bleibe, sagt Mittelstaedt-Hendrix.

Bei Gerhard Wetz liegt der Fall ähnlich. Er hat jetzt Pflegestufe III. Dabei geht es ihm viel besser als noch im Mai. Damals kam er nach einem Schlaganfall übers Krankenhaus ins Heim – wie alle mit diesem Weg zunächst in die Pflegestufe I eingeordnet. „Dabei war er eigentlich bereits ein Härtefall“, sagt Cornelie Mittelstaedt-Hendrix, also jenseits der Pflegestufe III. Jetzt parkt sein Rollstuhl ein paar Meter entfernt von Hartmut Schröder im Foyer der Pflegeeinrichtung. Der 86-Jährige blickt aus dem Fenster, seine Frau hat einen Stuhl im rechten Winkel neben ihn gestellt, spricht leise mit ihm. Auch bei Wetz sah es zunächst nicht so aus, als könne er je wieder etwas anderes tun, als reglos im Bett zu liegen. Sogar essen ging nicht mehr, er über eine Magensonde ernährt werden.

Eine Therapeutin übte mit ihm das Schlucken, massierte seine Zunge und trainierte mit ihm einfache Wörter. Die Pflegekräfte des Heims setzten diese Therapie fort. „Das ist in Heimen nicht selbstverständlich“, sagt Mittelstaedt-Hendrix. Sie jedoch achte darauf, das ihre Mitarbeiter besonders geschult werden: etwa in der Bobath-Methode, ein rehabilitativer Ansatz bei der Pflege und Therapie von Patienten mit Schädigungen des Gehirns oder des Rückenmarks. Ziel ist es, verloren gegangene Fähigkeiten wie das Gehen oder Anziehen wieder zu lernen.

Mit der Reform der Pflegeversicherung, die Mitte 2008 in kraft treten soll, wird sich das System der Pflegebedürftigkeits-Einstufung ändern. Steinhagen-Thiessen und Mittelstaedt-Hendrix hoffen dann „auf neue Möglichkeiten, unseren Bewohnern zu helfen.“

Für das Geriatriezentrum sieht Steinhagen-Thiessen derzeit aber noch ein weiteres Problem: Die Ärzte der benachbarten Geriatrie-Klinik, zu der das Heim gehört, dürfen die 50 Bewohner des Pflegeheims nicht behandeln. Auch die Therapien dürfen nur niedergelassene Ärzte verschreiben. „Doch diese haben ein begrenztes Budget, das schnell erschöpft ist.“

Hausärzte, die Heime betreuten, hätten tatsächlich manchmal Probleme, die durch die mitunter schwer kranken Bewohnern verursachten hohen Ausgaben zu erklären, bestätigt Angelika Prehn, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung und Allgemeinmedizinerin. Da für „schwere Fälle“ jedoch mehr Geld zur Verfügung stehe, funktioniere Rehabilitation in Pflegeheimen im Allgemeinen gut. „Auch wenn ich manchmal lieber vier statt zwei Therapiestunden pro Woche verschreiben würde“, sagt Prehn.

(alle Bewohnernamen geändert)

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