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Shopping: Mit viel Gefühl und einem Espresso

Kleine Boutiquen erleben eine Renaissance. Inhaber setzen bei der weiblichen Kundschaft auf Kompetenz.

Als die Bauarbeiten für das Alexa begannen, dachte Ingo Becker erst: „Das war’s.“ Der Inhaber der Boutique La Strada in der Prenzlauer Allee, nicht weit entfernt vom Alexanderplatz, fürchtete, die neue Shoppingmall mit dem breiten Angebot und den langen Öffnungszeiten könnte seinem kleinen Laden für italienische Mode die Kunden wegschnappen. Als das Einkaufszentrum öffnete, machte Becker einen Streifzug durch die Geschäfte. Was er sah, beruhigte ihn: „Da kamen Frauen aus der Kabine, die hatten für ihre Figur ganz falsch geschnittene Hosen angezogen. Das sah unmöglich aus. Da dachte ich: Die kommen bestimmt beim nächsten Mal wieder zu mir.“

Shoppingmalls und große Ketten wie Zara oder H & M können seinem Laden keine Konkurrenz machen, meint Becker, obwohl sie in der Regel günstiger sind. Nils Busch-Petersen bestätigt die Vermutung des Boutique-Besitzers: „Kleine Fachgeschäfte erleben gerade eine Renaissance“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbands. Von rund 3500 Modeläden in Berlin sind 3000 Inhaber geführt. Und es eröffnen immer mehr: In der Spandauer Vorstadt in Mitte etwa seien in den letzten Jahren über 1000 kleine und mittelgroße Läden entstanden, sagt Busch-Petersen. In der Nürnberger Straße in Charlottenburg-Wilmersdorf hätten in den vergangenen Monaten 15 neue Boutiquen eröffnet.

Ihr Geheimnis: Sie verkaufen nicht nur Klamotten. Sie verkaufen ein gutes Gefühl. Das Sortiment ist klein, aber besonders. Der Inhaber kennt seine Ware und kann kompetent beraten. Vor allem Frauen wüssten das zu schätzen, sagt Busch-Petersen. Ohne weibliche Kundschaft könnten die kleinen Fachgeschäfte nicht überleben.

„Für Männer würde sich der Laden nicht lohnen. Die kaufen zweimal im Jahr ein und am liebsten immer das Gleiche“, sagt Ingo Becker. Frauen hingegen schätzten das Einkaufen als Erlebnis. Darum macht Becker ihnen Komplimente, schmeichelt, scherzt und flirtet. Sein Steuerberater sagt, seine Frau verließe La Strada immer mit stolzgeschwellter Brust. Wenn eine Frau mit ausladenden Hüften eine Röhrenhose probieren will, rät Becker davon ab. Stattdessen reicht er ihr ein weit geschnittenes Modell in die Kabine, dazu hochhackige Schuhe, das lässt die Beine länger aussehen, legt ihr einen Gürtel um die Hüften und eine Kette um den Hals. Seine Kundin soll sich eine Stunde lang so fühlen, „wie eine römische Lady aussieht“. Und wenn sie das Gefühl mit nach Hause nehmen will, kauft sie mindestens drei Teile.

Auch Heide Meyer setzt auf einen Mix aus Fachkompetenz und emotionalen Botschaften. „Viele Frauen glauben ja, dass sie eine vermanschte Figur haben“, erklärt die Inhaberin von Lady M, einem Fachgeschäft für Dessousmode. „Dabei gibt es keine schlechte Figur. Es gibt nur schlechte Beratung.“ Fachfrau Heide Meyer verkauft seit ihrem 14. Lebensjahr Damenunterwäsche. Sie hat alles gesehen: Speckrollen, Orangenhaut, kleine und große Busen. Sie sehe sofort, welche Dessous zu einer Figur passen. 6000 Büstenhalter stehen zur Auswahl, in 75 verschiedenen Größen. Ihre Kundinnen kommen aus ganz Deutschland. Im vergangenen Jahr habe sie das größte Umsatzplus in der Branche verzeichnet.

Bis eine Kundin zulässt, dass eine Fremde ihren bloßgestellten Körper mit seinen Schwächen taxiert, sei es oft ein hartes Stück Arbeit, sagt die Unternehmerin. Arbeit heiße in diesem Fall: „Zuhören, zuhören, zuhören.“ Die Frauen heute, sagt die 64-Jährige, sind häufig unzufrieden und gestresst, weil sie viel zu hohe Erwartungen an sich stellen. „Da muss man erst mal den Druck rausnehmen.“ Darum stehe in jeder guten Boutique eine Espressomaschine. Der Kaffeeklatsch ist Teil des Verkaufsgesprächs und gehört zum Service.

Mehr zum Thema in der nächsten Ausgabe von Berlin Maximal.

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