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© dpa

Berufsausbildung: Boss auf Probe

Immer mehr Unternehmen übertragen ihren Auszubildenden regelmäßig die Chefrolle – das schult Verantwortung und bringt jede Menge Erfahrungen.

Seit mehr als 300 Jahren steht in Neukölln das denkmalgeschützte, idyllische Schloss Britz – umso jünger ist dafür neuerdings das Personal im dortigen Hotel und Restaurant. Drei angehende Restaurantfachleute und zwei Kochlehrlinge im Alter von 18 bis 23 Jahren haben Anfang März die komplette Bewirtschaftung übernommen. Die Azubis stammen aus dem Hotel Estrel an der Sonnenallee, wo sie zu den Jahrgangsbesten gehörten. Nun handeln sie erstmals eigenverantwortlich und erledigen alles selbst – vom Wareneinkauf über die Buchhaltung und Kalkulation bis hin zum Kochen und Servieren. „Es macht schon Spaß, sich ein bisschen wie ein Boss zu fühlen“, lacht die 20-jährige Julia Zaides, die wie alle Lehrlinge freiwillig für vier bis fünf Monate im Schloss arbeitet.

In wenigen Tagen wollen Estrel-Direktor Thomas Brückner und der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) das „deutschlandweit einzigartige“ Pilotprojekt gemeinsam vorstellen. Es gibt in Berlin aber noch mehr Hotels, Geschäfte und andere Betriebe, die zumindest zeitweilig von Azubis geführt werden. Vom 23. bis 28. März übernehmen 65 Lehrlinge zum Beispiel den Kaiser’s-Supermarkt an der Wendenschlossstraße 306 in Köpenick.

Praxiserfahrungen: Das kommt in der Schule oft zu kurz

Die Aktion „Azubis führen einen Markt“ gebe es seit acht Jahren in allen vier deutschen Verkaufsregionen der Kaiser’s Tengelmann AG, sagt die Ausbilderin Birgit Becker. In je einem Markt arbeiten Nachwuchskräfte aus der Region zusammen. Es geht darum, „frühzeitig unternehmerisches Handeln auf der Basis von Vertrauen und Offenheit zu lernen und persönlichen Einsatz zu zeigen“, sagt Regionsmanager Tobias Tuchlensky. Die Azubis sollen eigene Ideen beisteuern. So kommt es, dass Kunden der Köpenicker Filiale ein ganz neues Einkaufserlebnis erwartet: Geplant sind ein Einpackservice an den Kassen, Verkostungen, Beratungen sowie Stände vor der Tür, an denen gegrillt und mit Blumen gehandelt wird. Auch die kulinarische Auswahl wächst: Azubis des firmeneigenen Fleischwerks Perwenitz haben für ihre Lehrlingskollegen eigens Wurst- und Fleischspezialitäten kreiert. 18 Plakate in Köpenick bewerben die Aktion. „Die Kunden finden es gut und loben, dass wir den Azubis Praxiserfahrung vermitteln“, weiß Ausbilderin Becker aus Erfahrung. Beschwerden gebe es so gut wie nie.

Durch die Führung eines Betriebs „lernen Azubis Selbstständigkeit, was in der Schule etwas zu kurz kommt“, lobt Eleonore Bausch, Bereichsleiterin für Bildungspolitik und Berufsausbildung bei der IHK Berlin. Ganz auf sich allein gestellt sind die Lehrlinge jedoch nicht: Im Schloss Britz können sie sich bei Bedarf von einem ausgebildeten Koch helfen oder von Estrel-Manager Thomas Christensen beraten lassen. Und im Kaiser’s-Markt müssen ein Fleischermeister und der Marktleiter nach Auskunft des Unternehmens aus rechtlichen Gründen anwesend sein, auch wenn sie sich so weit wie möglich heraushalten.

„Es ist erstaunlich, welche Kräfte und Fantasie Azubis entfalten, wenn man sie nur lässt – wir sind immer wieder begeistert“, lobt Annegret Franke, die Empfangschefin und Ausbildungsbeauftragte im Hotel Albrechtshof in Mitte. Das 100-Zimmer-Haus ist eines von drei Hotels der evangelischen Berliner Stadtmission. Vier Mal jährlich finden im Albrechtshof zwei „Tage der Azubis“ mit rund 20 angehenden Köchen, Hotel- und Restaurantfachleuten aus allen drei Häusern statt. „Natürlich passieren Fehler“, sagt Franke, doch handele es sich meist um Kleinigkeiten. Außerdem seien die Direktorin und die Abteilungsleiter immer dabei, um bei Bedarf einzugreifen.

Chef auf Probe – das geht nur in kleineren Betrieben

Probetage für Azubis seien in mittelständischen Hotels kein Problem, ab einer bestimmten Größe aber „nicht mehr machbar“. Lehrlinge könnten die komplizierten Abläufe in Häusern wie dem Adlon, Hilton oder Steigenberger kaum ausreichend überblicken.

Außer Kaiser’s lassen auch Reichelt und Butter Lindner einzelne Filialen immer wieder von Lehrlingen betreiben. Die Filiale der Buchkette Hugendubel im Einkaufszentrum Neukölln-Arcaden ist seit 2007 dauerhaft in der Hand von Azubis. Und auf dem BVG-Gelände am Charlottenburger Machandelweg gibt es sogar seit 1995 eine eigenständige „Juniorenfirma“ der Verkehrsbetriebe.

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Rainer Ermeling, Ausbildungsleiter: "In der Juniorfirma der BVG geht es nicht um Gewinne." -

© privat

Derzeit arbeiten zwei kaufmännische Auszubildende und ein künftiger Techniker für ein Vierteljahr in dieser Tochterfirma namens „Spektrum“, die 2008 einen Umsatz von 19.000 Euro erwirtschaftet hat. In manchen Jahren werden Gewinne erzielt, in anderen auch mal Verluste. „Gewinn zu machen, ist aber gar nicht die Aufgabe“, betont der Leiter des BVG-Ausbildungszentrums, Rainer Ermerling.

Die Juniorenfirma nimmt Aufträge von BVG-Abteilungen, aber auch von externen Kunden entgegen. Zunächst werden die Aufträge auf ihre Machbarkeit hin geprüft. Wenn alles stimmig erscheint, werden sie an den Ausbildungswerkstätten zugeleitet, wo weitere Azubis schweißen, schmieden, fräsen, Kunststoffe verarbeiten und elektronische Geräte warten. Für Wasserstoff-Busse der BVG wurde über die Juniorenfirma gerade ein spezielles Werkzeug für die Zylinder der Motoren bestellt. Aber auch Regale, Gehäuse, Plastikhaltegriffe oder Abdeckungen für Stromschienen liefert die Firma der Lehrlinge mit Hilfe der Werkstätten. Außerdem produziert man den jährlichen BVG-Fotokalender. Der 19-jährige BVG-Azubi Martin Fröhlich aus Potsdam sagt, er lerne vor allem, wie man Aufträge verwaltet und verteilt. Bei „Spektrum“ machen Lehrlinge, die sich freiwillig melden, für ein Vierteljahr Station.

Mitunter profitieren Kunden von günstigen Preisen, wenn ein Betrieb von Nachwuchspersonal geführt wird. So kostet die Übernachtung in den drei kleinen Hotelzimmern im Schloss Britz nur 21 Euro plus neun Euro fürs Frühstück; die zwei größeren Suiten sind ab 47 Euro zu haben.

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