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Ärger um Stickervandalismus: Berlin kriegt immer häufiger eine geklebt

Früher wurden sie ignoriert, jetzt sind sie eine Plage: Sticker machen Verkehrsschilder unbrauchbar. Die Bezirke müssen sie auswechseln – manche sogar täglich.

Alles, was den Verkehr regelt, lagert in einer großen Halle im Norden Pankows: Halte- und Parkverbotsschilder, die dazugehörigen Pfeile, Mo–Fr, Di–Do. Daneben Stapel mit Straßennamen: vom Amalienpark bis zur Zillertalstraße. Und mittendrin steht Silvia Seehagen, die Leiterin der Regiekolonne am Werkhof: „Alles wird mit Aufklebern beklebt.“ Teils mit so vielen, dass das Schild nicht mehr reflektiert. Dann ist es eine Gefährdung für den Straßenverkehr. Also gibt Seehagen den Auftrag für die Auswechselung.

So geht das Tag für Tag, der Schilderstapel in Pankow wird immer kleiner. Es ist eine Sisyphusarbeit: In Kiezen wie an der Eberswalder Straße hielten manche Schilder gerade mal einen Tag, dann sei wieder ein Aufkleber drauf. „Und ist einer drauf, kommen schnell ganz viele andere hinzu.“

450 bis 500 Verkehrs- und Straßennamenschilder tauscht der Bezirk Pankow im Jahr aus. 350 davon müssen laut Jens-Holger Kirchner (Grüne), Verkehrsstadtrat in Pankow, wegen mutwilliger Beschädigung ersetzt werden. Das Phänomen des Schilderbeklebens sei ziemlich neu, meint Kirchner. Früher seien fast nur die Masten beklebt worden. Eine Art analoges Ebay: billige, wenn auch illegale Anzeigeflächen. Seit drei bis vier Jahren kämen immer mehr „Meinungsäußerungen“ auf gedruckten Aufklebern hinzu. Und die würden dann nicht mehr nur auf den Masten, sondern direkt auf den Verkehrsschildern platziert. „Gegen Kapitalismus, für Hertha BSC und den Tierschutz, alles ist dabei“, sagt Kirchner.

Bildergalerie: Müll, Dreck und Vandalismus in den Berliner Straßen

Professionelle Aufkleber mit eigenem Motiv sind im Internet für wenig Geld zu bekommen. Deren Klebefläche ist meist nicht wasserlöslich. Also müssten chemische Ablöser verwendet werden. „Und die beschädigen die reflektierende Beschichtung der Schilder“, sagt Silvia Seehagen. Dadurch werden sie unbrauchbar und müssen ausgetauscht werden. Das ist Praxis in den meisten Bezirken. Die alten Schilder werden verschrottet.

Und das kostet die Bezirke Geld. Am günstigsten sind Straßennamenschilder mit bis zu zehn Euro. Das rot-weiße Dreieck (Vorfahrt achten) ist ab 14 und das Stoppschild für 32 Euro zu haben. Hinzu kommen 44 Euro Anfahrtskostenpauschale und die Montage, die der Bezirk bezahlen muss. Die Kosten für die Schilder handelt jeder Bezirk einzeln mit den Herstellern aus.

In Mitte liegen sie inklusive Montage im Schnitt bei 50 Euro. Auch hier ist der Ärger über den Schildervandalismus groß: „Die Halbwertszeit am Hackeschen Markt liegt bei einem Tag, dann sind die Schilder wieder beschmiert oder beklebt“, sagt Andreas Zierach, Bauleiter Verkehrszeichen und -einrichtungen in Mitte. „Wo es Touristen gibt, wird geklebt.“ Doch wer dafür verantwortlich ist, sei kaum festzustellen, weil die Täter selten auf frischer Tat ertappt würden. „Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, in dem wir Geld vom Täter bekommen hätten.“ Obwohl es dazu keine Statistik in Mitte gibt, schätzt Zierach, dass der Schildertausch, eingerechnet der alten und bei Unfällen beschädigten Schilder, etwa ein Drittel seines Jahresetats und damit mehr als 100 000 Euro im Jahr verschlingt.

Wie die Bezirke den Stickervandalismus aufspüren und gegen ihn vorgehen.

Für die Meldung beschädigter Schilder sind sogenannte Begeher zuständig. Drei gibt es in Friedrichshain-Kreuzberg. Die großen Straßen des Hauptnetzes werden von ihnen alle 14 Tage abgelaufen, das „Nebennetz“ alle acht Wochen. Dazu gehören auch Sonntagstraße, Simon-Dach- und Wrangelkiez, wo am meisten geklebt wird. 6600 Schilder haben Friedrichshain und Kreuzberg, 260 wurden im vergangenen Jahr ausgetauscht. Vergleichsweise wenig, denn das Tiefbauamt versucht möglichst viele Schilder vor der Verschrottung zu bewahren und zu säubern. „Dafür geben wir jedes Jahr zusätzlich 3000 Euro aus“, sagt Helmut Schulz-Herrmann, Fachbereichsleiter beim Tiefbauamt Friedrichshain-Kreuzberg. Ein paar Mal sei auch schon Strafanzeige erstattet worden, drei jugendliche Stickerkleber seien in den letzten Jahren zur Reinigung verdonnert worden. „Aber das sind Tropfen auf den heißen Stein.“

Bildergalerie: Mit Aufklebern gegen Touristen

Besserung könnte eine neue Anti-Graffiti-Beschichtung bringen, auf der laut Hersteller nichts mehr haften bleibt. Friedrichshain-Kreuzberg will diese Möglichkeit im kommenden Jahr prüfen. Andreas Zierach vom Tiefbauamt Mitte ist da skeptisch: „Die Schilder sind sehr teuer und man kann sie nicht im Nachhinein mit dieser Beschichtung überziehen.“ Mitte bleibe bei der Kassenlage wohl beim Auswechseln. In Pankow hilft man sich bereits in besonders wichtigen Verkehrsbereichen wie vor Schulen mit einer Art Seifenspray, mit dem manche Schilder drei bis vier Tage vor der Montage eingesprüht werden. Doch auch dieses Spray ist teuer und nach ein paar Monaten ist die Schutzschicht abgewaschen.

Für Neuköllns Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) steht ein anderes Problem im Vordergrund. „Die Schilder sind aus Metall. Sie werden wie Kupfer geklaut, weil man sie verkaufen kann.“ Genaue Zahlen erfasst der Bezirk zu Diebstahl und Beschädigung der Schilder nicht. Wie in den anderen Bezirken auch werden die Schilder hier noch am selben Tag ausgetauscht, wenn sie mit verfassungsfeindlichen Symbolen beschmiert oder beklebt werden.

Eigentlich hätte ein Verkehrsschild eine Lebensdauer von 15 bis 20 Jahren, sagt Helmut Schulz-Herrmann vom Tiefbauamt Friedrichshain-Kreuzberg. Aufkleber verkürzen sie auf wenige Wochen. Mal eben einen Sticker kleben – „vielen ist wahrscheinlich nicht bewusst, dass das echter Vandalismus ist“, glaubt Andreas Zierach. Den Bezirken bleibt nur auf Vernunft zu hoffen – und tonnenweise beklebte Schilder zu verschrotten.

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