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Yotribe-Gründer Stephane Roux, Leonard Witteler und Pascal Steck wollen mit ihrer App mehr bieten als Videokonferenz-Tools.

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Plaudern wie im echten Leben: Berliner Start-up entwickelt App für Online-Networking

Networking an der Bar? Ist derzeit kaum möglich. Das Start-up Yotribe hat eine neue App entwickelt: im Raum können Teilnehmer sich begegnen.

Von Corinna Cerruti

Keine vollgedrängten Räume, keine spontanen Treffen auf dem Gang, kein abendliches Networking: In diesem Jahr haben Großveranstaltungen und kleine Begegnungen das verloren, was für viele ihren Reiz ausmacht – das Zwischenmenschliche. Derzeit passiert alles nur online. Per Videostream können Teilnehmer einem Vortrag oder einer Diskussion lauschen, aber ohne Partizipation. Doch wie kann das Miteinander in der Onlinewelt gelingen?

Die Web-App „Yotribe“ soll es möglich machen: Hier können Nutzer in einem zweidimensionalen Raum miteinander videochatten. Als Kreis mit einem Avatar bewegen sie sich dort frei umher. Stehen zwei oder mehr Kreise nah genug beieinander, entsteht automatisch eine Verbindung. Die Kamera springt an und das Gespräch kann beginnen. So formen sich innerhalb des Raums mehrere Blasen, in denen sich Nutzer tummeln.

Leonard Witteler und seine zwei Mitgründer des Berliner Start-ups hatten schon länger die Idee zu der App. Die Coronakrise war ein Katalysator für Veränderungen besonders in der Arbeitswelt. Plötzlich gibt es einen hohen Bedarf an Videokonferenz-Tools.

Allein die tägliche Teilnehmerzahlen in Meetings der US-amerikanischen App „Zoom“ sind weltweit von zehn Millionen im Dezember auf 300 Millionen im April gestiegen. „Microsoft Teams“ zählte kürzlich 200 Millionen Meeting-Teilnehmer und „Google Meet“ mehr als 100 Millionen.

Die meisten Videochat-Apps sind jedoch statisch und eindimensional: Einer spricht, alle anderen schweigen. Bei mehr als sechs Teilnehmern werden anregende Gespräche zur Herausforderung. Anders mit Yotribe: hier können mehrere Unterhaltungen parallel im Raum geführt und spontan gewechselt werden – wie im echten Leben.

„Im Grunde wollen wir das, was wir offline gewöhnt sind, online ermöglichen“, erklärt Witteler. „Stellen wir uns eine Aftershowparty nach einem Event vor. Überall stehen Menschentrauben zusammen, wechseln mal hier und dort. Dasselbe passiert bei Yotribe.“

Vor allem in der Eventbranche wird die App genutzt

Seit dem 20. April ist die App online. Neben einigen Unternehmen, die über Yotribe ihre Mitarbeiter im Homeoffice verbinden, haben bisher vor allem Eventorganisatoren die App benutzt. Ralf Schmitt, Geschäftsführer der Eventagentur Impulspiloten in Hamburg, nutzt sie gerne für den „Moment an der Bar“.

Nach großen Konferenzen oder Messen freuen sich die Teilnehmer auf das gemeinsame Feierabendbier und den regen Austausch. Online ist das schwer anzubieten, Yotribe scheint diese Lücke zu füllen. „Man kann spontan in Talks gehen, sich in der Gruppe unterhalten oder zwischendurch zur Seite gehen und ein Nebengespräch führen“, sagt Schmitt.

Anders als bei gängigen Tools können sich bei Yotribe alle in Kleingruppen aufteilen und reden.

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Witteler möchte das Zwischenmenschliche mit Yotribe zurückholen: „Es geht darum, echte Erfahrungen zu machen, nicht nur passiv vor dem Computer zu sitzen und zuzuhören.“ Die Teilnehmer sollen auch online das Gefühl haben, auf einem richtigen Event gewesen zu sein.

Größere Teilnehmerzahlen möglich

Dafür soll es bei den Nutzerzahlen keine Grenzen geben. Witteler spricht von mehreren Tausend Teilnehmern, die die App gleichzeitig nutzen können. Schmitt ist da etwas zögerlicher. Seiner Erfahrung nach können 36 Nutzer in einem Raum sein. Wenn es mehr Eventteilnehmer gibt, werden mehrere Räume kreiert und nach Themen unterteilt.

Um die Übersicht bei großen Nutzerzahlen nicht zu verlieren, sollen bald weitere Features kommen. Zum Beispiel werde es möglich sein, ein Signal an andere Teilnehmer zu schicken, „dass eine Person im Raum weiß: Da hinten ist jemand, der möchte mit mir sprechen“, erklärt Witteler.

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Bisher wird die App vor allem in Deutschland genutzt, es gebe aber schon erste Testkunden in New York und Kalifornien. In den USA hat in den vergangenen Wochen eine ähnliche App aus dem Silicon Valley Aufsehen erregt: „Clubhouse“. Hier betreten Nutzer einen Audio-Chatraum, um sich mit anderen zu unterhalten oder einfach nur Gesprächen zu lauschen. Auch kann jeder einen eigenen Raum starten und dazu einladen.

Ähnlich hohes Suchtpotenzial wie bei Sozialen Medien

Da Clubhouse damit ständig verfügbar ist, scheint die App ähnliches Suchtpotenzial zu haben wie andere soziale Netzwerke. Die „New York Times“ berichtet von Nutzern, die 40 Stunden die Woche in dieser App verbringen. Jedoch ist der Kreis der Nutzer mit 1500 noch sehr gering – und exklusiv. Die Risikokapitalgesellschaft Andreessen Horowitz bewertet Clubhouse bereits mit 100 Millionen Dollar.

Yotribe habe als europäisches Produkt einen Vorteil: den Datenschutz. Und der kommt in den USA gut an, sagt Mitgründer Witteler. Apps wie Zoom waren in den vergangenen Wochen immer wieder wegen mangelnden Schutzes in der Diskussion.

Videokonferenzen anfällig für Datenschutzprobleme

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) warnt im „Handelsblatt“ vor der Nutzung von Zoom für Videokonferenzen. Er bemängelte die fehlende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Das bedeute, die Inhalte der Kommunikation lägen unverschlüsselt auf dem Server des Anbieters.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Siean dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Bei Yotribe sind alle Verbindungen zu den Servern in Deutschland verschlüsselt. An einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung arbeiten sie noch. Trotzdem haben weder Außenstehende noch Yotribe-Mitarbeiter Zugriff auf Audio- oder Videoinhalte, versichert Witteler. Auch, wenn immer mehr Lockerungen beschlossen werden, warnen Wissenschaftler vor einer zweiten Corona-Welle im Herbst.

Leonard Witteler ist überzeugt, dass sich mit der Coronakrise die Arbeitswelt nachhaltig verändert hat. Mehr Mitarbeiter werden im Homeoffice arbeiten, mehr Veranstaltungen online stattfinden. Umso wichtiger wird es, den „Moment an der Bar“ nicht aus den Augen zu verlieren.
Anmerkung der Redaktion: Das Start Up hat sich Ende 2020 in "Wonder" umbenannt. Mehr Informationen unter wonder.me.

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