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Die längste Grünphase im Straßenverkehr haben Kraftfahrer. Die Lobby der Radfahrer und Fußgänger will das ändern.

© Sören Stache/dpa

Berliner Ampel-Debatte: Verbände für separate Grünphasen

Die SPD will sie und Fuß- und Radverbände auch: Getrennte Grünphasen könnten Abbiegeunfälle verhindern. Der ADAC befürchtet jedoch Staus.

Von Christian Hönicke

Um den Ampel-Vorstoß der Berliner SPD ist eine Debatte unter den Verkehrsverbänden entbrannt. Wie berichtet, haben die SPD-Verkehrspolitiker einen Antrag an den Senat entworfen, separate Ampelphasen für den Geradeaus- und den Abbiegeverkehr einzuführen. Dadurch sollen Fußgänger und Radfahrer vor Abbiegeunfällen geschützt werden.

Der Fachverband für Fußverkehr FUSS e.V. fordert schon länger getrennte Ampelschaltungen an für Fußgänger gefährlichen Stellen. Verbandssprecher Roland Stimpel verweist auf die Berliner Unfallstatistik für 2017. Bei 488 Unfällen sei „falsches Verhalten von Fahrzeugführern an Fußgängerfurten“ die Ursache gewesen. Das „falsche Verhalten“ bedeute dabei meist, dass die Fahrer zwar bei Grün abgebogen sind, aber dabei den Vorrang der Fußgänger missachtet haben, die ebenfalls Grün hatten.

ADFC für Einzelfallprüfung

Dieselbe Statistik verzeichnet für 2017 nur 189 Unfälle durch „falsches Verhalten von Fußgängern“ an Ampeln, also durch Gehen bei Rot. „Fußgänger in Berlin werden also mehr als doppelt so oft bei Grün angefahren wie bei illegalem Rotgehen“, so Stimpel. „Berlins Ampelschaltungen sind sicherheitstechnisch geradezu pervers.“ Sie seien allein dazu da, den Auto-Durchfluss zu maximieren – auf Kosten der Gesundheit vieler Menschen in der Stadt. „Die Unfallverursacher sitzen nicht nur hinterm Steuer. Sie sitzen auch an den Regelungs-Computern der Verkehrslenkungszentrale.“ Deshalb begrüße FUSS e.V. die Auflösung der Verkehrslenkung Berlin (VLB).

Auch der Fahrradverband ADFC befürwortet getrennte Ampelphasen. Der gefährliche Autoverkehr müsse vom ungeschützten Rad- und Fußverkehr getrennt werden. „Getrennte Ampelphasen können Abbiegeunfälle effektiv verhindern“, so ADFC-Sprecher Nikolas Linck. Allerdings gebe es kein „Schema F“, jede Kreuzung bedürfe einer Einzelfallprüfung. Getrennte Schaltungen sollten an unfallträchtigen Kreuzungen erprobt werden. Damit befindet sich der ADFC auf einer Linie mit den Autovertretern vom ADAC Berlin-Brandenburg. Dessen Sprecherin Sandra Hass hält die Trennung der Ampelphasen „in Einzelfällen“ insbesondere an Unfallschwerpunkten für sinnvoll.

Rechtsabbiegegrün an Kreuzungen mit vielen Radlern

Damit enden aber schon die Gemeinsamkeiten. Auch bei den noch nicht vorhandenen Rechtsabbiegeampeln wird bereits gestritten, wer wie lange Grün bekommen soll. „Vor allem in Stoßzeiten muss der Verkehrsfluss erhalten bleiben“, sagt ADAC-Sprecherin Hass, die Leistungsfähigkeit der Hauptverkehrsstraßen dürfe nicht eingeschränkt werden. Sie will das Rechtsabbiegegrün deshalb besonders an Kreuzungen mit vielen Radlern und Fußgängern einsetzen, an denen „rechtsabbiegende Autos in der Grünphase kaum über die Kreuzung kommen“.

Nikolas Linck vom ADFC wiederum findet es wichtig, dass bei getrennten Ampelphasen Fußgänger und besonders Radfahrer „keinen unerträglich langen Wartezeiten ausgesetzt“ werden. Er verweist auf die alte ADFC-Forderung, Radfahrer „an geeigneten Kreuzungen“ das Rechtsabbiegen auch bei Rot zu erlauben. Dies könne man mit einem entsprechenden Schild tun. Im Gegensatz zu Autos könnten abbiegende Radler „sich besser mit dem querenden Fuß- und Radverkehr arrangieren und stellen keine große Gefahr für sie dar“. Das funktioniere auch in Frankreich, der Schweiz oder den USA.

Roland Stimpel vom FUSS e.V. will dagegen vor allem ausreichend lange Grünphasen für Fußgänger. „Es gibt viele Ampeln, die nur mit mehr als zehn Stundenkilometern Lauftempo bei Grün überquert werden könnten“, sagt er. Doppelt so schnell wie erwachsene Fußgänger laufen – und dreimal so schnell wie viele Senioren. Eine solche Ampel befindet sich etwa an der Schönhauser Allee/Stargarder Straße. Sie zeigt mitunter nur eine Sekunde Grün, so können Fußgänger gerade die Mittelinsel der Allee erreichen.

FUSS e.V. will Grünpfleil für rechtsabbiegende Autos abschaffen

An solchen Stellen soll es nach dem Willen von FUSS e.V. künftig eine „Grüne Welle für Fußgänger“ geben – ohne Warten auf Mittelinseln. Auf Grün sollten Fußgänger zudem generell „deutlich unter einer Minute“ warten müssen.

Auch die Grünpfeil-Blechschilder für rechtsabbiegende Autos will FUSS e.V. abschaffen. Sie seien gefährlich, hier gebe es im Schnitt 45 Prozent mehr Unfälle als an anderen Ampeln. Die meisten Autofahrer würden an einem solchen Pfeil nicht wie vorgeschrieben bei Rot zunächst stoppen, sondern durchfahren – auch wenn Fußgänger Grün hätten.

Zu guter Letzt fordert FUSS e.V. möglichst oft „Rundum-Grün“ nach dem Vorbild der Kreuzung Kochstraße/Friedrichstraße am Checkpoint Charlie. „So funktionieren die größten Kreuzungen der Welt, zum Beispiel der Oxford Circus in London“, so Stimpel. 80.000 Fußgänger würden ihn täglich überqueren – bei Grün in alle Richtungen zugleich und unfallfrei.

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