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Auch der israelische Student Adam Armush trug eine Kippa als er angegriffen wurde.

© Maja Hitij/dpa

Berlin-Prenzlauer Berg: Solidarität und Häme nach antisemitischer Attacke in Berlin

Der 19-Jährige, der den jungen Israeli Adam Armush in Berlin angegriffen haben soll, ist ein syrischer Geflüchteter. Manche Muslime bejubeln die Tat. Die Politik diskutiert über einen Antisemitismusbeauftragten.

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Der aggressive junge Mann, der den israelischen Studenten Adam Armush am Dienstag in Prenzlauer Berg mit einem Gürtel attackiert haben soll und dabei immer „Yahudi“ – Jude – rief, hat sich am Donnerstag in Begleitung seiner Rechtsanwältin bei der Polizei gestellt. Es handelt sich um einen 19-jährigen Syrer, der als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist. Das bestätigte die Polizei. Er wurde einem Haftrichter vorgeführt und kam laut Generalstaatsanwaltschaft wegen gefährlicher Körperverletzung in Untersuchungshaft. Adam Armush war für ein Gespräch bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht zu erreichen.

WAS WAR PASSIERT?

Am Dienstagabend ist der 21-jährige Adam Armush mit einem 24-jährigen Freund in der Raumerstraße am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg unterwegs gewesen, beide Männer trugen Kippa. Sie wurden aus einer Dreiergruppe heraus antisemitisch beleidigt, ein Mann schlug mit einem Gürtel auf Armush ein. Das Opfer filmte alles, das Video verbreitete sich über das Internet, Adam Armush gab abends noch Interviews. Darin sagte er, dass er kein Jude sei und dass er ein Experiment machen wollte.

WIE ES WEITERGING

Der Fall hat innerhalb kürzester Zeit ein enormes Echo ausgelöst. Das Video von der Attacke verbreitete sich rasend schnell im Netz. Stimmen aus der Berliner und nationalen Politik meldeten sich zu Wort, ebenso wie beispielsweise Vertreter des Judentums in Deutschland. Sie alle verurteilten den Vorfall scharf. Die Brutalität, mit der der Angreifer zuschlug, schockiert. Was vor und nach den Momenten geschah, die auf Video festgehalten sind, ist unklar und Gegenstand der Ermittlungen der Polizei. Im Video ist zu hören, wie Armush immer wieder sagt: „Ich filme dich.“ Davon ließ sich der Täter nicht abhalten.

Armush traf sich noch am Mittwoch mit Journalisten im Feinberg’s in Schöneberg, jenem Café, das vor vier Monaten selbst in die Schlagzeilen kam, als der Besitzer von einem Passanten antisemitisch angefeindet wurde – auch dieser Vorfall wurde gefilmt. Am Mittwochabend saß Armush bei Stern TV.

Zeitlich gesehen geschah dieser neue Übergriff direkt vor dem israelischen Unabhängigkeitstag, der am Donnerstag in Israel, aber auch in Israels Botschaften weltweit als Nationalfeiertag begangen wurde. Die mediale Aufmerksamkeit für die Belange Israels ist dann besonders groß. Armush gab auch der „Times of Israel“ ein Interview, alles ist bei Facebook zu lesen. Bei Stern TV sagte er zum Thema Übergriffe und zur Frage, ob man in Deutschland sicher sei: „Nein, und es wird immer schlimmer. Diese Minderheiten, ob man jetzt Jude oder schwul ist, das wird immer schlimmer.“ Armush lebt seit drei Jahren in Deutschland, studierte erst in Hannover Tiermedizin, jetzt in Berlin.

REAKTIONEN I: POLITIK

Der Vorfall brachte die Frage, ob Berlin einen Antisemitismusbeauftragten braucht, erneut auf die Tagesordnung. Noch vor einem Jahr hatte Rot-Rot-Grün die von der CDU ins Abgeordnetenhaus eingebrachte Forderung nach Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten abgelehnt. Nach dem aktuellen Fall aber kann sich SPD-Fraktionschef Raed Saleh einen solchen Beauftragten nun auch auf Landesebene vorstellen. Der Bund hat ebenfalls einen Antisemitismusbeauftragten. „Das wäre richtig für Berlin“, sagte Saleh dem Tagesspiegel. Er bräuchte eine „konkrete Aufgabenstellung“ und müsse als Ansprechpartner für antisemitische Vorfälle zur Verfügung stehen. Allen Arten von Hass – auch Islamophobie – müssten klare Grenzen in einer multiethnischen Gesellschaft gesetzt werden.

Bei den Koalitionspartnern stößt der Vorschlag auf Skepsis. Bettina Jarasch, religionspolitische Sprecherin der Grünen, sagt, man habe in Berlin eine gut funktionierende Antisemitismusstelle und eine Antidiskriminierungsbeauftragte in der Bildungsverwaltung. Jarasch lehnt mögliche „Doppelstrukturen“ ab und plädiert dafür, erst einmal zu schauen, „ob es Lücken gibt“. Auch Linken-Fraktionschef Udo Wolf verweist auf die bestehenden Strukturen wie die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus und das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus: „Reine Symbolik hilft uns nicht weiter.“ Wolf ist offen für eine Diskussion, wie Strukturen verbessert werden können, betont aber, dass „zwingend mit den jüdischen Institutionen gesprochen werden muss, bevor man neue Gremien schafft“.

Der FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe findet einen Antisemitismusbeauftragten des Landes unsinnig. „Ein solcher Beauftragter gehört zur Jüdischen Gemeinde.“ Diesen müsse das Land Berlin auch finanzieren. Frank-Christian Hansel, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, findet die Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten „richtig und wichtig“. Das Vorhaben der CDU werde von der AfD unterstützt.

REAKTIONEN II: JUDEN

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hat jedenfalls einen Antisemitismusbeauftragten. Er heißt Sigmount Königsberg. Dieser Vorfall zeige erneut, dass es einem in der ganzen Stadt passieren könne, angegriffen zu werden, sagt Königsberg. „Es gibt anscheinend Menschen, die das Zusammenleben verschiedener Kulturen, Religionen und sexueller Identitäten nicht akzeptieren wollen und die Lebensformen diskriminieren, die einer bestimmten Norm nicht entsprechen“, sagt Königsberg. Seine Solidarität gelte ebenso allen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung angegriffen würden. Zum Beispiel hätten auch homosexuelle Muslime massive Probleme. Und wie findet es die jüdische Gemeinde, wenn ein Nichtjude mit Kippa herumläuft? „Ach, warum eigentlich nicht?“, fragt Königsberg.

Auch die Fußballer vom jüdischen Sportverein TuS Makkabi hatten immer wieder Erlebnisse mit Antisemitismus, seit etwa zweieinhalb Jahren ist es aber ruhiger. Sein Verein, sagt Mike Delberg, „verurteilt jede Form von Gewalt“. Wenn „jüdische Menschen mitten in Berlin attackiert werden, dann ist das schon sehr erschreckend“, erklärt Delberg, beim TuS Makkabi zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Auch wenn nicht jeden Tag etwas passiere, „ein solcher Vorfall zeigt, dass wir wachsam durch die Stadt gehen müssen“. Vor einigen Jahren musste ein Spiel von TuS Makkabi III in der Kreisliga gegen Meteor 06 III nach antisemitischen Attacken abgebrochen werden.

REAKTIONEN III: MUSLIME

In den sozialen Netzwerken zeigt sich von arabischer Seite ein erschreckendes Bild des Hasses. Viele Araber, die sich in den sozialen Medien äußern, sehen den Angreifer als einen Helden, und sie sind stolz auf ihn. Einige von ihnen nannten das Opfer der Attacke „jüdisches Schwein“. Andere gingen sogar so weit, diesen Angriff als eine Art Rache für Israels Vorgehen in Gaza anzusehen. Viele Araber meinen, dass der Angreifer einen Fehler machte: Er hätte verhindern müssen, dass sein Opfer filmte. Ein Kommentar lautet übersetzt: „Habt ihr gesehen, wie der jüdische Junge ein paar Sekunden geschlagen wurde, dabei aber ein Video gewonnen hat, das zeigt, wie er und sein Volk Opfer sind? Sie sind schlau und die Araber sind immer dumm.“ Niemand in den Kommentaren nannte Armush mit seinem Namen, alle schrieben „al-yahoudi“, der Jude. Nur eine Minderheit der Kommentatoren sah den arabischen Angreifer als Täter und vertrat die Auffassung, wer in Deutschland lebe, solle Respekt für alle Menschen zeigen, egal welcher Religion.

ZAHLEN

Die Zahl antisemitischer Straftaten in Berlin steigt seit Jahren. Im Jahr 2017 waren bei der Polizei 288 antisemitisch motivierte Taten registriert worden; 2016 waren 197 antisemitisch motivierte Fälle erfasst worden. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) zählt für 2017 insgesamt 947 antisemitische Vorfälle – und auch da dürfte es noch ein großes Dunkelfeld geben.

AUS- UND EINREISE

Aus einer aktuellen parlamentarischen Anfrage der AfD im Abgeordnetenhaus geht hervor, dass die Zahl der Zuzüge israelischer Staatsbürger nach Berlin von 2010 bis 2014 jährlich stieg und nach dem Höchstwert von 900 im Jahr 2014 wieder sank auf 800 in 2016. Dem stehen 403 Fortzüge im Jahr 2016 gegenüber, 390 im Jahr 2014 und 446 im Jahr 2010. Von den rund 650.000 Ausländern in Berlin sind rund 4700 Israelis.

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