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Grau in grau: Der Potsdamer Platz gefällt nicht jedem.

© Getty Images/EyeEm

Berliner Verkehrsknoten: Sollte man den Potsdamer Platz besser abreißen?

Der Potsdamer Platz droht mit dem Cinestar-Kino eine Attraktion zu verlieren. Kein Problem sagt der Handel – das bringt nichts mehr, entgegnet ein Architekt.

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An vielen Tagen ist der Potsdamer Platz das genaue Gegenteil der Stadt, in der er liegt. Das beginnt bei den Äußerlichkeiten. Für Berliner Verhältnisse geht es hier vergleichsweise sauber zu – weder stolpern Passanten auf den Gehwegen über ausgemusterte Matratzen, noch muss man sich Sorgen machen, mit den Füßen in Hundekot zu treten. Tagein, tagaus herrschen hier sterile Zustände wie sonst nur an einem anderen Ort in der Stadt: auf der Intensivstation der Berliner Charité. Wer nun aber denkt, die Berliner würden die Einzigartigkeit des Platzes goutieren, denkt falsch.

Niemand in der Hauptstadt käme jemals auf den Gedanken, sich an diesem Ort zu verabreden, über den Platz zu flanieren oder den sonntäglichen Kaffeekranz hier abzuhalten. Wenn nach Feierabend die Geschäfte schließen, kehrt Friedhofsruhe ein. Den Potsdamer Platz suchen Menschen auf, die dort sein müssen – oder es nicht besser wissen. 100000 Personen frequentieren den Platz jeden Tag, der Großteil von ihnen arbeitet hier oder ist als Tourist in der Stadt.

Auf Konsum ausgelegt

Jeder Zentimeter des 68000 Quadratmeter großen Areals ist auf Konsum ausgelegt, wurde errichtet, damit Menschen hier ihr Geld ausgeben – oder welches verdienen. Kein Wunder also, dass der Potsdamer Platz einen schweren Stand in Berlin hat, in einer Stadt, in der die Kapitalismuskritik seit vielen Jahren zum elementaren Bestandteil jeder Party-Plauderei gehört. Und würden sich die jüngsten Gerüchte über eine mögliche Schließung des Cinestar-Kinos im Sony-Center bewahrheiten, trüge das sicher nicht dazu bei, den Platz populärer zu machen. Fiele mit dem Lichtspielhaus doch eine der wenigen Kulturstätten in der Gegend weg, in der sich auch die Berliner gern vergnügen.

„Eigentlich ist der Potsdamer Platz bloß eine gigantische Mall mit ein paar angeschlossenen Büros“, lästert der Architekt Steffen de Rudder, der an der Bauhaus-Universität in Weimar Städtebau lehrt. Sein Experten-Urteil fällt hart aus: „Aus stadtplanerischer Perspektive ist der Potsdamer Platz eine Katastrophe“, sagt er.

Traditionsbewusste Architektur

Dabei kann er dem Ort durchaus auch Positives abgewinnen. „An der Planung waren hochprofilierte Architekten beteiligt“, sagt er. „Nehmen wir die Terrakotta-Fassaden von Renzo Piano: Er greift damit auf Berliner Bautraditionen zurück, die sich an das Werk von Karl Friedrich Schinkel anlehnen“, lobt der Professor. „Das ist schon sehr gut gelungen und man merkt, dass sich die Architekten sehr genau mit dem Ort beschäftigt haben.“

Doch die Qualität der Architektur verschwinde hinter dem Grundproblem der Anlage, sagt de Rudder. „Schauen Sie sich die anderen, lebendigen Orte in der Stadt an: Rund um den Chamissoplatz in Kreuzberg oder den Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg sind 80 Prozent der Flächen dem Wohnen gewidmet und 20 Prozent dem Gewerbe“, sagt er. „Am Potsdamer Platz ist das Verhältnis genau umgekehrt.“

Die Schuldigen für die planerische Ödnis in der Stadtmitte sieht er nicht zuletzt in der Politik. „Die Nachwende-Geschichte des Platzes begann mit einem Skandal“, erinnert sich de Rudder an das Jahr 1990. „Ein symbolisch stark aufgeladener, weltweit bekannter Platz wurde von der Stadtverwaltung an Daimler verscherbelt. Für 1500 DM pro Quadratmeter.“ Tatsächlich musste der Autokonzern zwei Jahre später umgerechnet 33,8 Millionen Euro nachzahlen, denn den ursprünglichen Kaufpreis hielten Wettbewerbshüter für rechtswidrig.

Platz litt unter Daimler-Wegzug

Daimler hat das Gelände längst geräumt. 2007 verkaufte der Autokonzern das innerstädtische Anwesen – mit üppigem Aufschlag. 1,5 Milliarden kassierten die Stuttgarter für das Berliner Areal von der schwedischen Bank SEB. Doch auch mit dem Eigentümerwechsel wurde es nicht besser. Im Gegenteil, in den folgenden Jahren verirrten sich immer weniger Menschen an den Potsdamer Platz. Das Herzstück des Areals, die Shoppingmall, verlor an Zugkraft. Erst der Elektrohändler Saturn, dann die Buchkette Hugendubel: Viele der Ankermieter in den Potsdamer Platz Arkaden verließen in den kommenden Jahren das Einkaufszentrum.

„Als Daimler 2008 ausgezogen ist, hat das Quartier sehr stark gelitten“, erinnert sich Sebastian Beck, der Berliner Regional-Manager beim Einkaufszentrumsentwickler ECE. „Die SEB hat sehr passiv agiert und nur sehr wenig investiert. Die Flächen stammten noch aus dem Jahr 1998, waren sehr großflächig angelegt und damit auf die Bedürfnisse von Daimler zugeschnitten, nicht aber auf die Nachfrage nach kleinteiligeren Büros auf dem Markt.“

2016 dann übernahm der kanadische Immobilieninvestor Brookfield das Areal und löste den Investitionsstau auf. Offensichtlich erfolgreich: Im Herbst 2018 meldete das Unternehmen, man habe einen Vermietungsstand von über 90 Prozent im Gesamtquartier erreicht.

Mall wartet auf Modernisierung

Das Shopping-Center allerdings wartet weiterhin auf seinen Neustart. Dessen Umsetzung hat bereits begonnen: „Wir stehen mitten in der Erneuerung“, sagt ECE-Manager Beck. „Wir sind wild am Vermieten und natürlich auch wild am Entmieten.“ Die Potsdamer Platz Arkaden sollen bis 2021 umfassend modernisiert werden. Nicht zuletzt die neue Konkurrenz am Leipziger Platz, die Mall of Berlin, hat die Rundumerneuerung nach lediglich 20 Jahren Betriebszeit notwendig gemacht.

Sonnenstrahlen am Potsdamer Platz.
Sonnenstrahlen am Potsdamer Platz.

© Kai-Uwe Heinrich

Beck gibt sich optimistisch, dass die Gegend dauerhaft zwei Shoppingmalls verträgt: „Die Mall of Berlin ist eine klassische Shoppingmall“, sagt er. „Alles, was Rang und Namen hat in der Einzelhändlerwelt, ist dort vertreten.“ In den Arkaden setze man aber auf ein anderes Konzept. „Wir wollen die Arbeitswelt mit den Interessen der Touristen verbinden“, sagt Beck, denn das seien die Kundenprofile, die auf dem Potsdamer Platz dominierten.

„Im Keller wollen wir die Quartiersversorgung anbieten, vom Lebensmittelhandel über die Drogerie bis hin zum Schlüsseldienst. Im Erdgeschoss konzentrieren wir uns auf die Touristen, mit starken, internationalen Marken, die mit Flagship-Stores vertreten sein werden.“ Namen kann Beck noch nicht nennen: „Wir treffen derzeit eine Vorauswahl.“ Dass die Pläne für den Umbau des Centers aufgehen werden, daran hat Beck keine Zweifel: „Wir kommen sehr gut voran mit der Vermarktung, weil sich das Quartier sehr gut entwickelt. Der Berliner Büromarkt erlebt einen extremen Aufschwung und davon profitieren wir auch hier am Potsdamer Platz.“

Handel glaubt an Standort

Es spricht einiges dafür, dass Beck das nicht einfach nur sagt, weil er es angesichts der millionenschweren Investition seines Unternehmens in den Standort nun mal sagen muss. Etwa die Verkäuferin Thao im Kiosk an der Stresemannstraße: „Der Potsdamer Platz ist ein guter Ort für unseren Laden“, sagt die junge Frau. Ihre Eltern haben das Geschäft vor zehn Jahren eröffnet. „Damals gab es hier nichts in der Ecke“, sagt Thao. Das habe sich in den vergangenen Jahren geändert. „Es kommen immer mehr Kunden.“ Leon, ein Mitarbeiter, ergänzt: „Wir haben sogar darüber nachgedacht, unsere Öffnungszeiten abends zu verlängern.“

Kiosk-Verkäuferin Thao und Mitarbeiter Leon.
Kiosk-Verkäuferin Thao und Mitarbeiter Leon.

© JCB

Auch die jüngsten Gerüchte über die mögliche Schließung des Cinestar-Kinos im Sony-Center besorgen die Wirtschaft nicht. Es liege in der Natur der Sache, dass sich die Dinge wandeln in der Stadt, sagt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. „Wenn ein Großkino nicht mehr läuft wie erhofft, muss der Investor eben umsteuern“, sagt er. „Im Handel sind wir es gewohnt, dass Handlungskonzepte angepasst und verändert werden müssen. Das ist manchmal einfach überlebensnotwendig und nichts, was uns erschreckt.“ Der Potsdamer Platz sei mittlerweile ein wichtiger Handelsstandort: „Die Chancen stehen gut, dass sich die gute Entwicklung fortsetzt.“

Berlinale bangt

Eine Kinoschließung mag die ökonomische Zukunft des zentralen Platzes nicht bedrohen. Kulturell aber würde mit dem Wegfall des Lichtspielhauses eine große Lücke gerissen. Denn auch für die Berlinale ist der Potsdamer Platz ein entscheidender Faktor. Nach dem Niedergang der Kudamm-Kinos bietet das Ensemble aus Musicaltheater, Multiplexkinos und Filmhaus mit dem Arsenal die größte Leinwanddichte der Stadt, um den Strom der jährlich über 480000 Besucher aufnehmen zu können.

Für ein Publikumsfestival wie die Berlinale ist eine zentrale Spielstätte zudem ein wichtiger Identitätsfaktor: Am Potsdamer Platz treffen sich für zwei Wochen im Februar Filmfans aus aller Welt, um das Kino zu zelebrieren. Eine Zerstückelung auf die Kinos der Stadt würden dem typischen „Berlinale-Gefühl“ schaden.

Das Problem des Premierenfestivals besteht darin, im Gegensatz zur Konkurrenz in Cannes und Venedig mit ihren offiziellen Festivalpalästen, dass man in Berlin von mehreren privaten Kinobetreibern abhängig ist. Damit liegt die Zukunft der Berlinale in den Händen von wirtschaftlich kalkulierenden Unternehmen, die auf zwei Wochen Filmfestival im Jahr keine Rücksicht nehmen werden. Entsprechend nervös reagiert die Leitung auf die Nachricht einer möglichen Schließung des Cinestar im Sony-Center. Mariette Rissenbeek, die 2020 gemeinsam mit Carlo Chatrian erstmals das Festival leiten wird, möchte sich zu dem Thema vorerst nicht äußern. Die Unsicherheit ist ohnehin groß: Auch der Vertrag mit den Betreibern des Musicaltheaters, dem Premierenkino des Wettbewerbs, läuft 2022 aus. Und die kurzfristige Terminverlegung auf Ende Februar brachte bereits die Ausstellungsplanungen im Gropius-Bau durcheinander, wo jedes Jahr parallel zur Berlinale der Europäische Filmmarkt unterkommt.

Kommt die Abrissbirne?

Doch selbst wenn das Kino bleiben sollte, ist es fraglich, ob der Potsdamer Platz den Berlinern noch ans Herz wachsen wird. „Klar, ökonomisch ist der Ort ein voller Erfolg“, sagt Stadtplaner Steffen de Rudder. Ansonsten aber mache es der Platz den Menschen schwer, ihn zu lieben: „Das Prinzip der europäischen Stadt ist, dass der Stadtkern gefüllt wird mit Einzelhandel, Cafés, Gastronomie und Büros“, sagt er. „Am Potsdamer Platz aber findet das alles hinter verschlossenen Türen statt.“ Lösungsvorschläge? Hat er keine. „Ich weiß nicht, wie das gehen sollte, man kann den Platz ja nicht einfach umkrempeln wie eine Socke.“ Um die städtebaulichen Fehler der Vergangenheit zu beseitigen, müsste man schon etwas an der baulichen Struktur ändern. Anders ausgedrückt: Auf dem Weg in die Herzen der Hauptstädter wartet die Abrissbirne.

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