zum Hauptinhalt
Montage: Bikinihaus am Flughafen Tempelhof. Simulation: Büro Brandlhuber/b+/Cornelia Müller

© Büro Brandlhuber/b+/Cornelia Müller

Kofferhalle für den BER oder Gesundheitsklinik: Diese Ideen gab es schon für den Flughafen Tempelhof

Seit Jahren stehen Teile des ehemaligen Flughafens leer. Dabei hat die Stadt Vorschläge zuhauf, was mit dem Denkmal passieren soll. Welche hätte Berlin umsetzen sollen? Stimmen Sie ab.

Stand:

Wer in den Archiven der Berliner Tageszeitungen Ideen der vergangenen Jahrzehnte für den Tempelhofer Flughafen zusammenträgt, findet einen Pförtner erwähnt – mit schlechter Laune und Weitblick. Mitte der 2000er, noch ist der letzte Flieger nicht gestartet, lädt die damalige Stadtentwicklungssenatorin zur Konferenz ein über die Zukunft des Flughafens. Als ein Reporter der „taz“ nach dem Weg fragt, raunzt ihn der Pförtner an: „Zur Traumtänzerveranstaltung? Hinten, erster Stock.“

Kaum ein Ort in Berlin hat so viele Ideen gesehen wie der Flughafen Tempelhof – und weniger davon umgesetzt.

Volksentscheid zerschlägt Pläne für Stadtquartier

Bis heute lässt der Riegel – mehr als einen Kilometer lang – mit seiner Historie von Nationalsozialismus bis Luftbrücke Architekt:innen, Bürger:innen, Wirtschaft und Politik nicht los. „Wir können darüber reden, was alles zu tun ist und wie lange das versäumt wurde. Oder das Potenzial endlich in den Vordergrund stellen“, sagt der Architekt Christoph Langhof.

Anfangs dachten viele Visionen Flughafen und Feld als Einheit, meist als Stadtquartier. Von 2014 an prägt der Volksentscheid alle Ideen: Die Berliner:innen wollen ihr Feld nicht bebauen. Seitdem entwickeln zwei landeseigene Organisationen, die Grün GmbH und die Tempelhof Projekt GmbH, Feld und Flughafen getrennt voneinander. Für Neu- und Umbauten bleibt nur das Flughafengebäude. Und das steht bis zur Türklinke unter Denkmalschutz.

Die Entscheidung der Berliner:innen, das Feld nicht zu bebauen, stoppt Pläne des Senats für ein neues Stadtquartier.

© IMAGO/Emmanuele Contini

„Einen Flughafen zu etwas anderem gestalten, ist eine Herausforderung. Vor allem, wenn die Strukturen gewahrt werden sollen“, sagt Nina Mütze, Leiterin der Kommunikation der Tempelhof Projekt GmbH. Manche Ideen würden wenig auf das Gebäude eingehen, lediglich Neubauten nebenan oder darauf setzen, sagt der Geschäftsführer der Gesellschaft, Fabian Schmitz-Grethlein: „Es braucht aber ein Gesamtkonzept, auch für den Bestand.“

Land will Kulturquartier aus Tempelhof machen

Der Senat hat vor fünf Jahren die Vision 2030+ beschlossen. Sie sieht Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft im Flughafen, mit Veranstaltungen in den Hangars und zugänglichem Erdgeschoss. Doch angesichts einer ausstehenden Sanierung ist die Idee abstrakt geblieben.

Inzwischen ist ein Drittel der Fläche im Flughafen langfristig vermietet, ein weiteres zwischengenutzt. Neben Büros der Tempelhof Projekt GmbH sitzen hier die Polizei, das Verkehrsmanagement, private Gewerbetreibende. Es gibt ein Café und ein Besucher:innenzentrum, in den Hangars leben Geflüchtete in Unterkünften.

Noch immer fehlt es an einer konkreten Vision für das Gesamtgebäude des Flughafens.

© Tagesspiegel/Lydia Hese

Bereits 2016 entschied das Land, in Teilen des Flughafens ein Kulturquartier zu entwickeln, den „Berlin Creative District“. Seitdem wird geplant, pausiert, wenn das Geld fehlt, und ja, auch umgesetzt. Ein ehemaliger Lotsenturm wird 2023 als „THF-Tower“ und Ausstellungsort eröffnet. Künftig soll eine Geschichtsgalerie einen Teil des Laubengangs auf dem Dach öffnen. Einiges bewegt sich, aber langsam. Ein Drittel der 300.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche steht leer.

Auch zwei Jahrzehnte nach der Konferenz sind viele Konzepte Träume geblieben. Hier sind einige davon. Stimmen Sie am Textende über Ihre Favoriten ab – oder erzählen Sie uns von Ihrer Idee.

1 1994: Stadtquartier als Hufeisen

In einem ersten Ideenwettbewerb setzen sich die Büros Hentrich-Petschnigg & Partner (HPP) und Seebauer, Wefers und Partner durch. Ihre Idee: Tempelhof in Form einer Ellipse bebauen, die an die Flügel des Hauptgebäudes anschließt. Das gesamte Flugfeld sollen die Bauten umspannen – doch der Plan fiel bei Experten durch.

Eine Bebauung, argumentierten diese, solle die Herrschaftsgeste des Gebäudes brechen und nicht unterstreichen. An Plänen für ein Stadtquartier hielt der Senat fest – angesichts einer in den 2000ern komfortablen Wohnungslage wollte man aber nur den Rand des Felds bebauen.

Im Jahr 2008 ist noch von der Tempelhofer Freiheit die Rede: Das Hauptgebäude des Flughafens soll zum Standort für Unternehmen und Museen werden, entlang des Damms ein Gewerbegebiet mit 2300 Wohnungen und S-Bahnhof entstehen. Zwei weitere Quartiere mit 3000 Wohnungen sind auf dem Feld geplant. Beim Volksentscheid im Jahr 2014 fällt ein entsprechender Masterplan des Senats durch.


2 2004: Terminal für den neuen Flughafen

Der Stuttgarter Architekt Hans-Georg Brunnert schlägt vor, aus dem Empfangsgebäude in Tempelhof den Eincheck-Terminal für den Flughafen in Schönefeld zu machen. Fluggäste geben in Tempelhof ihr Gepäck ab, erhalten den Boardingpass und setzen sich in eine U-Bahn, die sie in 15 Minuten zum Abflug-Gate in Schönefeld bringt. Die Trasse für die Bahnstrecke sei im Wesentlichen frei, argumentiert Brunnert. Es ließe sich kostengünstig ein Tunnel bauen.

Im Jahr 2022 wird das Terminal 2 des Flughafens Berlin Brandenburg in Schönefeld eingeweiht. Der Stuttgarter Architekt Hans-Georg Brunnert findet: Viel zu schwierig zu erreichen. Besser wäre es, wenn Passagiere im innenstadtnahen Tempelhof einchecken.

© dpa / Patrick Pleul

Die Idee findet Anklang: Abgeordnete stellen im Bundestag einen Antrag, sie zu prüfen – immerhin hatte Brunnert zuvor den Leipziger Flughafen verbessert. In Berlin setzt er sich nicht durch. Heutige Abwehrreflexe gegenüber vermeintlich leicht umsetzbaren, unterirdischen Bahn-Plänen aus Stuttgart dürften keine Rolle gespielt haben.


3 2005: Zentral- und Landesbibliothek in der Empfangshalle

Gestritten wird über einen zentralen Standort schon, seit Amerika-Gedenkbibliothek und Berliner Stadtbibliothek zusammengelegt wurden, aber an zwei Standorten verblieben. Im Jahr 2018 entschied der Senat, ein neues Bibliotheksgebäude am Blücherplatz zu bauen – bis heute wurde damit nicht begonnen.

Hier geht der Platz aus: Die Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg.

© Vincent Mosch

Zuvor hatten Studien auch Tempelhof als Standort geprüft, ein Neubau auf dem Feld fiel beim Volksentscheid allerdings durch. Im bestehenden Gebäude könnte die Empfangshalle zur Bibliothek werden. Einen Umzug in den Flughafen kann sich Bibliotheksleiterin Claudia Lux damals nicht vorstellen: Es fehle an Licht für Lese- und Arbeitsräume.

Trotzdem setzen sich der ehemalige Bausenator Andreas Geisel (SPD) und der Stadtplaner und TU Berlin-Professor Harald Bodenschatz vor einigen Jahren erneut für die Bibliothek im Flughafen ein: Ein bestehendes Gebäude zu nutzen, sei nicht nur nachhaltiger als ein Neubau, sondern würde Kosten sparen – die Empfangshalle müsse ohnehin saniert werden.


4 2006: Gesundheitszentrum mit eigener Landebahn

Der deutsch-amerikanische Investor Fred Langhammer, Ex-Chef des Kosmetikkonzerns Estée Lauder, und der Konzernerbe Ronald S. Lauder wollen das Gebäude kaufen und zu einem Tagungs- und Gesundheitszentrum ausbauen. Keine Kleckerei: 350 Millionen Euro wollen sie investieren, 5000 Arbeitsplätze schaffen, bis zu 120.000 Kassenpatient:innen pro Jahr behandeln, aber auch Privatpatient:innen und VIPs.

Die hätten mit ihren Privatjets und auf Geschäftsreisen vor der Klinik landen sollen. Der Flugbetrieb ist das Alleinstellungsmerkmal, argumentiert Langhammer.

Findet Berlin nach den geplatzten Klinik-Plänen wirtschaftsfeindlich: Milliardär Ronald S. Lauder im Hotel Adlon in Mitte.

© Thilo Rückeis TSP

Angeschlossen hätte sich ein Patientenhotel und ein Schulungs- und Tagungszentrum. Für den Kauf stellen Langhammer und Lauder Bedingungen an die rot-rote Landesregierung: einen Bauzuschuss von 90 Millionen Euro und die Zusicherung, dass weiter Flugzeuge starten und landen können. Der Senat lehnt ab, die Investoren ziehen sich zurück. Später beklagt der Milliardär Lauder ein „wirtschaftsfeindliches Klima“ in Berlin.


5 2015: Wohnen auf dem Flughafen

Statt aufs Feld setzt der Architekt Arno Brandlhuber in einem Entwurf Wohnungen auf das Flughafengebäude. Um sechs bis acht Etagen will Brandlhuber aufstocken, 3500 Wohnungen soll das ergeben. „Das Schlimmste für ein Denkmal ist, wenn es nicht genutzt wird und Stück für Stück verfällt“, sagt er dem Tagesspiegel. Zur Demonstration montiert Brandlhuber in einem Modell das Bikini Berlin aufs Flughafendach.

Das Bikinihaus auf dem Flughafen: Der Architekt Arno Brandlhuber macht einen dramatischen Fingerzeig in Richtung Nachnutzung des Denkmals gegen die Wohnungsnot.

© Büro Brandlhuber/b+/Cornelia Müller

Der Kniff: das „Bikini-Geschoss“, ein freies Geschoss, das lange beim Bikini Berlin den Durchblick zum Zoo bewahrte. Das würde den Abstand zum historischen Gebäude wahren, so könnte der Denkmalschutz den Umbau genehmigen, argumentiert der Architekt. In den Hangars könnten vom Kindergarten bis zum Supermarkt Versorgungseinrichtungen für das Quartier untergebracht werden.


6 2016: Handwerkerhof und Experimentierlabor

Tempelhof gehört den Menschen, findet die Initiative THF.Vision. Jede Nutzung soll von der Zivilgesellschaft entschieden und organisiert werden. „Aus der Nazi-Architektur wollen wir einen Ort des Miteinanders machen“, sagt Heike Aghte. 2016 hat sich die Initiative gegründet, heute besteht sie aus fünf Aktiven. Ihr Traum: Der Flughafen soll zum Kultur-, Experimentier- und Lernort werden, Expert:innen und Bürger:innen hier Lösungen für die Stadt rund um die 17 Ziele zur nachhaltigen Entwicklung der Vereinten Nationen entwickeln.

Betriebe und Initiativen sollen Themenhöfe in den Innenhöfen führen, etwa zu Stadtplanung, Gesundheit, Generationengerechtigkeit. Auch Ateliers, Proben- und Ausstellungsräume für Theater und Bands stellen sie sich vor, eine Hochschule der Vielfalt, die Geflüchtete ausbildet, eine Volksuniversität mit Bibliothek für alle.

Die Initiative THF.Vision setzt sich für einen Handwerkerhof mit Ausbildungsplätzen ein. Startgeld könnte aus der Ausbildungsumlage und aus Fördermitteln kommen. Im Flughafen gibt es bereits die Fliegerwerkstatt als Handwerksraum für Jugendliche, mit ihr ließe sich zusammenarbeiten, sagt Heike Aghte.

© Thilo Rückeis TSP

Klingt nach Utopie? Pilotprojekte gibt es: einen Workshop zu Ernährung in den ehemaligen Küchen der US-Amerikaner. Und das Torhaus, ein ehemaliges Pförtnerhaus. Darin hat die Initiative Events und Diskussionen abgehalten – entstanden ist daraus der Verein Torhaus e. V. Mit ihm gemeinsam wurde das Häuschen energetisch saniert, hier betreibt er den Communitysender THF Radio.

Aktuell setzt sich die Initiative unter anderem mit der Berliner Architektenkammer, der Hochschule für Technik, der IG Metall und der Handwerkskammer für einen Handwerkerhof am Flughafen ein. Er soll Ausbildungen und Praktika verschiedener Gewerke anbieten, außerdem Reparaturwerkstätten. Einbeziehen will die Initiative auch die Geflüchteten, die in Tempelhof leben – sie könnten handwerkliche Erfahrungen einbringen. Im November treffen sie zum Gespräch über eine Förderung Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD).


7 2024: Zwölf Messehallen und eine Open-Air-Arena

Sechs Messehallen will der Architekt und Unternehmer Reinhard Müller, Entwickler des Euref-Campus, auf das Flughafenvorfeld bauen – Tempelhof als Deutschlands erster CO₂-neutraler Messestandort. „Große Konferenzveranstaltungen kommen ja nicht mehr nach Berlin, weil es keine Räume gibt“, sagt Müller.

Hotels und Büros würden mit den Neubauten nötig, gut für die Tourismusbranche. Auch sie ließen sich am Standort Tempelhof bauen, empfiehlt Müller. Zwischen den Hallen soll eine Konzertarena entstehen.

Damit würde die Messe vom Funkturm nach Tempelhof wandern: Der bisherige Standort sei defizitär, argumentiert Müller. 700 Millionen Euro würde eine Sanierung der maroden Messehallen kosten. Die meisten will er stattdessen abreißen – und Platz für ein Wohnquartier schaffen. Nur zwei sollen bleiben, als Stätten für den Berliner Profisport.

„Das könnte für eine Olympiabewerbung interessant sein“, sagt Müller. Die Millionen, die damit in Westend gespart werden, soll das Land in die Sanierung von Tempelhof stecken.

Sechs Messehallen will der Immobilienunternehmer Reinhard Müller zunächst auf dem Vorfeld des Flughafengebäudes bauen.

© EUREF Consulting/Guenter Wicker

Mit dem Verkauf der neuen Westend-Wohnflächen ließe sich das refinanzieren, sagt Müller. Auch die Pacht der Hotels und die Vermietung neuer Büroflächen würden Einnahmen bringen. Abgeordnete mehrerer Fraktionen nennen die Idee „interessant“, Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) erklärt, sie wolle sich das mit Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) anschauen.

Doch aufgeben will die Landesregierung den Messestandort am Funkturm nicht. Bei einem Termin in der Wirtschaftssenatsverwaltung sei er abgekanzelt worden, berichtet Müller – ob er nicht noch eine andere Idee habe? Auch die landeseigene Messegesellschaft stellt sich quer.

Visualisierung der Kongresshalle am Flughafen Tempelhof

© Euref-Consulting

Der Unternhemer passt seine Idee an: Nun soll es nur eine Kongresshalle werden, teils im Boden versenkt. Erste Kostenschätzung: 100 Millionen Euro, tragen sollen sie private Investor:innen. 12.000 Besucher:innen sollen hineinpassen, mehr als in den Neubau, den die Messegesellschaft am alten Standort plant. „Ich verstehe nicht, warum man eine neue Halle für 5000 Menschen bauen will, wenn man eine für 10.000 braucht“, kritisiert Müller.

Eine aus der Halle aufs Vorfeld auffahrbare Bühne soll Open-Air-Großkonzerte möglich machen. Wieder signalisieren Giffey und Gaebler Gesprächsbereitschaft. Gehört, sagt Müller, habe er nichts mehr. Laut Pressestelle der Wirtschaftssenatsverwaltung sei das Konzept nicht eingegangen: „Entsprechend fand bislang keine Bewertung oder vertiefte Prüfung statt.“


8 2025: Zwölf Hochhäuser mit 5000 Wohnungen

Zehn Jahre nach Brandlhuber greift der Berliner Architekt Professor Christoph Langhof die Idee von Wohnungen auf: Zwölf Hochhäuser zwischen 60 und 240 Metern Höhe lässt er das Halbrund des Flughafenbaus rahmen. 5000 Wohnungen sollen entstehen. In den Hangars sieht Langhof die sonstigen Einrichtungen, die ein Quartier bräuchte.

Das Feld unbebaut, dafür zwölf Wohntürme neben dem Flughafengebäude: So stellt sich der Architekt Christoph Langhof die Zukunft Tempelhofs vor.

© Langhof

Denkmäler sollen nicht nur bewahren, argumentiert er: „Entscheidend ist doch, dass endlich Leben reinkommt.“

Passiert ist seitdem nichts, sagt Langhof, von Bürger:innen sei das Interesse an der Berichterstattung „riesengroß“. Abgeordnete oder Landesregierung hätten sich nicht gemeldet. Das habe er auch nicht erwartet, sagt Langhof.

„Es ist ein spektakulärer Vorschlag und Tempelhof ist ein dickes Brett.“ Auf Anfrage des Tagesspiegels gibt die Senatsverwaltung für Wirtschaft an, die Visualisierungen der Wohntürme seien „bekannt“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })