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Roland Georgieff (links) bei der Arbeit im Shafir-Krankenhaus im Gazastreifen.

© Promo

Berliner Arzt im Kriegsgebiet: Die Helden von Gaza

Als Teil eines Teams von Ärzten arbeitete der Berliner Anästhesist Roland Georgieff in der größten Klinik im Gazastreifen. Die ersten Eindrücke waren ein Schock für den 47-Jährigen.

Der Junge war acht Jahre alt, Roland Georgieff sorgte dafür, dass er ohne Schmerzen starb. Er dosierte das Narkosemittel in der nötigen Menge; für ihn, den Anästhesisten, in diesem Moment eine routinierte Handbewegung.

Der emotionale Absturz kam später, am Abend. Georgieff hat schon Menschen aus zerquetschten Autos geholt, er hat verbrannte Kinder behandelt, aber dieser Achtjährige war nicht bloß verbrannt, er hatte auch noch grausame Schusswunden. „So etwas hatte ich noch nie gesehen“, sagt Georgieff.

Am Abend fühlte er sich so elend wie seit Jahren nicht mehr. Georgieff telefonierte mit seiner Partnerin, einer Ärztin, erst danach fühlte er sich entlastet. Ende seines ersten Arbeitstags im Gazastreifen.

Er hatte sich freiwillig gemeldet, „Ärzte ohne Grenzen“ schickte den 47-Jährigen ins Shafir-Krankenhaus, die größte Klinik im Gazastreifen. Georgieff reiste vor drei Wochen ein. Da hatte der Krieg schon begonnen, und der Facharzt Georgieff, eigentlich beschäftigt bei einer Venenklinik in Steglitz, fand sich plötzlich in einer ganz neuen Welt wieder. Einen Tag vor seiner Abreise hatte er bei der Hochzeit seines besten Freundes gefeiert, kurz darauf rumpelte er in einem Jeep des Internationalen Roten Kreuzes vorbei an zerstörten Häusern, halbverhungerten Eseln und Trümmerfeldern, in denen jedes menschliche Leben verschwunden blieb.

„Das war der größte Schock“, sagt Georgieff, „unglaublich, ungeheuerlich“. Jetzt ist er wieder in Berlin, 14 Tage Gaza liegen hinter ihm, und die Eindrücke haben sich im Gedächtnis festgesetzt.

Die Mediziner von „Ärzte ohne Grenzen“ wohnen in einer Art Stadtvilla gleich neben dem Shafir-Krankenhaus. Am Abend seiner Ankunft saß Georgieff mit anderen zusammen, als alle plötzlich unter den Tisch flüchteten. Eine Bombe hatte in kurzer Entfernung eingeschlagen. „So nah war es noch nie“, raunten jene, die schon länger da waren.

Der Arzt aus Steglitz hatte sich medizinisch auf den Einsatz vorbereitet. Jetzt wusste er, was ihn psychisch erwartete.

Das Krankenhaus gilt militärisch als Tabu-Zone

Das Shafir-Krankenhaus besitzt rund 500 Betten, zehn OP-Säle, hoch qualifizierte Ärzte und Pfleger sowie eine riesige Rettungsstelle. Die Israelis kennen seine Koordinaten, die Klinik gilt als tabu für Angriffe, „aber sicher kann man sich nicht sein“, sagt Georgieff. So wie umgekehrt nie sicher ist, ob die Hamas davor zurückschreckt, ein Krankenhausgelände als Abschussbasis für Raketen auf Israel zu gebrauchen.

Der Lärm von Detonationen und Maschinengewehrfeuer gehört dazu wie das Piepsen der Geräte auf der Intensivstation. Am zweiten Tag, sagt Georgieff, sei er mental angekommen. Da war er ganz Arzt, zuständig für die Patienten in der Station für Verbrennungsopfer. Er überwachte die Narkose, arbeitete auf der Intensivstation, gab Pflegern Tipps. Immer dabei war seine Dolmetscherin, eine 30-jährige Pharmazeutin aus Gaza. „Sie war Gold wert“, sagt Georgieff. Aber die Art der Verletzungen, die waren keine Routine für den Arzt aus Steglitz. Diese Mischung aus Verbrennungen und furchtbaren Schussverletzungen, die kannte er nicht.

Die Ärzte und Pfleger aus Gaza, sagt Georgieff, „das sind die wahren Helden“. Die Ärzte sind im Ausland ausgebildet, sie kommen zurück, obwohl sie wissen, dass sie Gaza nicht verlassen dürfen. Die Hamas und die Israelis verhindern es. Diese Mediziner haben ihre Familien im Gaza-Streifen, sie kümmern sich nicht bloß um ihre Patienten, sie müssen auch an ihre Kinder, an ihre jeweilige Ehefrau denken. Georgieff hat erlebt, dass ein Arzt an einem Tag mal nicht gekommen ist. "Ich musste mich um meine Familie kümmern", sagte er später. Viele wohnen in der Nähe der Klinik, das ist sicherer. Oft aber übernachten Ärzte und Pfleger auch im Krankenhaus. Aus Zeitnot, manchmal aber auch aus Gründen der Sicherheit. Und manchmal ist das Krankenhaus, gefühlt, die bessere Adresse als die eigene Wohnung. "Ich habe in der Klinik besser geschlafen als im eigenen Bett", hat ein Arzt mal zu dem Kollegen aus Berlin gesagt.

„Aber sie haben das Gefühl, helfen zu müssen. Da denkt keiner an freies Reisen“, sagt Georgieff. Alle arbeiten ohne Lohn, auch Georgieff verdiente nichts. Schon nach vier Tagen sagten die Pfleger zu ihm: „Gute Arbeit, Dr. Roland.“ Georgieff konnte sich kein Mensch merken. "Du hast sehr schnell Akzeptanz erhalten", sagte mal Georgieffs Dolmetscherin lobend zu ihrem Kollegen.

Die medizinische Versorgung ist auf hohem Niveau

Niemanden stört es, dass das OP-Personal Straßenschuhe trägt, niemanden stört es, dass in jedem OP-Saal zwei Patienten unters Messer kamen, wenn zu viele Patienten eingeliefert wurden. Die Flure sind voll mit Betten. Der Kern der Versorgung ist auf hohem Niveau, das zählt. Medikamente und Geräte sind ausreichend vorhanden, wenn auch in bunter Mixtur, weil es Spenden aus aller Welt sind. Zwei Generatoren sorgen für Strom, sollte mal die öffentliche Versorgung mit Energie ausfallen. Nur das Wasser ist versalzen und muss destilliert werden.

Als Georgieff abreiste, hatte er das Gefühl großer Befriedigung. Er hatte geholfen, er hatte sein Wissen weitergegeben. Und so lange er der Arzt Georgieff war, so lange hatte er mit dem Tunnelblick funktioniert. Aber dann kam der Moment, in dem er endgültig rausgerissen wurde aus dieser Welt. In dem er eintauchte in eine andere, die ihm nach 14 Tagen Gaza „sehr bizarr und völlig absurd“ vorkam. Es war der Moment, als ihn die Stewardess im Flugzeug fragte: „Wollen Sie Tee oder Kaffee?“

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