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Die Kreuzberger Schwulen-Bar wurde unerwartet zum Modelabel.

© DPA

Berliner Nachtkultur: Zürcher Modelabel vermarktet Logo einer Kreuzberger Schwulen-Bar

Die Bar "Ficken 3000" schlägt nun zusammen mit Berliner Label "Muschi Kreuzberg" zurück und bringt eigene T-Shirts mit Vetements-Logo auf den Markt.

Vor etwa einem halben Jahr brachte das Zürcher Hype-Modelabel Vetements ein spezielles T-Shirt auf den Markt. Darauf abgedruckt waren Name und Logo der Kreuzberger Bar „Ficken 3000“ samt Leitmotiv „share the blame“, zu Deutsch etwa „teile die Schuld“. Die konzeptuelle Idee dahinter: man nehme eine Ikone der Schwulenszene – das Ficken 3000 – und kontrapunktiere sie mit einem mutmaßlich gegensätzlichen Klischee.

Das Design des T-Shirts soll nämlich Stilmerkmale von Heavy-Metal-Merchandise aufgreifen, was beide Seiten wohl aus ihren vermeintlich eingefahrenen Gegengleisen heben soll. Weil Schwule natürlich niemals Heavy Metal hören und männliche Heavy-Metal-Hörer strikt heterosexuell orientiert sind. Natürlich ist das nicht der Fall, das Konzept hinkt also durch kulturelle Blindheit auf mindestens einem Bein.

Etwas anderes hinkte auch von Anfang an hinterher: der Anruf bei Ficken-3000-Betreiber Frank Redieß mit der Bitte um Erlaubnis der Benutzung seines Namens und Logos, das Aufsetzen einer schriftlichen Vereinbarung über die Nutzung, ganz zu schweigen von einer Erlösbeteiligung, kurz: den ganzen formal-rechtlichen Akt hat man sich bei Vetements einfach gespart – vielleicht weil man meinte, dass die vom Ficken 3000, ausgerechnet die, sich schon nicht so haben würden. Hatten sie aber und klagten bald vor Gericht gegen Vetements. Der Prozess läuft noch.

Zürcher Label Vetements wurde in die Logos von Berliner Institutionen und Firmen eingearbeitet.
Zürcher Label Vetements wurde in die Logos von Berliner Institutionen und Firmen eingearbeitet.

© s: instagram.com/muschi_kreuzberg

Den Spieß umdrehen

Außerdem stellten sie sich in einer Allianz mit dem Berliner Label Muschi Kreuzberg neu auf und entwarfen eine Kleinserie von T-Shirts, die mit dem Vetements-Namen dasselbe tut, was Vetements mit den Namen anderer unternimmt. Dabei wird Vetements mit anderen bekannten Logo-Designs kombiniert. So wird etwa aus Hertha BSC Vetements BSC, aus der U-Bahnlinie U8 die V8, aus Schultheiss Vetements, und so weiter. Eine ironische Kopie des, Achtung, „Original“-Vetements T-Shirts mit Ficken-3000-Logo ist ebenfalls darunter, nur lautet der Schriftzug jetzt „Vetements 3000 – share the blame“ – was der Schuldzuweisung im Leitmotiv eine neue Wendung verleiht.

Die Argumentation dahinter: Ficken 3000 und Muschi Kreuzberg wollen Stellung gegen den Ausverkauf der Berliner Nachtkultur beziehen. Die Anschuldigung ist nicht nur die der persönlichen Musterschutzverletzung. Vielmehr gehe es darum, einer Tendenz Einhalt zu gebieten, bei der relativ kapitalstarke Unternehmen wie Vetements ohne lokale Glaubwürdigkeit aus dem Image dieser Kultur Profit schlagen.

Und dies ohne diese Kultur daran zu beteiligen, während in Berlin die einschlägigen Clubs und Bars, die dieses Image aufgebaut haben, zunehmend aussterben. So gesehen ist es auch durchaus schlüssig, dass man bei der Konzeptfindung nicht wirklich eigene Ideen entwickelt, sondern quasi in Rückkopplung Vetements billig kopiert.

T-Shirt als Eintrittskarte für Ficken 3000-Party

Apropos billig: Die „Ficken 3000 x Muschi Kreuzberg“-Shirts kosten 36 Euro das Stück, einige Modelle waren am Donnerstagnachmittag im Online-Shop von Muschi Kreuzberg bereits ausverkauft. Alle Shirts sollten als Eintrittskarte für eine Party im Ficken 3000 am heutigen Freitagabend gelten, doch die Party wurde kurzfristig abgesagt. Das Original-Vetements-T-Shirt war übrigens für 625 Euro zu haben und enthielt keinen freien Eintritt zu irgendwas.

Vetements als trendige Clubshirts.
Vetements als trendige Clubshirts.

© s: instagram.com/muschi_kreuzberg

Was soll man nun von alledem halten? Einerseits ist da das Zürcher Modelabel, das eines von vielen Modelabels ist, die mit demselben Geschäftsmodell arbeiten: Verknappung einer mehr oder weniger avantgardistisch anmutenden Ware und Preisexorbitanz sind auf dem Markt lange bewährt. Schon im 19. Jahrhundert analysierte Thorstein Veblen am Dandytum, das sich in dieser Exklusivität erging, den Mechanismus, der, Kritiker würden sagen, im Extremfall in einer reinen Finanzaristokratie resultiert: eine Zielgruppe, die sich heute durch nichts anderes – also nicht durch Wissen, Bildung, politische Haltung, Werte – als durch Kapital vom Rest der Gesellschaft unterscheidet.

Und im Bestreben nach speziell dieser Unterscheidung letztlich Mainstream ist. Man erkauft sich die Zugehörigkeit zu einer Subkultur, indem man explizit verschwenderisch mit seinem Geld umgeht – und schließt andere von der Zugehörigkeit aus, die den Preis nicht zahlen können oder wollen.

Demgegenüber stehen Ficken 3000 und Muschi Kreuzberg, Ritter der authentischen Berliner Ausgehkultur, die für ihre Vertreter die Stimme erheben und anderen die Legitimation, Authentizität und Zugriffsrechte auf Insignien dieser Kultur an- oder aberkennen. Auch hier geht es um Exklusivität, die nicht durch Geld, sondern Lokalität, Geschichte und kulturelle Verankerung hergestellt wird.

Die Shirts sollten als Eintrittskarte gelten.
Die Shirts sollten als Eintrittskarte gelten.

© s: instagram.com/muschi_kreuzberg

Am Ende nur vulgärer Nachgeschmack

Der Gestus beider Seiten ist also vergleichbar und man könnte sich zu diesem Schlusssatz hinreißen lassen: Am Ende hinterlässt das alles eigentlich nur einen vulgären Nachgeschmack. Und weil das lateinische „vulgo“ nichts anders heißt als „gewöhnlich“, ist der Wunsch nach Zugehörigkeit zu exklusiven Gruppen eben einfach gewöhnlich. Allerdings wäre auch dies eine auf mindestens einem Auge blinde Betrachtung. Denn es herrscht zwischen den zwei Parteien kein Kräftegleichgewicht, keine Waffengleichheit. Das heißt: wie auch immer sich die im Verhältnis kapitalschwächere Kultur gebiert, die kapitalstärkere erweist sich als die de facto und de jure mächtigere.

Während Vetements weiterhin Shirts verkaufen werden, die das doppelte des monatlichen Hartz-IV-Satzes kosten, geht in Berlin das Bar- und Clubsterben weiter, angetrieben unter anderem durch Kapitalbewegungen auf dem Immobilienmarkt, der von den Locations profitiert, sie aber nicht beteiligt. Wessen Anwalt möchte man lieber sein?

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