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Tierheim-Katzen

© Klaas

Berliner Tierheim: Endstation Liebe

Rund 1400 Schützlinge warten im Berliner Tierheim auf neue Besitzer. Nach dem Korruptionsskandal geht es hier wieder bergauf.

Es gibt viele Herzensbrecher am Hausvaterweg in Hohenschönhausen. Aber in diesen Tagen schlagen die drei Einäugigen im „Samtpfötchen-Haus“ alle Rekorde. Georg Kasprzak hält das Trio in seinen Händen vor der Besucherschar hoch: Zwei Monate alte Kätzchen, noch dürr nach all dem Katzenjammer, den sie erlebt haben. Eine Fundsache waren sie an der Autobahn, im Pappkarton brachte man sie ins Tierheim, jedes hatte ein schwer entzündetes rechtes Auge, das nicht zu retten war. Nun sind sie schon wieder kratzbürstig und beobachten ihr Publikum mit ihren linken schmalen Pupillen, als müssten sie selbst ein Zuhause suchen. „Wer nimmt sie mit, am besten zu Dritt“, fragt der Mann mit dem grünen Tierpflegerkittel wie ein Auktionator. Aber so viel Gemaunze auf einmal ist den Interessenten, die sich hier eine Katze aussuchen wollen, denn doch zuviel.

Georg Kasprzak pflegt seit 17 Jahren herrenlose Katzen im Tierheim des Tierschutzvereines Berlin. Bis 2002 kümmerte er sich um sie am Traditionsstandort in Lankwitz (siehe Kasten), dann zog das Tierasyl in seinen heutigen großen Neubau im Hohenschönhausener Ortsteil Falkenberg um, weil man dringend mehr Platz brauchte. Doch zwei Jahre nach dem Neubeginn überschatteten Korruptionsvorwürfe gegen die Führung des Tierschutzvereines die Arbeit. Inzwischen sind neue Vorstände am Zuge, die Vorwürfe werden demnächst vor Gericht geklärt – und das Team von Europas größtem Tierheim hat nach all dieser Unruhe wieder neuen Schwung bekommen.

Seit einigen Monaten gibt es ein „Infomobil“, einen Mercedes-Bus, mit dem Pädagogen des Heimes in die Kieze fahren und Tipps zur Tierhaltung geben. Und neu im Team ist auch ein Kollege, der „Fundraising“ betreibt, indem er versucht, Sponsoren zu gewinnen. Denn die Berliner „Stadt der Tiere“ am Hausvaterweg wächst ständig, zur Zeit leben dort rund 500 herrenlose Katzen, 350 Hunde und zahlreiche Kaninchen, Meerschweinchen, Vögel oder Schildkröten. Unter dem Strich: 1400 Schützlinge. Vor fünf Jahren waren es nur halb so viele. Rund 100 feste Mitarbeiter kümmern sich darum, dass sie versorgt sind und bald wieder in gute Hände kommen. Tägliche Betriebskosten: etwa 8000 Euro. Die Hälfte davon wird für’s Futter ausgegeben.

Besonders am Freitag, wenn die Leute früher Feierabend haben, bildet sich in der Tiersammelstelle am Hausvaterweg eine kleine Warteschlange: Katzenkorb unterm Arm, Hund an der Leine – so warten sie, um ihr Tier abzugeben. „Jeder zweite“, sagt Abteilungschef Bernd Latzko, „ist inzwischen ein Hartz IV-Empfänger.“ Immer mehr Menschen werde ihr vierbeiniger Liebling einfach zu teuer. Sie versuchen, ihn loszuwerden, teils aus Scham mit vorgetäuschten Argumenten. „Dann ist eine Hundehaarallergie schuld“, weiß Latzko, „oder der Vermieter macht Stress.“ Manchmal fragen Latzko und seine Kollegen kritisch nach, doch sie wollen keine Detektive sein und geben dem Neuankömmling lieber im Computer eine Registriernummer, um ihn neu zu vermitteln.

Am Fensterbrett des lichtdurchfluteten Raumes rumoren unterdessen zwei Schildkröten in einem Terrarium. Ihr Besitzer, ein Single, hinterließ sie, als er ins Krankenhaus musste. Die Polizei hat sie im Heim abgegeben. Auch das kommt vor. Täglich bringen Beamte eingefangene Streuner vorbei, beschlagnahmte Hunde von Strafgefangenen oder Kampfhunde, deren Besitzer die Auflagen für aggressive Hunderassen wie den Leinenzwang ignorierten. Und knapp die Hälfte der angeschleppten Tiere ist krank, sie haben noch niemals einen Tierarzt gesehen. Wie zum Beispiel das Schnauzermädchen „Angie“. Dessen 20-jährige Besitzerin will sie nach drei Jahren abgeben, weil der Hund zu eifersüchtig auf ihr neugeborenes Baby reagiere. „Bisher keine Impfung, keine einzige Wurmkur“, sagt Tierärztin Anita Kapahnke.

Kapahnke betreut mit sechs Kollegen die Veterinärklinik des Tierheims. Bei mehr als 200 Hunden und Katzen machen sie Visite, operieren oder untersuchen sie mit Ultraschall und EKG. Jeder Heimbewohner, der in neue Hände kommt, wird vorher gesundheitlich durchgecheckt. Mittags um 12 beginnt Anita Kapahnke ihren Rundgang. Die schlanke Mitdreißigerin läuft einen langen, gekalkten Gang entlang. Rechts und links drückt sie die Klinken hinunter zu den Krankenzimmern ihrer Patienten. Station Nummer 1 ist ein Raum mit sechs Hundezwingern. Pfleger Hein Stephan holt jeden Bewohner einzeln heraus. „Wie bitte?“ ruft er der Veterinärin zu, manchmal versteht er ihre Anweisungen schwer, denn er hat lärmdämmende Stöpsel im Ohr. „Die sind Vorschrift“, ruft er, „das Gebell ist hier ja manchmal lauter als ein Hammerwerk.“

Henriette, ein älteres Pudelmädchen, stürzt auf die Ärztin zu. Sie ist Epileptikerin, wurde im Park vor einem Jahr aufgegriffen und bekommt eine Spritze. Dina, ein fünfjähriger Schäferhund, schleicht eher behutsam wie eine Katze zum Behandlungsplatz und schaut die Frau im weißen Kittel misstrauisch an. Sie lebte mit 30 anderen Hunden auf einem Köpenicker Grundstück und wurde mit der ganzen Gruppe wegen „Verwahrlosung“ ins Heim gebracht. Sie wird eingesalbt gegen Hautekzeme. Und dann hüpft Werner aus seinem Zwinger – der kleine Spitz, beweglich wie ein Springball, dessen Besitzer ihn nach fünf Jahren nicht mehr haben wollten, als sie sich als Paar trennten. Werner hatte Durchfall, aber es geht ihm schon sichtbar besser.

Der erfreulichste Fall war in den vergangenen Wochen allerdings die einjährige Schäferhündin Pilu mit einem angeborenen Herzfehler. Sie hatte das Glück, der 23-jährigen Kreuzberger Jurastudentin Aline Schulze im Tierheim zu begegnen, nachdem sie ihr Vorbesitzer dort wegen der Erkrankung abgegeben hatte. Die junge Frau wünschte sich seit ihrer Kindheit einen Hund, deshalb streifte sie vor zwei Monaten durch die neuen großzügigen Hundehäuser. Jedes Tier hat dort ein Außen- und Innengehege, und die Zwinger sind nicht mehr wie einst in Lankwitz an einem Flur entlanggereiht, sondern liegen sich im Rondell gegenüber. Die Tiere können sich gegenseitig beobachten, sind ausgeglichener – Aline Schulze konnte „in aller Ruhe“ jeden Kandidaten begutachten.

Doch als sie Pilu in die Augen sah, war ihr klar: „Den will ich und keinen anderen.“! Dafür hat sie inzwischen viel Zeit investiert. Denn nur die Tierklinik der Universität im hessischen Gießen konnte Pilus Herzfehler erfolgreich operieren. Der Tierschutzverein übernahm die Kosten, das neue Frauchen kutschierte Pilu mehrfach im Auto nach Gießen und blieb dort tagelang bei ihr. Nun kommen die beiden noch einmal wöchentlich zur Nachsorge zum Hausvaterweg.

Aber viele Tiere haben weniger Glück. Je älter und größer, um so schwerer sind sie zu vermitteln. In der Regel wartet ein Schützling drei bis vier Monate auf ein neues Zuhause, obwohl jede Woche hunderte Interessenten im Tierheim vorbeischauen. Der Besuch ist für sie auch eine kleine Landpartie. Am Hausvaterweg und im Dorf Falkenberg blühen die Linden, die Familien parken ihr Auto vor den langen geschwungenen Betonwänden des Tierheimes, bummeln über die großen Wiesen und an den Goldfischteichen vorbei zu den Katzen- und Hundehäusern oder den Vögeln, Exoten, Ratten, Chinchillas und Meerschweinchen. Ein Spaziergang mit Zooqualitäten. Und einem ungewöhnlichen Abschluss: Ganz hinten, an der Nordostecke des Tierheimes, liegt der Berliner Tierfriedhof. Hunderte haben hier ihren Lieblingen einen kleinen Grabstein gesetzt. Auch einer aus verblichenem Marmor steht mittendrin: „Im Gedenken an meinen geliebten Mops Willy.“

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