zum Hauptinhalt
Chefin Ilknur Kilic-Özcan (re.) sorgt für ein gutes Arbeitsklima. Auch Waldemar Has (erster v. li.) und Sabine Falke (dritte v. li.) fühlen sich wohl hier.

© Georg Moritz

Bester Mittelständler 2013: Die perfekte Falte

Reinigen, bügeln, zusammenlegen: Bei makelloser Tischwäsche kommt es auf Details an. Die Firma Niderkrone beschäftigt Spezialisten, die auf dem Jobmarkt häufig durchs Raster fallen – und erhielt dafür den Berliner Inklusionspreis 2013 als bester Mittelständler.

Mit einem kräftigen Ruck bringen Sabine Falke und ihre Kollegin die rund zwei Meter breite Tischdecke in Form. Der Blick wandert prüfend an der Stoffkante entlang. Gefaltet wird exakt an einer Stelle. Dann wird die Decke in die Mangel eingelegt. Jeder Handgriff sitzt, jeder Fehler wäre sofort sichtbar. Falke faltet Wäsche im Akkord. In jeder Schicht gehen Hunderte Wäschestücke über ihren Tisch. Seit rund sechs Jahren arbeitet Falke in der Wäscherei Niderkrone in Tempelhof. Ein Blick genügt den Frauen, um die perfekte Faltstelle zu finden. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Und doch ist Falke eine besondere Kollegin. Das Quietschen der Wäschecontainer, die über den holprigen Steinboden rollen, das Pfeifen der Mangelmaschine, die Anweisungen der Chefin: Das alles kann Falke nicht hören. Die 54-Jährige ist von Geburt an nahezu taub.

„Am Anfang war es sehr schwer“, sagt Sabine Falke. Die Kollegen redeten schnell und undeutlich, viele in gebrochenem Deutsch. Sie hätte keine Chance gehabt, von den Lippen abzulesen. Viele reagierten argwöhnisch, ließen sie links liegen. Im Job konnte ihr so schnell niemand etwas vormachen, schließlich hatte die gelernte Mechanikerin über 15 Jahre lang in einer anderen Wäscherei gearbeitet. Wer ihr zur Seite stand, war ihre Chefin. „Ich habe schnell gemerkt, dass Gehörlose etwas anders als meine anderen Mitarbeiter sind“, sagt Ilknur Kilic-Özcan, Geschäftsführerin der Wäscherei Niderkrone.

Neun Gehörlose sind im Team, auch aus der Türkei

Ein funktionierendes Team und eine gute Betriebsatmosphäre sind ihr wichtig. Also kaufte sich die 38-Jährige Bücher über die Gebärdensprache und beauftragte eine Dolmetscherin. Schließlich berief sie eine Mitarbeiterversammlung ein. „Ich habe allen eingeschärft, langsam zu sprechen und sich immer in die Augen zu schauen.“ Gleichzeitig machte sie ihrem Team klar, dass Rücksicht nicht bedeutet, dass Gehörlose eine Sonderbehandlung bekommen. Beschweren sich Kunden, muss der ganze Betrieb dafür geradestehen.

Heute arbeiten neun Gehörlose in der Wäscherei, auch Schwerhörige aus der Türkei und Rumänien. 2014 will Kilic-Özcan nicht nur in eine größere Halle ziehen, sondern weitere Menschen mit Behinderung einstellen. Am liebsten will sie auch selbst ausbilden. „Wenn alles klappt, können wir bald jungen Gehörlosen eine Chance geben und sie langfristig an den Betrieb binden.“ Ein Schicksalsschlag hat Ilknur Kilic-Özcan zur Unternehmerin gemacht, die Menschen mit Handicap fördert. Das Kind einer engen Freundin kam schwerbehindert zur Welt. Die 38-Jährige bewunderte den Mut, die Zuversicht der Freundin. Doch immer wieder fragte sie sich: Was soll aus dem Kind einmal werden? „Der Kleine hat mich aufmerksam werden lassen“, sagt sie. Aber sie sieht ihr Engagement auch als Auftrag, etwas für die Verständigung zwischen den Kulturen zu tun. „Auch die Gehörlosen hatten Vorurteile gegenüber meiner türkischen Kultur.“

„Die da draußen“ haben noch viel zu tun

13 Uhr, Mittagspause. Die neun Gehörlosen rücken im Pausenraum zusammen. Kerzen stehen auf dem Tisch, aufgeklappte Brotboxen, Gläser, Kaffeebecher. Sabine Falkes Hände fliegen durch die Luft, reihen lautlos Geste an Geste, die Kollegen lachen. Die Stimmung ist gelöst. Hier sei man unter sich, sagt Falke später. Mit den nichtbehinderten Kollegen versteht sie sich sehr gut, aber mit denen, die ihr Schicksal teilen, ist sie an manchen Tagen lieber zusammen.

Ein wenig abseits steht Waldemar Has. Der 56-Jährige war vor zehn Jahren der erste Mitarbeiter mit einer Behinderung, der bei Niderkrone eingestellt wurde. Auch Has ist stark schwerhörig. Als kleiner Junge hatte er Windpocken und Masern. Weil es damals weder Impfung noch ausreichend Medikamente gab, hinterließen die Kinderkrankheiten Spuren. Auf dem rechten Ohr hilft ihm heute ein Hörgerät, auf dem linken ist er komplett taub.

„Als Schwerhöriger einen Job zu bekommen, ist nicht leicht gewesen“, sagt Has. „Dabei bekomme ich doch alles mit und kann mich gut unterhalten.“ Er deutet auf sein Hörgerät und lacht. Dass viele Chefs nicht einmal eine Absage schicken, hätte ihn besonders geärgert. Bei Niderkrone kann er sich beweisen. Seit halb fünf in der Früh hat Has Tischdecken, Uniformen, Handtücher sortiert, Stück für Stück in die riesige Waschmaschinentrommel gewuchtet. Seine Arbeit in der Wäscherei ist anstrengend, sein Rücken schmerzt manchmal nach der Schicht. „Aber Muckis habe ich bekommen“, sagt er. Als gelernter Schlosser nimmt er sich die Maschinen schon mal selbst vor, wenn was klemmt. Chefin Kilic-Özcan hat ihn sogar zum Sicherheitsbeauftragten gemacht. Has ist aus dem Betrieb nicht mehr wegzudenken.

Im Betrieb spielt das Taubsein kaum eine Rolle

Plötzlich herrscht Aufbruchstimmung. Die Mittagspause ist zu Ende. Sabine Falke erhebt sich, streicht die Arbeitsschürze glatt. Bis 17 Uhr muss sie nochmal an die Mangel. Im Vorbeigehen wirft sie Has einen lautlosen Gruß zu. Der hat gleich Feierabend. Ein Lächeln. Eine Geste. Dann greift sich Falke bereits die nächste Tischdecke vom Rollcontainer. Die Wäscherei ist der Ort, an dem ihr Taubsein kaum eine Rolle spielt – weder für die Betriebsleitung, noch für die Kollegen. Was zählt ist, dass Falke zuverlässig und gewissenhaft ist, und die Firma nicht hängen lässt, wenn Kunden Druck machen. Sie ist auch so etwas wie die Sprecherin der Gehörlosen geworden. Gibt es Probleme, schicken die Kollegen sie vor.

„Wäre schon gut, die paar Jahre bis zur Rente noch hier zu bleiben“, sagt Falke. Sie lächelt verlegen, schiebt sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. Nur ein wenig mehr Zeit für die Kinder wäre schön, vor allem an den Feiertagen. Doch an Weihnachten ist Hochbetrieb. Schließlich wollen etliche Restaurants ihre Gäste fleckenfrei bedienen. „Da draußen“ – wie Falke die Welt außerhalb der Firma nennt – fühle sie sich häufig wie abgeschnitten. Probleme gibt es nicht nur beim Bäcker oder bei der Post, sondern vor allem bei offiziellen Stellen. „Beim Amt sprechen die Sachbearbeiter oft zu schnell und undeutlich.“ Bei Behörden oder bei Gericht gebe es häufig keine Gebärdendolmetscher. Dann fühlt sie sich im Stich gelassen. „Für die da draußen gibt es für uns Gehörlose noch viel zu tun.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false