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Die Mieten in Berlin steigen weiter.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Mieterverein-Geschäftsführer: "Ich will den freien Kapitalverkehr beschränken"

Rainer Wild im Interview über Modernisierungen, Wohnungsbau und warum beim Kampf gegen steigende Mieten Europa gefragt ist.

Von Hendrik Lehmann

Herr Wild, jahrelang haben Mieterverbände für die Mietpreisbremse gekämpft. Aber die Mieten steigen weiter. Ist sie gescheitert?

So, wie das Gesetz aufgebaut ist, werden die Mietsteigerungen nicht aufgehalten. Nur wenige mutige, streitwillige und versicherte Mieter hatten bislang etwas von ihr. Sie muss deshalb reformiert werden. Und langfristig sichergestellt. Denn sie ist auf fünf Jahre begrenzt, bis 2020. Und die Bundesregierung macht keine Anstalten, sie zu verlängern.

Wie müsste sie angepasst werden?

Damit sie wirkt, müssen die meisten Ausnahmen abgeschafft werden. Ein großer Teil der Vermieter versucht über solche Lücken, die Notsituation der Wohnungssuchenden auszunutzen und an der Mietpreisbremse vorbei höhere Mieten zu erhalten. Dafür braucht es Sanktionen, zum Beispiel in Form von Bußgeldern bis zu 100.000 Euro.

Um welche Ausnahmen geht es Ihnen?

Beispielsweise, dass ein Vermieter Mieten oberhalb der Bremse nehmen darf, wenn diese schon vom Vormieter gezahlt wurden. Und viele Vermieter behaupten, die Überschreitung der Bremse sei wegen Modernisierung gerechtfertigt, können oder wollen diese Kosten aber nicht nachweisen. Zum Beispiel Akelius, ein schwedischer Investor. Da finden Sie Quadratmeterpreise von über 30 Euro. Angeblich wegen Modernisierung. Doch bei Besichtigung einer Parterrewohnung war klar, dass das Gesamtgebäude gar nicht entsprechend renoviert war. In der Wohnung müssten die Wasserhähne vergoldet worden sein, um auf so einen Betrag zu kommen.

Aber bei Bestandsmietern geht das nicht so einfach, oder?

Hier erhöhen viele die Miete falsch. Ein Problem liegt in der Begründung der Erhöhung. Der Vermieter kann einfach den Höchstwert des Mietspiegelfeldes nennen – statt die ortsübliche Vergleichsmiete genau zu ermitteln. Viele Mieter akzeptieren die Begründung, ohne die neue Miete selbst anhand des Mietspiegels zu prüfen.

Ist das nicht illegal?

Man hat den Eindruck, Mietpreisverstöße werden von Vermietern als Kavaliersdelikt gesehen. Will der Mieter der Mieterhöhung widersprechen, muss er die ortsübliche Vergleichsmiete selbst prüfen. Einer Mieterhöhung sollte man dann nur bis zur selbst ermittelten Miete zustimmen. Dass viele das nicht tun, ist einer der Gründe, warum sich ein immer höherer Mietenschnitt durchsetzt.

Mit welchen Problemen kommen Mieter noch besonders häufig?

Modernisierungen. Laut unserer Untersuchung führten Modernisierungen im letzten Jahr im Schnitt zu einer Erhöhung um 2,45 Euro pro Quadratmeter monatlich. Bei einem Mietenschnitt von sechs bis sieben Euro ist das sehr viel. Zwei Drittel davon ist auf die Kosten der energetischen Sanierung zurückzuführen.

Haben nicht auch die Mieter was davon, wenn ihr Haus besser isoliert ist?

Leider sinken die Heizkosten nur zu einem kleinen Teil! Sonst wäre das ja auch im Interesse der Mieter. Im Schnitt sparen die Leute jährlich 200 Euro Heizkosten, zahlen aber 1200 Euro mehr Miete. Die üblichen Maßnahmen bringen auch für den Klimaschutz nicht viel. Stattdessen verlässt nach unseren Erhebungen ein Drittel der Mieter bei Modernisierung ihre Wohnung.

Fallen bestimmte Akteure dabei besonders auf?

Neben extrem renditeorientierten kleineren Investoren sind es die großen Player Deutsche Wohnen und Vonovia, die sich insbesondere seit der Finanzkrise in den Berliner Wohnungsmarkt mittels Share-Deals eingekauft haben. Wegen der Niedrigzinspolitik können sie derzeit viel Geld billig leihen und bekommen dann durch Modernisierungsumlagen ihre Investitionen vom Mieter bezahlt. Und wenn das immer noch nicht reicht, wandeln manche das Haus in Eigentumswohnungen um.

In Milieuschutzgebieten geht das nicht. Dort dürfen die Wohnungen sieben Jahre nach einer Umwandlung nur an die Mieter verkauft werden.

Eigentlich sollte die Umwandlung bei Milieuschutz ganz ausgeschlossen sein. Aber eine weitere Ausnahme bringt clevere Investoren auf den Plan. Sie bieten dem Mieter eine Rauskaufprämie von rund 20.000 Euro. Dann gehen viele. Danach verkaufen sie die Wohnung an jemanden mit der Auflage, vorher einen Mietvertrag für einen Monat abzuschließen. Damit wird die Wohnung an einen Mieter verkauft und schon ist alles erlaubt.

Sie besitzen selbst eine Immobilie. Würde es den Markt entspannen, wenn mehr Mieter Eigentümer ihrer Wohnungen werden?

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Eigenheime. Aber in bestehenden Mehrfamilienhäusern sehe ich die Eigentumsbildung kritisch, wegen der Verdrängung der Mieter. Im Neubau ist das unproblematischer.

Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins.
Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins.

© Kai-Uwe Heinrich

Also wäre Neubau die Lösung auf die Wohnungskrise?

Nein, denn nicht jeder Neubau hilft. Die Preissteigerungen sind zu eklatant. Der größte Wohnungsmangel besteht bei Haushalten mit mittlerem und unterem Einkommen. Von den 20.000 Baugenehmigungen für Wohnungen pro Jahr sind aber nur 3000 bis 3300 für Sozialwohnungen. Vorrangig werden Eigentumswohnungen und hochpreisige Mietwohnungen errichtet. Die Bundesregierung denkt, zehn bis 15 Prozent preisgünstiger Neubau reichen. Aber in Berlin müssten es aktuell mindestens 50 Prozent sein.

Wer soll diese Wohnungen bauen? Die Stadt selbst?

Wir haben inzwischen Kosten von 1400 bis 3000 Euro pro Quadratmeter Bauland im innerstädtischen Bereich. Auch mit einem stadtweiten Vorkaufsrecht für Grundstücke könnten städtische Wohnungsunternehmen außerhalb ihrer eigenen Grundstücke bei den hohen Preisen keinen sozialen Wohnungsbau darauf errichten. Und selbst, wenn man die Grundstücke enteignen würde, wäre das kompliziert. Denn die Besitzer müssten zu marktüblichen Preisen entschädigt werden. Also würde die Kommune viel Geld an Spekulanten und sonstige Eigentümer zahlen.

Wenn es aber keine Lösung ist, dass Mietern nicht mehr Berlin gehört und auch die Mietpreisbremse nicht funktioniert, was dann?

Die Frage ist, ob dieses weltweit vagabundierende, renditeorientierte Kapital auf den Wohnungsmärkten richtig aufgehoben ist? Durch die Globalisierung und Finanzialisierung wächst der Druck auf die Wohnungsmärkte immer weiter. So lange dieses Kapital da ist, wird sich das politisch schwer regeln lassen. Bis dahin helfen in erster Linie die konsequente Verbesserung des Mieterschutzes, ein gemeinwohlorientiertes Bau- und Planungsrecht und die Einführung einer neuen Gemeinnützigkeit.

Deutschland kann den Kapitalverkehr innerhalb der EU aber nicht beschränken.

Das ist deshalb ein gutes Thema für die anstehende Europawahl. Ich wüsste nicht, warum die Bewohner von Paris, Madrid oder Amsterdam da sonderlich anderer Meinung sein sollten als die Berliner. Da gehört diese Debatte hin.

Wollen Sie die Niederlassungsfreiheit auch abschaffen?

Nein, aber den freien Kapitalverkehr beschränken. Dass die gleiche Freiheit fürs Kapital gelten muss wie die Niederlassungsfreiheit für Menschen, bezweifle ich. Erst durch eine Änderung der Maastricht-Verträge, durch Regulierungen des Kapitalverkehrs, würde der Grundstein für ein gemeinschaftliches soziales Europa gelegt werden. Wenn wir das nicht schaffen, wird es schwer, Europa zu retten.

Reiner Wild, Jahrgang 1954 aus Hannover, ist seit 1981 beim Berliner Mieterverein tätig und seit Dezember 2009 dessen Geschäftsführer. Er wohnt mit seiner Familie in Steglitz.

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