zum Hauptinhalt

Berlin: Berufsperspektive "Schuldienst": Quereinsteigern wird der Weg in die Schulen erleichtert

Für arbeitslose oder frustrierte Akademiker hat die Zukunft zurzeit einen Namen: "Schuldienst". Hunderte beschäftigen sich jetzt mit dieser Berufsperspektive.

Für arbeitslose oder frustrierte Akademiker hat die Zukunft zurzeit einen Namen: "Schuldienst". Hunderte beschäftigen sich jetzt mit dieser Berufsperspektive. Die Gelegenheit ist günstig, denn insbesondere einige Berufsschul-Sparten leiden unter akutem Fachkräftemangel. Deshalb erleichtert die Schulverwaltung Quereinsteigern den Zugang. Kritiker warnen allerdings, dass die Qualität des Unterrichts leidet, denn von Pädagogik oder Didaktik haben viele Neulinge nie etwas gehört.

Es gibt zwei Sorten von Bewerbern, die ohne einschlägiges Examen an die Schulen kommen. Zum einen sind dies diplomierte Volkswirte, Wirtschafts- oder Maschinenbauingenieure, Techniker oder Kaufleute, die nach dem 1.1.1995 Examen gemacht haben. Sie dürfen sich neuerdings um ein Referendariat bewerben, weil es nicht genug Bewerber aus Lehramtsstudiengängen gibt. Im vergangenen Herbst waren sogar 50 von 70 Referendaren im berufsbildenden Bereich über diesen Diplom-Weg gekommen.

Da auch diese 50 nicht reichen, um den Bedarf von rund 200 Lehrern pro Jahr zu decken, wurde jetzt die Tür noch weiter aufgestoßen: Selbst Akademiker, deren Examen schon zehn oder 20 Jahre zurückliegt, werden eingestellt. Mit einer Bezahlung, die etwa doppelt so hoch ist wie das der Referendare - diese bringen nur rund 1700 Mark netto mit nach Hause -, arbeiten sie als so genannte Lehrer ohne volle Lehrerbefähigung ("Lovl"). Etwa sechs Unterrichtsstunden werden ihnen erlassen, damit sie sich berufsbegleitend fortbilden können. Jetzt wird sogar erwogen, sie nach einer dreijährigen Bewährungszeit zu verbeamten, bestätigt die Senatsschulverwaltung.

Schon fragen sich die ersten Referendare, warum sie sich mit dem Lehrerexamen und der mageren Bezahlung im Referendariat herumärgern, wenn die "Lovl" so vergleichsweise komfortabel zu ihrer Studienratsstelle kommen können. Mancher erwägt bereits, vom Referendariat in die Lehrer-Light-Laufbahn zu wechseln.

Das Verfahren könne sogar in die Mangelfächer der allgemeinbildenden Schulen hinüberschwappen. Jürgen van Buer, Professor am Institut für Wirtschafts- und Erwachsenenpädagogik an der Humboldt-Universität, dringt darauf, dass die Seiteneinsteiger ein berufsbegleitendes Referendariat absolvieren. Er verweist auf Anfrage darauf, dass ab kommendem Jahr in seinem Institut keine Lehrer für die kaufmännischen Berufsschulen mehr ausgebildet werden können. Gerade, weil hier Ausbildungsmöglichkeiten weggespart werden, ärgert van Buer sich besonders über die hektischen Anstrengungen, die "Lovl" in die Schulen zu holen. Er sieht die Gefahr, dass "halb gescheiterte Existenzen, die die Schnauze gestrichen voll haben", sich bewerben und auf die Jugendlichen "losgelassen" würden. Dies sei umso schlimmer, als gerade jetzt die Berufsschulen sich auf neue Berufsbilder einstellen müssten. Jetzt kaum qualifizierte Pädagogen mit teils uralten Examina in die Schulen zu holen, grenze an "Entwicklungsverhinderung".

In den Schulen selbst kann man diese Befürchtungen zum Teil bestätigen. Die ersten Seiteneinsteiger seien bereits wieder ausgestiegen - mangels Eignung, heißt es. Am Oberstufenzentrum Druck- und Medientechnik geht bereits zu Ostern einer von dreien innerhalb der halbjährigen Probezeit, berichtet der designierte Schulleiter Pit Rulff. Er kann nicht besonders wählerisch sein, denn zum neuen Schuljahr braucht er 15 neue Lehrer, von denen noch keiner in Sicht ist. Er bittet inzwischen sogar seine Auszubildenden, "Leute anzusprechen", die als Seiteneinsteiger in Betracht kämen.

Der Verband der Lehrer an Wirtschaftsschulen dringt darauf, verstärkt Praktiker mit Stundenaufträgen an die Schulen zu holen, um die schlimmsten Lücken zu stopfen. Ihr Sprecher Klaus Gehrmann weist seit Jahren auf die drohenden Engpässe hin. Und musste gleichzeitig mit ansehen, wie die wenigen Lehramtsanwärter verloren gingen, weil sie in Berlin schlechtere Anstellungsbedingungen vorfanden als in anderen Bundesländern. Oder weil die Senatsschulverwaltung sie abwies: Noch im Januar wurden die Referendariats-Bewerbungen frischer Uni-Absolventen abgelehnt, weil ihre Diplom-Urkunden zum Bewerbungsschluss noch nicht vorlagen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false