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Der Bettenturm der Charité in Berlin-Mitte.

© imago images/Jürgen Ritter

Update

Universitätsklinik und Vivantes ziehen Bilanz: Berliner Charité macht trotz Coronakrise nur 1,3 Millionen Euro Minus

Die Charité versorgt die schwersten Covid-19-Fälle – und kommt mit Zuschüssen von Bund und Berlin durch die Pandemie. Härter trifft es die Vivantes-Kliniken.

Die Charité hat das erste Pandemiejahr mit vergleichsweise geringem Minus abgeschlossen - dank Corona-Zuschüssen der Bundesregierung und des Berliner Senats. Europas größte Universitätsklinik machte 2020 ein Minus von lediglich 1,3 Millionen Euro.

Dieser Verlust ist angesichts von 2,2 Milliarden Euro Umsatz aus Krankenkassen-Honoraren, Drittmitteleinnahmen und staatlichen Investitionen gering. Zumal die landeseigene Charité wie die meisten Krankenhäuser in der Coronakrise fortlaufend Einnahmeausfälle in Millionenhöhe verbucht. Dies deshalb, weil reguläre, planbare Operationen verschoben wurden - dabei sind dies oft jene Behandlungen, die von den Krankenkassen auskömmlich vergütet werden.

Der Charité entgingen allein im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 schätzungsweise mehr als 44 Millionen Euro Einnahmen. Zusammen mit 30 Millionen Euro, die pandemiebedingt für Geräte, Schutzmaterial und Umbauten ausgegeben wurden, verzeichnete das Großkrankenhaus schon vor der zweiten Welle fast ein 75-Millionen-Euro-Minus. Ab Herbst 2020 sowie in der aktuellen dritten Welle dürften ähnlich hohe Verluste dazugekommen sein.

Charité-Vorstandschef Heyo Kroemer sprach am Freitag von "einer der schwersten Gesundheitskrisen der letzten Jahrzehnte" - und davon, dass sich "die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen fundamental geändert" hätten. Wiederholt forderte Kroemer, "Lehren" für künftige Epidemien zu ziehen.

Charité-Vorstand ordnete im Winter einen "Notbetrieb" an

Alle Krankenhäuser wurden im März 2020 aufgefordert, planbare Operationen zu verschieben, um Betten und Personal für mögliche Corona-Fälle zu schonen. Im Sommer 2020 entspannte sich die Lage, zur zweiten Welle aber füllten sich die Stationen erneut rasch mit Corona-Fällen. Der Charité-Vorstand sprach im Winter 2020 von einer "nie erlebten Belastung" der Mitarbeiter und ordnete über Wochen einen "Notbetrieb" an.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte in der ersten Welle den Krankenhäusern 560 Euro am Tag für jedes ausgestattete Bett versprochen, das für Covid-19-Patienten freigehalten wird. Weil an den Hochschulkliniken die aufwendigsten Fälle versorgt werden, forderten deren Vorstände höhere Pauschalen. Vor der zweiten Welle stimmte Spahn dann 760 Euro Freihaltepauschale pro Tag in der Universitätsmedizin zu. Neben Bundesmitteln gab es für 2020 noch 50 Millionen Euro vom Senat.

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"Die Charité hat in der Vergangenheit ihre herausragende Leistung in Lehre, Forschung und Versorgung immer wieder unter Beweis gestellt, aber im Pandemiejahr 2020 hat sie sich selbst noch übertroffen", sagte Bürgermeister Michael Müller (SPD), der zugleich Wissenschaftssenator und Charité-Aufsichtsratschef ist. "Unter schwierigsten Bedingungen hat die Charité erfolgreich Kurs gehalten und eine zentrale Rolle in der Bewältigung der Pandemie in Berlin und bundesweit übernommen."

Die Charité ist Berlins einziges Level-I-Krankenhaus. Damit ist gemeint, in der landeseigenen Hochschulklinik werden die schwersten Covid-19-Fälle der Hauptstadtregion behandelt. Derzeit liegen circa 90 Corona-Patienten auf Charité-Intensivstationen, zum Höhepunkt der Pandemie um die Jahreswende waren es 160.

Konzernweit sogar ein Plus von 5,6 Millionen Euro

Senatschef Müller und die Bundesregierung unterstützten die Charité zuletzt mit hohen Investitionen, mit der Hochschulklinik im Zentrum soll Berlin zur internationalen Medizinmetropole ausgebaut werden. Die Charité verfügt über drei Campusse in Mitte, Wedding, Steglitz, dazu einem Forschungsstandort in Buch und zusammen 3000 Betten. Gemeinsam mit Tochterfirmen beschäftigt die Charité 19.000 Mitarbeiter. Den konzernweiten Abschluss, also die Bilanzen aller Tochterfirmen einbezogen, gibt der Vorstand mit 5,6 Millionen Euro Plus an.

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Die Charité selbst, also der Krankenhaus- und Unibetreib im engeren Sinn, aber schließt nach neun Geschäftsjahren erstmals wieder mit einem Minus ab. Allerdings sind die Plus-Bilanzen der vergangenen Jahre (so 0,1 Millionen Euro 2019 und 0,8 Millionen Euro 2018) angesichts der Milliardenumsätze immer äußerst gering gewesen - zumindest im Vergleich mit gewinnorientierten Kliniken privater Konzerne.

Ärzte und Pflegekräfte kritisieren, dass öffentliche, dem Gemeinwohl verpflichtete Krankenhäuser überhaupt derart knapp wirtschaften müssen. Insbesondere aus der Kritik an den umstrittenen Fallpauschalen entstand eine "Krankenhaus-Bewegung", die auch auf den Charité-Stationen zahlreiche Unterstützer hat.

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Laut Gesetz werden Personal und Medikamente von den Krankenkassen bezahlt, deren Gelder über sogenannte Fallpauschalen abgerechnet werden. Dabei werden die Kliniken letztlich pro Diagnose bezahlt. Einzelne Diagnosen sind auskömmlich vergütet, andere erfordern mehr Personal und Ressourcen als die Versicherungsgelder decken.

So erstatten die Kassen den Aufwand für die ambulanten Fälle in den Rettungsstellen - wie es sie in Berlin massenhaft gibt - nicht angemessen. Gerade Kliniken, die sich ihre Patienten kaum aussuchen können, machen deshalb Verluste. Das betrifft neben den kirchlichen und gemeinnützigen Krankenhäusern auch die landeseigenen Vivantes-Kliniken.

Die Vivantes-Kliniken verzeichnen 30 Millionen Euro Verlust

Vivantes ist Deutschlands größte kommunale Klinikkette und verzeichnet bei 1,5 Milliarden Euro Umsatz für vergangenes Jahr 30,5 Millionen Euro Verlust. Zuvor hatte der Senat 30 Millionen Euro coronabedingter Zusatzkosten bezahlt.

In seinen neun Krankenhäusern betreibt Vivantes fast 5900 Betten. Doch auch Vivantes konnte 2020 deutlich weniger reguläre Behandlungen durchführen. Die Vivantes-Kliniken versorgten bislang die meisten Covid-19-Patienten Berlins, sowohl auf Normal-, als auch auf Intensivstationen.

Trotz der klammen Lage investiert der Vivantes-Vorstand derzeit Millionensummen, insbesondere im Klinikum Neukölln. Demnächst, so der Plan, sollen die Krankenhäuser in Reinickendorf und Schöneberg modernisiert werden. Senatschef Müller möchte, dass Vivantes und Charité im Sinn der erwähnten Medizinmetropole "Gesundheitsstadt 2030" eine Dachgesellschaft bilden.

Zusammen versorgen die beiden Landesunternehmen fast 50 Prozent aller Berliner Krankenhauspatienten. Beide Klinikkonzerne suchen dringend Pflegepersonal. Gesundheitsminister Spahn hatte das Geld für die Pflege dem System der Fallpauschalen entzogen. An der Pflege müssen Kliniken nun formal nicht mehr sparen - am eklatanten Mangel von Fachkräften ändert das zunächst wenig.

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