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Die irische Band U2 mit ihrem Sänger Bono ließ sich vom Bahnhof Zoo zu "Zoo Station" inspirieren.

© dpa

Berlin im Lied: "Ein Song für Spandau" wird gesucht

Seit jeher hat Berlin Dichter, Komponisten und Interpreten zu Liedern über die Stadt und ihre Bezirke inspiriert. Jetzt gibt es dazu sogar einen Wettbewerb. Gesucht: „Ein Song für Spandau“. Dem Hauptgewinner winkt als Preis ein Klavier.

Der Schweizer Friedrich Dürrenmatt sah Nationalhymnen ironisch, das hat er in einer Regieanmerkung zum Hörspiel „Herkules und der Stall des Augias“ (1954) deutlich gemacht. Die Szene: Ankunft des Herkules in dem unter Rinderdung erstickenden Lande Elis. Zu Ehren des zum Ausmisten herbeigeeilten Helden stimmen die Elier ihre Hymne an: „O Elierland, mein liebes Vaterland / Kleinod am Peneiosstrand.“ Dann stocken sie, Dürrenmatt kennt den Grund: „Die folgenden Worte weiß wie bei allen Nationalhymnen niemand mehr.“

Ein Problem nicht nur im sagenhaften Griechenland. Unvergessen ist Sarah Connors Variante der deutschen Hymne zur Eröffnung der Münchner Allianz-Arena 2005: „Brüh im Lichte dieses Glückes.“ Ähnliches ist Shakira mit Kolumbiens und Christina Aguilera mit der US-amerikanischen Hymne passiert. Man kann also für künftige Interpreten des neuen „Songs für Spandau“ nur hoffen, dass die Dichter des Liedes, das Berlins westlichsten Bezirk verherrlichen soll, nicht allzu viele sprachliche Fallstricke einbauen. Und auch möglichen Zuhörern, die Spandau Ballet für eine bezirkliche Tanzveranstaltung halten, wäre mit sprachlicher Klarheit sicher gedient.

Genau genommen gibt es bereits eine Spandau-Hymne, von Otto Ruthenberg 2007 zur 775-Jahr-Feier gedichtet und komponiert, in der auch die bekannte, bezirkliches Selbstbewusstsein demonstrierende Wendung „Spandau bei Berlin“ nicht fehlt. Ihre Welturaufführung erfuhr sie auf der Zitadelle. Auch Ingo Insterburg hatte den Bezirk in seinem Blödelsong „Ich liebte ein Mädchen“ nicht vergessen: „Ich liebte ein Mädchen in Spandau, / von der war immer der Mann blau.“ Und eigentlich hat Truck Stop mit „Old Texas Town, die Westernstadt“, die „mitten in Berlin“ liege, ebenfalls Spandau besungen: Der Traumort aller Berliner Cowboys liegt an der Paulsternstraße in Siemensstadt.

Ingo Insterburg hatte Spaß mit dem Mädchen in Spandau.
Ingo Insterburg hatte Spaß mit dem Mädchen in Spandau.

© Leiser

Nun also ein weiterer „Song für Spandau“. Oder genau genommen ein ganzer Strauß bunter Melodien, deren Texte „etwas mit Spandau zu tun haben“ müssen, wie es in den Informationen zum Musikwettbewerb „Ein Song für Spandau 2012“ heißt. Die Musikschule des Bezirks hat ihn „für SängerInnen, Bands und KomponistInnen mit Stilvielfalt“ ausgeschrieben. Drei auf den Nachwuchs zielende Wettbewerbe – „Ein Lied für Spandau“, „Spandau sucht das Supertalent“ und „Du bist Spandau“ – hat es dort bereits gegeben, nun also wird ein neuer Bezirkssong gesucht, in einem sich über Monate hinziehenden Verfahren samt Vorfinale, Finale und dessen Mitschnitt zwecks Veröffentlichung auf Youtube. Der Preis für den Sieger: ein Klavier.

Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass der auserwählte Song dann tatsächlich zur offiziellen Bezirkshymne, beispielsweise per BVV-Beschluss, erhoben wird. Nicht einmal populären Weisen wie dem Gassenhauer „In Rixdorf ist Musike“, Walter Kollos Operettenohrwum „Es war in Schöneberg, im Monat Mai“, dem Mitgrölhit der Gebrüder Blattschuss „Kreuzberger Nächte sind lang“ oder „Ich liebe mein Charlottenburg“ des Schlagerduos Steffi & Bert war dies vergönnt – wie ja auch die Schöneberger Sängerknaben nie als Bezirksbotschafter ihre munteren Weisen schmetterten.

Man muss gar nicht lange suchen, um weitere Bezirksoden aufzustöbern, die sich mal mehr, mal weniger als Identifikationsmelodien für Kiezberliner durchgesetzt haben: Drafi Deutschers „Der Hauptmann von Köpenick“ – nun gut, nicht mehr jedem präsent, während Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ uns noch immer durch die Ohren fährt. City hat dem „King vom Prenzlauer Berg“, das „Linie 1“-Autorengespann Volker Ludwig/Birger Heymann den „Wilmersdorfer Witwen“ ein Denkmal gesetzt. David Bowie und Brian Eno wiederum schrieben für das von Berlin inspirierte, hier auch aufgenommene Album „Heroes“ das Stück „Neuköln“ leider ohne Text und dazu noch mit fehlerhaftem Titel, immerhin wurde der Bezirk durch Rio Reisers „Sonnenallee“ wieder halbwegs rehabilitiert.

Toni Krahl von "City" besang den "Kind vom Prenzlauer Berg".
Toni Krahl von "City" besang den "Kind vom Prenzlauer Berg".

© dpa

Geradezu unübersichtlich wird die musikalische Lage, wendet man den Blick von den Kiezmelodien zu denen mit Gesamtberliner Bezug. Quer durch die Jahrzehnte hat die Stadt an der Spree die Dichter, Komponisten und Interpreten beflügelt. Zu nennen sind hier gegensätzlichste Stile und Temperamente, die in musikalische Perlen wie Will Meisels „Berlin bleibt doch Berlin“ und dem besonders mit Marlene Dietrich und Hildegard Knef verbundenen „Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“ über Knefs „Heimweh nach dem Kurfürstendamm“ und Günter Neumanns Insulanerlied bis zu „Berlin“ von Ideal, Leonard Cohens „First we take Manhattan, then we take Berlin“ und „Zoo Station“ von U2 reichen.

Doch für all diese Golden Hits gilt: Offiziellen Status erlangten sie nie. Und selbst von den Hymnen, über die fast alle Bundesländer verfügen, besitzen nur die Bayernhymne, das Niedersachsenlied und das Saarlandlied amtlichen Charakter als staatliches Symbolgut. Die „Berliner Luft“ dagegen und sogar Brandenburgs „Märkische Heide, märkischer Sand“ sind nur inoffiziell in Gebrauch. Doch während Paul Linckes Militärmarsch aus seiner Operette „Frau Luna“ politisch unverdächtig ist und stets das alljährliche Waldbühnenkonzert der Philharmoniker beschließt, wird „Steige hoch, du roter Adler“ auch kritisch gesehen: Zwar wurde das Lied bereits 1923 von dem gebürtigen Berliner Gustav Bogenschütz, Mitglied der Wandervogelbewegung, gedichtet und geschrieben. Später aber entdeckten die Nationalsozialisten es für sich, und Bogenschütz ließ sich das gefallen, erklärte es 1934 sogar selbst zu einem „Lied der nationalsozialistischen Erhebung“. Bei der Wehrmacht und in den anderen Bataillonen des NS-Staats wurde es gern gesungen, noch die Soldaten der Bundeswehr mussten dazu marschieren, und auch zur konstituierenden Sitzung des ersten brandenburgischen Landtags 1990 stimmten die Abgeordneten den „Roten Adler“ an. Es sei eine „Phantomdebatte“, urteilten Alt-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und der damalige Innenminister Jörg Schönbohm, als die Diskussion um das Lied und seinen Schöpfer vor vier Jahren aufkam. Zwar habe Bogenschütz in der NS-Zeit eine „gewisse Nähe“ zum System gehabt, sagte Stolpe. „Aber das ändert nichts daran, dass das Lied, das lange vorher komponiert wurde, das Volkslied der Brandenburger geworden ist“. Offizielle Hymne wurde es nie.

Einsendeschluss für den Wettbewerb „Ein Song für Spandau“ ist der 10. August. Infos: www.musikschule-spandau-berlin.de

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