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Munter mobil. Martina Ims stemmt bei der Firma Megaphon am Erkelenzdamm 59-61 in Kreuzberg vieles, darauf ist Geschäftsführer Jannis Tsialtzoudis stolz. Fotos: Kai-Uwe Heinrich

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Mendelssohn-Preis: Kreuzberger Megaphon GmbH erhält Medaille

Marina Ims ist Empfangskomitee, Gastgeberin, gute Fee – und zu 100 Prozent schwerbehindert. Und doch nicht beeinträchtigt. Ihr Arbeitgeber, die Kreuzberger Megaphon GmbH, erhielt die Franz-von-Mendelssohn-Medaille von IHK und Handwerkskammer.

Wer hinauf zu Megaphon will, in ein Kreuzberger Hinterhofloft nicht weit vom Böcklerpark, kommt an der Empfangsdame Marina Ims, IV. Stock, kaum vorbei. Die stellt im Glaskasten der Etage gewissermaßen Madame Megaphon dar, das Willkommensgesicht der GmbH. Marina Ims sitzt im Rollstuhl. Sie trägt ein Telefonisten-Headset, regelt Besucherandrang, erledigt Buchhaltungsvorarbeiten, pflegt Kontaktdaten ihres Unternehmens und agiert als Gastgeberin, wenn in Räumen rund um ihr Aquarium Vernissagen starten.

Darüber hinaus ist sie 100-prozentig schwerbehindert, ist seit acht Jahren von einer Behinderten-Werkstatt für Megaphon abgesandt auf einen „ausgelagerten Arbeitsplatz“. Das verleiht ihr arbeitsrechtlich besseren Schutz, und für die Firma ist es gesellschaftlicher Einsatz zum eigenen Vorteil. Das nennt man unternehmerisches Engagement, „Corporate Social Responsibility (CSR)“.

Megaphon existiert seit 1997

Andere behinderte Kollegen – mehr als ein Fünftel vom 30 Köpfe-Team des Tonträger-Handels –, sind regulär angestellt. So gibt es einen schwerbehinderten Geschäftsführer mit Diabetes, einen sprachbehinderten Hauptbuchhalter, der hier Lehrling war, und fünf seinerzeit „benachteiligte“ Ex-Azubi, die einen Dauerjob erhielten. Es wird auch mal bei der Wohnungssuche geholfen. Megaphon existiert seit 1997.

Eine Drehscheibe: für exotische CD, das größte, und Vinyl, das verblüffend wachsende Segment, sowie DVD, Blue Ray, Kassetten, die selten zu den TOP 100 zählten, aber sonst manchmal nur jwd, etwa in Japan, aufzutreiben sind. Man dealt mit großen und kleinen Händlern weltweit, kauft vom einen, verkauft dem anderen. Was kommt, wird in Regale sortiert, kontrolliert, verpackt, verschickt, bis zu 70 Versendungen pro Tag, aus 1400 Quadratmetern auf zwei Etagen. Prokurist Jens Zack sagt, man halte das im Kreuzberger Umfeld für „total selbstverständlich. Megaphon-Chef Jannis Tsialtzoudis hat selbst Diabetes Typ 1 und er sagt: „Meine Krankheit hat mich sensibilisiert.“

Als Sozialstation versteht sich Megaphon nicht

Die Belegschaft trägt alles mit; sicher habe es anfangs auch geknirscht, es falle ja „schon mal ein Handschlag mehr an“. In 100-jährige Fahrstühle wurden Sicherungssysteme mit Innen- und Außenschloss eingebaut, Behinderten-WC installiert und eine barrierefreie Küche, für deren Ausbau Mitarbeiter der VIA Werkstätten, mit Handicaps, eingesetzt waren. VIA-Designer veranstalten auch Ausstellungen bei den Platten-Händlern, treffen sich mit ihnen zum Fußballturnier, angefeuert von Cheerleaderin Ims.

„Ich lass auf die Jungs hier nichts kommen," sagt diese. Im Glaskasten hängt ein Gedicht von ihr, „weil die mich hier so aufgenommen haben“. Kürzlich erhielt Megaphon die Franz-von-Mendelssohn-Medaille der Industrie- und Handelskammer IHK und der Handwerkskammer Berlin, mit der „Bürgersinn und Hilfsbereitschaft“ mittelständischer Firmen gewürdigt werden. Es folgte der Annedore-Leber-Preis, den der Verein Berufsbildungswerk Berlin für Verdienste bei der Integration junger Behinderter verleiht.

Als Sozialstation versteht sich Megaphon dabei gar nicht, aber ein bisschen stolz ist man doch, in der hippen Berliner Musikbranche, die 1800 Firmen zählt und zuletzt sogar einen Kulturstaatssekretär hervorbrachte, Pionier-Lorbeern zu ernten.

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